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Der HausbesuchSie liebt das Komplizierte

Buchpreisträgerin Katharina Hacker verlor ihr erstes Buch. Für ein anderes belohnte sie sich mit einem Pferd. Das Buch floppte, das Pferd war verrückt.

„Ich bin mit 10 Jahren in die Bücher gekrochen und mit 25 wieder raus“ – Katharina Hacker Foto: Joanna Kosowska

Zwischen riesigen Linden ist eine ungewöhnlich breite Straße. Irgendwo steht ein Citroën Berlingo. „Ein vulgär blaues Auto, dem jeder ansieht, dass es nicht schnell fährt, ein zerbeultes Exemplar“, erzählt die Schriftstellerin Katharina Hacker. Ihr gehört das Auto.

Draußen: In der Straße in Berlin-Schöneberg gibt es einen Italiener, einen Kubaner, einen Asiaten; einen Secondhand-Laden, einen Späti und einen Buchladen. Und ein großes gelbes Mehrfamilienhaus, Balkone strecken sich nach innen, schlichte Erker nach außen.

Drinnen: Parkettboden, hohe Wände, zwei Hunde rennen zur Türe. Einer groß, braunes Fell, schwarzer Rücken: „Agathe“, stellt Katharina Hacker vor, ein Airedale Terrier. Dahinter ein kleinerer Hund, sein Fell fühlt sich für einen Welpen ungewöhnlich rau an. „Das ist Beanie – Wollmütze auf Amerikanisch“, erklärt sie. Es riecht nach Curry. In der Küche rührt Tochter Phi­lippa in der Pfanne. Sie ist 12. „In ihrem Alter konnte ich nicht kochen“, erzählt die Mutter. „Ich bin mit 10 Jahren in die Bücher gekrochen und mit 25 wieder raus.“

Anfänge: Katharina Hacker wurde 1967 in Frankfurt am Main geboren. Sie hat mit ihren Eltern viel Zeit auf dem Land verbracht. Ihr Vater ist Ende 80 und war Neuroradiologe, die Mutter Kunsthistorikerin. Hacker studierte Philosophie in Freiburg. Dort lernte sie mit 19 Jahren ihren Mann Christian kennen, einen Philosophen aus Saarbrücken. Das Philosophiestudium beendete sie nie, sie wollte direkt promovieren und scheiterte daran.

Israel von 1990 bis 1996: Nach dem Studium unterrichtete sie in Jerusalem Deutsch und arbeitete in Tel Aviv am Institut für Deutsche Geschichte. Sie war während des Golfkrieges in Jerusalem. „Wir Studentinnen bekamen Gasmasken und Atropin-Spritzen“, sagt sie. Fast alle Stipendiaten seien abgereist, doch sie ist geblieben. Im Winter war es kalt, regnete in die Wohnung. „Ich hatte kein Geld. Von Datteln und Tütensuppe kann man eine Weile gut leben.“

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Geschenke: Ihre Wohnung ist gleichzeitig „Frau Jokels Wohnung“, denn sie erbte diese von der österreichisch-israelischen Schriftstellerin Anna Maria Jokel, die auch ihre Freundin und Mentorin war. „Eine wunderbare Frau“, sagt Hacker. Seit 2006 wohnt Katharina Hacker mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern hier.

Leihgaben und die Fledermaus: In der Küche steht vor dem großen Fenster ein graues Ledersofa, ein Zweisitzer. „Eine Dauerleihgabe von einem Freund, seit 20 Jahren.“ Dann zeigt sie zu einem schwarzen Sessel: „Ich habe nur die Fledermaus selbst gekauft, als ich den Buchpreis bekommen habe“, und betont lachend: „Mit Leder. Das Ding wird nie kaputtgehen.“

Schreibstube: Von der Küche aus führt ein Gang in ihr Arbeitszimmer mit einer großen Bücherwand – das sei nur ein Teil ihrer Bücher. Sie liest nur wenige Romane die letzten Jahre, aus Zeitmangel und Müdigkeit, sie mag Lyrik, sie mag den Schriftsteller David Albahari und sein Buch „Mutterland“. Ihr Schreibtisch könnte in einem hippen Berliner Start-up stehen, helle Holzplatte mit dunklen Metallbeinen. „Er ist aus den 60ern von meinem Vater. Er hat ein Designerstück nachgebaut.“

Verlorenes Buch: Dann zieht Hacker zwei große leinengebundene Bücher hervor. Ihr Mann bringt all ihre wichtigen Dateien zum Binder und sammelt auch Collagen und Briefe von Freunden, sagt sie und blättert durch das Buch. „Ich habe mein erstes Buch 1996 geschrieben. Es wurde nie veröffentlicht. Es hatte bereits eine ISBN-Nummer, doch der Verlag war pleite, die Datei weg.“ Es seien wieder ein paar Dateien aufgetaucht, doch nie das ganze Werk.

Schreiben: Hacker wollte schon immer schreiben. Früher war sie Nachtarbeiterin, seit ihre zwei Mädchen da sind, schreibt sie langsamer und morgens. Beim Schreiben ist ihr Enthusiasmus riesig, sie nimmt sich wichtig, drückt sich in einer besonderen Art und Weise aus, danach ist ihr Engagement weg, erzählt sie. „Ich vergesse irgendwann die Figuren, weiß nicht mehr, wie alle heißen.“ Als „Die Habenichtse“ verfilmt wurden, fragte sie den Regisseur: „Kommt Hans wirklich bei 9/11 um?“ Erinnerung bedeutet für Hacker den Umgang mit Zeit. Hündin Agathe brummt, als würde sie zustimmen. „Und den Versuch, den man beim Schreiben macht: gegen den Tod etwas aufzubewahren.“

Neuer Roman: Sie schreibt an dem Roman mit dem Arbeitstitel „Mein Café“, der in Berlin 2025 spielt. Die Figur ist freundlich, etwas zerzaust und hat eine Weinbar in der Potsdamer Straße. Die Bar gibt es wirklich, die Figur ist erfunden. Sie denkt, dass jedes Buch ein Patenbuch hat. Hier ist es: „Ich habe den englischen König bedient“von Bohumil Hrabal. Nach dem Lektorat wird sie den gesamten Text drucken und jeden Satz nochmal neu schreiben. „Ich mag Kompliziertheit und Komplexität, wenn Bücher sich einem entziehen.“ Auch Tiere würden sich der Kontrolle entziehen: „Mein Pferd hat sich verletzt. Keine Ahnung, wie lange es dauert, bis es nicht mehr humpelt“, sagt sie.

Reiten: „Bevor ich wusste, ob ‚Skip‘ gut läuft, habe ich mir ein Pferd gekauft“, erzählt Hacker. Es lief nicht gut. Und auch das Pferd sei anfangs ziemlich verrückt gewesen, kannte nichts, nicht einmal eine Kuh. Hacker reitet vier Tage in der Woche im Löwenberger Land. Sie macht Dressur: „Kein Gedanke darf sich irgendwo anders hinbewegen als auf die eigenen Bewegungsabläufe und die des Pferdes“, erklärt Hacker. „Beim Reiten wird einem der Kopf durchgeputzt, wenn man traurig ist. Gleichzeitig ist es meine Angsttherapie.“ Sie sei vielleicht ein von Angst geschüttelter Mensch, aber nicht bereit, das zu akzeptieren. Als Mutter hat sie Angst um die Kinder. Doch sie will ihnen Freiheit lassen.

Skip: In ihrem letzten Buch „Skip“ (2015) beschreibt sich der Held als „Halbjude“. Die Idee von Vollständigkeit findet Hacker unangenehm. Das Buch erzählt viel über Berlin und Israel, über Menschen, die aus dem Leben gerissen werden. Es wäre naheliegend gewesen, Terroranschläge zu nennen, sagt Hacker. „Ich finde es zweifelhaft, in Büchern katastrophale Szenen zu nutzen, um Aufmerksamkeit zu generieren. Es ist die Grundüberzeugung, dass Schriftsteller Geschichten erzählen, die zu einem schmerzenden Höhepunkt führen.“ Dabei wünschen sich die Menschen, dass ihr eigenes Leben schmerzlos ist, ohne Krankheit und Flucht. „Ich finde das einen problematischen Widerspruch“, meint Hacker. „Die meisten Menschen haben keine Geschichte, es sei denn, man zwingt sie dazu. Darum geht es auch in meinem anderen Buch ‚Eine Dorfgeschichte‘.“ Ihr Werk sei ein politisches Buch, doch kaum ein Leser hätte das gemerkt. Es gehe um die Frage, woher die Eltern kommen, wie man mit der Vertreibungsgeschichte umgeht, wie damit, wenn innere und äußere Biografie nicht zusammenpassen, wenn man nicht mehr dort lebt, wo man herkommt.

Dorf oder Stadt? Katharina Hacker hat die Sommerferien mit der Familie in ihrem Haus im Dorf Grüneberg im Löwenberger Land verbracht. Dort hätten sie keine Verwandten, dort seien sie ‚westliche Wessis‘. Sie würde gerne aufs Land ziehen, denn man suche sich mit den Jahren ähnliche Leute. Sie habe fast nur mit Akademikern zu tun, fast alle mit Doktor­titel, sie sei eines der Restschafe. „Aber es ist auch toll, mit ganz anderen Menschen zu sprechen.“ Im Dorf dachte sie: „Wer hört ständig Radio?“. Die Radiostimmen führten sie zu befreundeten Bauern. Und zu den Enten: „Der Fuchs war da und hat fünf Enten geholt.“ Ihre Bekannte erklärte: „Der Fuchs kommt nicht, wenn das Radio läuft. Also lassen wir das Radio laufen. Bis sie geschlachtet werden.“

(Nach-)Merkel-Ära: „Die etwas hinterfotzigen Spekulationen, dass die Ära Merkel vorbei sei, finde ich unangenehm“, sagt Katharina Hacker. „Sie ist gewählt worden und sie ist bis zum Ende ihrer Regierungszeit die Bundeskanzlerin.“ Hacker legt ihre Unterarme auf den Tisch: „Die Bevölkerung sollte sie mehr schätzen.“

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