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Die WahrheitBußgang unterm Balkensepp

Kolumne
von Jenni Zylka

Der Besuch bei den „Unbeschuhten Karmelitinnen“ war anstrengend und action-reich. Aber davon ließ ich mir die Laune nicht verderben.

N eulich verbrachte ich ein paar Nächte in einer katholischen Kleinstadt, in einem Hotel gegenüber vom Dom. Das Hotel hatte einst zu einem der vielen dort ansässigen Klöster gehört, ich merkte es an der Härte und Breite des Bettes, auf dem man nur auf der Seite liegen konnte, und der Temperatur im Zimmer: Als die in einer Moll-Oktav-Rippe gegossenen Domglocken am Morgen läuteten, war mein Nachthemd an der Außenwand festgefroren, und ich musste es ritsch-ratsch abreißen.

Aber davon ließ ich mir die Laune nicht verderben, zündete die dünne Kerze an, die mir als einzige Lichtquelle diente, und fiel aus dem Bett auf die Knie, vielleicht aus Versehen. Einen Spiegel gab es leider in der Ecke mit der Wasserschüssel nicht, aber ich vertraute darauf, dass mich im Dunkel der Herrgottsfrühe eh niemand sähe.

Ich verließ das Haus und platzte direkt in eine Gruppe schnabulierender Nonnen. Laut der Seite www.katholisch.de, die einem das Nonnenbestimmen unter der Überschrift „Kennen Sie das Ornat?“ leicht macht, waren es „Unbeschuhte Karmelitinnen“. Die Unbeschuhten Karmelitinnen sind ein Bettelorden, insofern verstehe ich das Adjektiv im Titel nicht ganz – es kann doch nicht so schwer sein, sich ein Paar Schuhe zu erbetteln. Aber vielleicht haben sie Angst, auf diese Weise in „Sneaker-“, „High-Heels-“ oder „Flip-Flop-Karmelitinnen“ entzweit zu werden.

Da ich eh wach und in der Kleinstadt sonst nichts los war, folgte ich den Barfußabdrücken bis in den Dom und kam gerade recht zur Frühmesse. Ich schnappte mir ein Gotteslob, drückte mich auf eine Holzbank ganz hinten und stellte die beschuhten Füße gemütlich auf die kleine Fußleiste, um sie ein paar Sekunden später schnell wie der Blitz zurückzuziehen: Das war ja die Kniebank!

Um mich herum kniete es auch schon eifrig, aber ich hatte keine Zeit, zu überlegen, ob meine Knochen das mitmachen würden. Denn schon zeigten zwei Displays an den Mittelschiffsäulen eine Zahl an und die Orgel schmetterte los, während ich noch zur richtigen Litanei blätterte. Ich konnte gerade noch ein kurzes „Kyrie“ murmeln, da standen bereits der Zirkusdirektor und seine Assistenten vorn unterm Balkensepp.

So anstrengend und action-reich hatte ich den ganzen Zinnober gar nicht in Erinnerung! Während der Predigt konnte ich mich ein bisschen ausruhen, und auf den Leib Christi freuen, die Makronenunterlage, die Energie zurückgeben würde. Fast schlief ich ein, doch rumorte es bald um mich herum, und ich reihte mich ein, um mir das Esspapier abzuholen.

Die Hostie war klein und trocken, sie blieb mir im Hals stecken und ich hustete im Dunkeln des Seitenschiffs ein wenig nach. Zum Glück bin ich Atheistin, darum vermute ich, dass das Verschlucken keine göttliche Strafe für die Füße-auf-der-Kniebank-Nummer war. Obwohl aus den Tiefen meines Gehirns ein alter Spruch nach oben drängte: Kleine Sünden straft der liebe Gott sofort.

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