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Kolumne Knapp überm BoulevardDie Kosten des Schul­schwänzens

Isolde Charim
Kolumne
von Isolde Charim

Wie Österreich den politischen Widerspruch zwischen Neoliberalismus und Law-and-Order-Nationalismus austariert: mit 110 Euro Strafe​.

So mag es Österreichs Regierung: Brave Schüler, keiner fehlt Foto: dpa

S ind Nachrichten aus Österreich Botschaften aus der Zukunft? Wir wollen es für Deutschland und für Europa nicht hoffen. In jedem Fall aber sind es Berichte aus dem Labor – von dort also, wo man in Realzeit beobachten kann, was eine konservativ-rechte Koalition bedeutet. Was sich da verändert. Das lässt sich an einer kleinen Gesetzesnovelle sehr anschaulich darstellen.

Seit Beginn dieses Schuljahres wird Schulschwänzen mit einer Strafe von 110 Euro geahndet. Das ist die Mindeststrafe. Der gesamte Strafrahmen erstreckt sich auf bis zu 440 Euro. Diese Verschärfung sieht vor, dass Kinder bereits nach mehr als drei vollen Fehltagen ohne Entschuldigung (nicht unbedingt aufeinanderfolgend, sondern im Laufe der gesamten neunjährigen Schulpflicht!) von der Schulleitung verpflichtend angezeigt werden müssen.

Mal abgesehen von allen offensichtlichen, empirischen Einwänden gegen eine solche Regelung – etwa dass Schulvergehen nunmehr zu Verwaltungsdelikten werden und sich offenbar niemand überlegt hat, was es für den schulischen Alltag bedeutet, wenn hier die staatliche Ordnung so direkt interveniert. Mal abgesehen davon, muss man das Grundsätzliche in den Blick bekommen, um das es hier geht.

Schulen sind seit dem 19. Jahrhundert paradoxe Institutionen. Paradox weil sie Widersprüchliches verbinden – nämlich sowohl Norm­erfüllung als auch Übertretungen. Schulen funktionieren keineswegs nur darüber, dass brave Schüler strenge Regeln befolgen. Schulen funktionieren vielmehr durch beides – durch Anpassung ebenso wie durch Regelüberschreitung. Die Schule ist eine Disziplinarinstitution, zu der regelwidriges Verhalten dazugehört.

Schule als paradoxe Institution

Sie ist es, die das Feld ihrer möglichen Übertretungen absteckt. Es gibt hier also nicht nur erlaubt und verboten. Es gibt auch Dinge, die erlaubt-verboten sind. Und erst danach kommen jene, die ganz, die verboten-verboten sind (etwa Gewalt). Das Schulschwänzen aber gehört zum sensiblen Bereich des Erlaubt-Verbotenen. Und genau dieser Bereich soll nun neu geordnet, nein eher gestrichen werden und ins Verboten-Verbotene verbannt werden.

Damit – sowie mit weiteren solchen Maßnahmen – soll die Schule in eine reine Disziplinarinstitution rückverwandelt werden: Überwachen, Strafen und Kontrollen, so die Losung. Der Bereich des Erlaubt-Verbotenen aber wird sukzessive eingezogen. Die Grenze möglichen Verhaltens wird ganz festgezurrt – sie kommt nunmehr gleich nach der Regelerfüllung. Da ist kein Spielraum mehr dazwischen. Und genau an diesem Punkt zeigt sich das Dilemma einer solchen Koalition in Reinform. Der Widerspruch, der sie durchzieht, tritt klar hervor.

Die Produktivität regelwidrigen Verhaltens

Denn neoliberale Konservative haben ihre eigene Agenda. Sie bedürfen der Produktivität des (nicht unbegrenzt, aber tolerierbaren) regelwidrigen Verhaltens. Denn diese rebellische Energie ist der Antriebsmodus für das zentrale Subjekt der neobürgerlichen Ordnung – der Antriebsmodus des Unternehmers. Nur als paradoxe Institution, die Anpassung und Übertretung verbindet, und nicht als reine Disziplinaranstalt werden Schulen zu „Lehrstätten“ für den unternehmerischen Geist.

Für die Hardcore-Rechtspopulisten hingegen geht es ums genaue Gegenteil: um die Rückkehr zur reinen Disziplinar-Institution, um das Erzeugen von Disziplinar-Subjekten, die einfach funktionieren. Für diesen Widerspruch zwischen Neoliberalismus und Rechtsnationalismus wurde hier eine spezifische Lösung gefunden: die finanzielle Abgeltung. Sie erlaubt eine spezifische, eine klassenspezifische Lösung.

110 Euro für aufmüpfige Sprösslinge sind für die Mittelschicht tragbar bis vernachlässigenswert. Hier bleibt das Schwänzen weiterhin ein mögliches Kavaliersdelikt. Für weniger Begüterte jedoch sind 110 Euro keineswegs eine Quantité négligeable – sondern vielmehr ein großes Problem. Für diese Leute wird Schule auf das Einüben in konformes Verhalten reduziert. So kann der Ablasshandel fürs Schlimmsein den politischen Widerspruch zwischen Neoliberalismus und Law-and-Order-Nationalismus wunderbar austarieren.

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4 Kommentare

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  • Wirklich?

    Ah geh.



    Vorweg - war keiner.



    Aber mein großer Bruder.



    Au Backe. Autodidakt par excellence.



    &



    Als unsere alte Dame mit Herrn “Paule“ des längeren & des breiten anhand “ihrer“ Entschuldigungsbriefe dessen Gesundheitszustand bekaakelt hatte.



    Ließen sich beide aber nix anmerken.



    Er - die Verballhornung seines Namens & daß er den Zusammenhang von Sonnentagen (“Pfeiffer mit 3 f & was machen Sie bei - bewölkt?“) & Fehlen mit Banknachbarn schonn geschnallt hatte.



    &



    Sie - dessen Schreibkünste - klar.

    unterm—Michel Foucault - remember



    Überwachen und Strafen: Die Geburt des Gefängnisses ist ein Buch des französischen Philosophen Michel Foucault. Das 1975 unter dem Titel Surveiller et punir veröffentlichte Werk wurde 1976 auf Deutsch publiziert. Wikipedia



    Feiert fröhliche Urständ. Newahr.



    Normal.



    ——



    & Schlagobers —



    Bin mir aber sicher -;)



    Daß die Koteletties.at post nächstem Anschluß wieder die Opfer sind.



    &



    “Tapfer sann mer net - aber fesch.“



    Wußte schon der Kamerad Schnürschuh (verboten: v&zu Zinn von) Zinnenburg “…haben Sie schon gejaust?“ mit dem Zeitungsinserat -



    “Komme für die Schulden meiner Frau nicht mehr auf.“



    Tja - da hatte es sich dann mit dem -



    “…& gell - ein fesches Heil Hitler für die Frau Gemahlin!“

    kurz - Na Mahlzeit

  • Wie schade, dass diese wahren Worte vermutlich rückstandslos verhallen werden in den unendlichen Weiten des Internets. Bis in die Österreichische Regierung, jedenfalls, werden sie vermutlich nicht vordringen. Und selbst wenn, würden sie dort nichts verändern.

    Die Konsequenzen ihres Handelns für andere sind sowohl den "Hardcore-Rechtspopulisten" als auch den "neoliberale Konservativen" vollkommen egal. Eins, nämlich, verbindet sie mehr, als jede Ideologie es könnte: Ihre autoritäre Prägung. Woher die Autorität kommt – vom Geld oder von der Nationalität –, ist ihnen so lange vollkommen egal, wie sie selber oberste Autorität sein dürfen, da sind sich Neoliberale und Rechte einig. Nur dann nämlich fühlen sie sich halbwegs respektiert und sicher.

    Nein, in der Welt, aus der solche Leute kommen, gab es keine Grauzonen. Es gab auch kein darauf basierendes Lernen. Es gab nur Schwarz und Weiß. Wobei der Patriarch ganz allein und völlig willkürlich festlegt hat, was welche „Farbe“ hatte.

    Ich fürchte, mit solchen Menschen ist nicht viel anzufangen. Sie müssten erst noch einmal in die Schule gehen, um zu den Menschen aufzuschließen, die anders aufgewachsen sind. Aber wer soll sie dazu zwingen? Ein Strafgeld von lächerlichen 440 Euro sicherlich nicht.

    In solchen Fällen würde es nur helfen, die Schulschwänzer vor die Tür zu setzen, denke ich. Ganz ohne Strafe zwar, aber dafür auch ohne jede Aussicht auf die vielen Privilegien, die sie so sehnsüchtig erhoffen. Und zwar so lange, bis sie von sich auch darum bitten, wieder eingelassen zu werden. Ein solches Prozedere, allerdings, sieht unsere demokratische Grundordnung bisher einfach nicht vor.

    Wenn es denn eine Nachricht aus der Zukunft gibt, dann ist es die: Das ist ein schwerer Fehler, der sich in ein paar Jahren bitter rächen wird. Aber was helfen schon Nachrichten aus einer Zukunft, die so, wie sie beschrieben wird, nicht unbedingt werden muss?

  • Ich dachte erst ich hätte gelesen bei drei aufeinanderfolgenden unentschuldigten Fehltagen, dass hätte ich dann garnicht so schlimm gefunden. 3 Tage insgesamt sind schon recht harsch.

    • @wirklich?:

      Vor allem innerhalb von 9 Jahren.

      - Allerdings frage ich mich, ob nicht auch in Österreich eine derartige Bestrafung von nicht strafmündigen Kindern überhaupt zulässig ist.

      An der diktatorischen Agenda der Rechtsradikalen ändert das natürlich nichts.