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Bremen feiert 100 Jahre FrauenwahlrechtEine Schnecke namens Gleichheit

Die politischen Gremien und Ämter in Bremen sind so schlecht quotiert wie 1991. Das kritisieren gesellschaftliche Verbände und die Frauenbeauftragte.

So sah der Kampf für das Frauenwahlrecht in London aus: Die Gründerin der Women's Social and Political Union Emmeline Pankhurst bei einer Rede auf dem Trafalgar Square Foto: dpa

Bremen taz | Als „Gleichberechtigung im Schneckentempo“ hat die Landesfrauenbeauftragte Bettina Wilhelm die Entwicklungen der Gleichstellung im Land Bremen in den letzten Jahrzehnten kritisiert. Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums des Frauenwahlrechts haben gesellschaftliche Initiativen und Landesbehörden am Donnerstag in der Bürgerschaft gemeinsam eine Bilanz gezogen – und die, da sind sich die Akteur*innen einig, ist nicht gerade prickelnd.

Gerade einmal zwei von dreizehn Staatsrät*innen des Landes Bremen seien weiblich, erläutert Wilhelm. Während die Ausgeglichenheit der Geschlechter bei Senator*innen und Bürgermeister*innenposten einen positiven ersten Eindruck von Bremens Parität suggeriert, bröckelt das Bild eines feministischen Landesparlaments an allen Ecken und Enden: „Nur 34 Prozent der Abgeordneten der derzeitigen Bürgerschaft identifizieren sich als weiblich“, sagt Wilhelm. Die Frauenquote ist damit in dieser Legislatur so niedrig wie zuletzt 1991.

Dass von einer Gleichstellung in politischen Gremien noch lang nicht die Rede sein kann, ist auch im Bundestrend mehr als offensichtlich. Mit einem Anteil von 31 Prozent sind Frauen im Bundestag so unterrepräsentiert wie zum letzten Mal im Jahr 1998 – damals übrigens gerade ein Jahr, nachdem die Vergewaltigung in der Ehe als Straftat ins Gesetzbuch aufgenommen wurde.

Natürlich gibt es in Bremen aus verschiedenen Ressorts immer wieder Versuche, ein wenig Gleichberechtigung voranzutreiben. Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne) etwa veröffentlichte erst kürzlich einen Report zum „Gender-Budgeting“, in dem sie berichtet, dass ihr Ressort sämtliche Mittel geschlechtergerecht verteilen will.

Feminismus muss mit allen erkämpft werden: mit Frauen wie Männern, aber vor allem auch queer

Bettina Wilhelm, Landesfrauenbeautragte

Die Landesfrauenbeauftragte empfindet aber noch lange keine Gleichberechtigung. Sie hat es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, dem großen Jubiläum mit einer Veranstaltungsreihe gerecht zu werden.Dabei sind die 100 Jahre Frauenwahlrecht in Bremen 2018 im Sinne der historischen Korrektheit eigentlich nur bedingt feierbar: Nur wenige Tage nach dem 12. November übernahm 1918 im Rahmen der Novemberrevolution ein ausschließlich männlicher und nicht von der Öffentlichkeit gewählter Arbeiter- und Soldatenrat die Administration und setzte die gerade für Frauen wählbar gewordene Bürgerschaft fürs Erste ab.

Nach 100 Jahren Recht auf Wahlen sprechen die Zahlen, so Wilhelm, heute nach wie vor für eine strukturelle Benachteiligung, die den Frauen die wirkliche Gestaltungsfreiheit nehme. „Quoten und Familienfreundlichkeit sind zwei von vielen Schlüsseln zur tatsächlichen Berechtigung, das passive Wahlrecht in Anspruch zu nehmen.“ Ob Kinderbetreuung oder flexible Sitzungszeiten – in der Politik sei noch viel zu tun, um Gleichberechtigung zu ermöglichen.

Fünf Veranstaltungen begleiten die Wochen rund um das Jubiläum im November. Die Bildungsträgerin Belladonna, die Landeszentrale für Politische Bildung sowie der Deutsche Gewerkschaftsbund in Bremen, die Landesfrauenbeauftragte und der Bremer Frauenausschuss widmen ihre Aufmerksamkeit den Kämpfen der Vergangenheit wie der Gegenwart – und stellen fest: „Feminismus muss heute mit allen gekämpft werden. Mit Frauen wie mit Männern, aber vor allem auch queer.“ Die Kämpfe hätten sich verändert. Es gehe um die Menschen und darum, dass für sie alle das gleiche Recht gelte – „unabhängig ihres Geschlechts“.

Den Auftakt der Veranstaltungsreihe macht am Dienstag die Landeszentrale für politische Bildung. Unter dem Titel „100 Jahre Frauen in der Politik: Immer das gleiche Stück vom Kuchen?“ wird ab 17.30 Uhr in der Bürgerschaft diskutiert.

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