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„Wenn ich wütend bin, wird ’s Bairisch“

Jetzt wär’s mal wieder an der Zeit, findet Konstantin Wecker: Nach 100 Jahren könnte Bayern die nächste Revolution vertragen. Ein Gespräch über die Isar, die Anarchie und Giacomo Puccini

Interview Dominik Baur

taz: Herr Wecker, mit 13 sind Sie mit Bakunin unterm Arm in Ihre Schule marschiert und haben verkündet, ab jetzt seien Sie Anarchist. Wie ernst war es Ihnen damit?

Konstantin Wecker: Da war sehr viel Attitüde dabei. Ich hab den Bakunin natürlich nicht wirklich gelesen, sondern ein bisschen reingelesen, mich an ein paar Sätzen erfreut. Aber der Grundgedanke der herrschaftsfreien Gesellschaft hat mich sehr angesprochen. Für mich war das damals vor allem auch ein Auflehnen gegen die schulische Autorität. Mit großer Geste natürlich.

Ziemlich genau 20 Jahre später drohte dieser Anarchist Wecker schon wieder in diese Schule, das Münchner Wilhelmsgymnasium, einzumarschieren – diesmal auf Einladung der Schüler. Sie sollten ein Konzert beim Weihnachtsbasar geben. Können Sie sich daran noch erinnern?

Stimmt, da war was. Woher wissen Sie das?

Es war mein erstes Konzert überhaupt. Ich weiß noch, wie wir Schüler im Kreis um Sie und das Klavier herumsaßen. Allerdings haben Sie nicht wie geplant in der Schule gespielt, sondern in einer Turnhalle nebenan – der Schuldirektor hatte Ihnen Hausverbot erteilt.

Damals war ich ja wirklich noch der Bürgerschreck. Dazu kam, dass ich seinerzeit von der Schule geflogen war, weil ich in den Knast gekommen bin. Ich hatte mit einem Schulfreund die Kasse der Trabrennbahn geklaut. Unser Physiklehrer soll später noch jahrelang den Schülern gesagt haben: Wenn ihr so weitermacht, endet ihr wie der Wecker.

Hat es Sie geprägt, dass Sie in Bayern, in München, und nicht, sagen wir, in Hannover aufgewachsen sind?

Ich bin ja direkt an der Isar aufgewachsen. Ich glaube, das hat mich vor allem geprägt. Die Isar, das war für mich Heimat. Und die bairische Sprache. Auf Bairisch lässt es sich viel schöner singen. Schon allein wegen der vielen Vokale.

Sie wechseln bei Ihren Liedern zwischen Bairisch und Hochdeutsch. Machen Sie das bewusst?

Nein. Immer wenn ich wütend bin, wird’s Bairisch.

Ist es zu viel Klischee, wenn man sagt, diese Wucht und Sinnlichkeit, mit der Sie Ihren Protest zu Ausdruck bringen, hat etwas Bayerisches, vielleicht sogar Katholisches?

Ich bin vorsichtig mit diesen Klischees. Aber es könnte schon was dran sein. Wahrscheinlich ist der Hannoveraner wirklich ein anderer Typ als der Oberbayer. Ein Lied wie der „Willy“ funktioniert vermutlich nur auf Bairisch.

Das Lied über einen Freund, der von einem Neonazi erschlagen wird – Ihr wohl bekanntestes Lied.

Da trug ich die Zeile über Monate in mir rum: „Gestern hams an Willy daschlogn, und heit werd a begrobn.“ Und dann habe ich das praktisch in Echtzeit runtergeschrieben. Als ich es meinen Musikern vorgespielt habe, habe ich erst gemerkt, was das Lied für eine Wirkung hat. Die waren erschüttert. Meine Texte waren schon immer klüger als ich. Das klingt kokett, ist aber wirklich so. Es gibt Zeilen, die verstehe ich erst 30 Jahre später.

Viele linke Künstler Ihrer Generation wurden ja stark von amerikanischen Songwritern geprägt, Sie sind eher von Verdi und Puccini als von Bob Dylan beeinflusst.

Und Schubert! Meine Herkunft ist halt einfach die klassische Musik. Meinen Durchbruch hatte ich dann zu einer Zeit, da kam grad der Punk auf. Ich glaube, mein Publikum ist damals nicht wegen, sondern trotz meiner Musik in meine Konzerte gekommen.

Ich hab Sie jetzt einfach mal als linken Künstler bezeichnet – können Sie damit eigentlich was anfangen?

Früher hätte ich mich dagegen gewehrt, da wollte ich in gar keine Kategorie. Aber heute habe ich kein Problem damit, mich als links zu bekennen.

Es heißt ja oft, die Kategorien „links“ und „rechts“ seien überholt.

Es gibt aber immer noch so etwas wie eine linke Idee, und die ist immer noch die humanistischere und gerechtere.

Und wie sieht diese Idee aus?

Für mich gehört dazu die Überzeugung, dass der Neoliberalismus und der Finanzkapitalismus das Hauptproblem sind. Ohne die daraus entstehenden Ungerechtigkeiten wäre es gar nicht möglich, dass faschistisches Gedankengut überhaupt wieder eine Chance hätte.

In Bayern haben Linke ja einen Exotenstatus. Der Anarchismus dagegen liegt den Bayern angeblich im Blut, der „Wuiderer“ steckt in jedem von uns. Ist das wieder so ein Klischee?

Ja, ein absolutes Klischee. Natürlich gab es in Bayern immer schon einen gewissen Typus, der seine eigenen Wege gehen und sich nicht der Herrschaft beugen wollte. Aber gab’s das nur in Bayern?

Was ist denn Anarchie für Sie?

Für mich ist Anarchie jedenfalls keine Unordnung, sondern Ordnung ohne Herrschaft. Eigentlich möchte ich alles völlig neu denken. Ich glaube wirklich, dass das Patriarchat ausgeschissen hat. Das Problem ist nur, dass seine Vertreter sich jetzt noch mal aufbäumen in einer Art und Weise, die so erschreckend ist, dass sie wahrscheinlich die ganze Erde vernichten könnte. Das sind doch alles unausgegorene Männleins.

Und wie könnte man sich eine solche Ordnung ohne Herrschaft in der Praxis vorstellen?

Mein Sohn war vor ein paar Tagen im Hambacher Forst. Die haben da mit 4.000 Leuten ein Gleis besetzt. Was da passiert, gefällt mir sehr gut. Das ist eine sehr nichthierarchische, parteifreie Revolution. Eigentlich sehr anarchisch. Dieser herrschaftsfreie Gedanke wird heute bei der Jugend eher zugelassen als in den Siebzigern. Vielleicht tut sich ja was. Ich bin ein Hoffender.

Es gab ja vor 100 Jahren in Bayern wirklich mal eine Revolution.

Das war für mich immer ein Anker, wo ich mir gesagt habe: Das gab’s ja schon mal. Gerade in der ersten Münchner Räterepublik im April 2019 waren ja dann auch viele Dichter beteiligt: Erich Mühsam, Gustav Landauer …

Dieses Experiment war aber nach einer Woche auch schon wieder Geschichte.

Das stimmt, aber für mich ist eine Idee nicht gescheitert, solange sie weiter in der Welt bleibt. Bestes Beispiel: Sophie Scholl. Natürlich hat sie weder den Weltkrieg verhindert noch irgendwas gegen das Naziregime ausgerichtet. Aber ihre Idee, ihre Tapferkeit, ihre Lauterkeit – die sind noch in der Welt. Und deswegen ist sie nicht gescheitert. Es wird immer wieder Menschen ­geben, die sich an ihr festhalten können.

Bräuchten wir denn mal wieder eine Revolution?

Ja, aber keinen bewaffneten Umsturz. Mit Waffen kennen sich doch die, die wir bekämpfen wollen, viel besser aus. Wo sie sich nicht auskennen, das ist Zärtlichkeit, das ist Liebe, das ist Poesie. Deshalb müssen wir ihnen mit diesen Mitteln entgegentreten. Abgesehen davon, kannst du heute mit einer Kalaschnikow eh nichts mehr bewirken. Die Zeit der Guerilla ist vorbei.

Konstantin Wecker, 71, ist einer der bekanntesten deutschen Liedermachern. Am 16. November erscheint die Liedersammlung „Sage Nein! (Antifaschistische Lieder: 1978 bis heute)“.

Inzwischen wird es ja schon als Revolution bezeichnet, wenn die Grünen ihr Ergebnis verdoppeln.

Schon klar. Und die Wutbürger empfinden sich auch als Revolutionäre.

Alexander Dobrindt nicht zu vergessen.

Stimmt, das ist das Allergrößte. Der Dobrindt – so habe ich mir immer einen Revolutionär vorgestellt.

Was hat Sie eigentlich davor bewahrt, Zyniker zu werden?

Dass ich immer auf die Bühne gehen konnte. Und in meinen Konzerten Tausenden von Menschen begegne, die dieselbe Sehnsucht haben wie ich.

Wenn Ihnen jemand damit kommt, dass Kunst ja doch nichts bewirke, zitieren Sie gern Ihren Freund Hannes Wader …

Ja, dem hat irgendwer mal gesagt: Ihr singt jetzt seit 30 Jahren von einer besseren Welt, und was habt ihr erreicht? Nichts. Da hat der Hannes geantwortet: Wie sähe die Welt denn aus, wenn es uns nicht gäbe? Und das sehe ich genauso. Wie sähe die Welt aus, wenn es seit 2.000 Jahren die Kultur nicht gäbe und all die Mosaiksteinchen engagierter Menschen, die sich für die Menschlichkeit einsetzen?

Wie denn?

Sie wäre wahrscheinlich schon am Ende.

In der neuen Version vom „Willy“ singen Sie: „Gestern hams an Willy daschlogn, aber ab jetzt hoid ma zamm.“ Ist das mehr Wunsch oder Überzeugung?

Beides. Eigentlich ist es eine Beschwörung.

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