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Festival in Hamburg„Fröhlich vor sich hin spielen hier nur die Bäume“

„Papiripar“ möchte Pop und Kunst verknüpfen. Kurator Felix Kubin über die Vermischung von Szenen, konzeptionelle Musik und Spiel als Widerstand gegen Tristesse.

Will Denkfähigkeit erweitern und den Spieltrieb anregen: Felix Kubin. Foto: Marie Losier
Interview von Robert Matthies

taz: Herr Kubin, was bedeutet: Es gibt zu wenig Kunst in der Musik und zu wenig Musik in der Kunst?

Felix Kubin: Mich hat immer gestört, wenn auf Kunst-Vernissagen Musik nur als Eröffnungshintergrundgedüdel benutzt wird, als soziales Schmiermittel und nicht als eigenständige künstlerische Ausdrucksform. Wir wollen mit dem Festival die Schnittmenge zwischen Kunst und Musik finden – wobei das Gewicht ein wenig mehr auf der Musik liegt – und experimentelle Popmusik mit Kunst, Film und Performance verknüpfen.

„Papiripar“ soll zwei sonst eher getrennte Szenen zusammenbringen?

Es geht um eine Kunstszene, die Interesse an akustischen Sachen hat. Und es geht um eine Musikszene, die Interesse hat an experimentellen und konzeptionellen Ansätzen, sowohl in der Musik als auch in Bezug auf die Aufführung. Und auch mit der Literatur gibt es eine Menge Anknüpfungspunkte. In den 80ern gab es eine Welle sehr progressiver Popmusik und eine ganz selbstverständliche Überschneidung von Kunst- und Musikorten, im Publikum, aber auch bei den Künstler*innen selbst.

Sie präsentieren also Künstler*innen, die beide Welten zusammenbringen?

Es sind jedenfalls Leute, bei denen man schwer definieren kann, was genau sie machen. Sven-Åke Johansson, der bei uns zu Gast ist, ist ein gutes Beispiel für die Verknüpfung von experimenteller Musik und Performancekunst. Johansson hat in Berlin Ende der 1960er im Zodiak Free Arts Lab mit Freejazz angefangen und hat unter anderem mit Peter Brötzmann zusammengespielt, auch auf dessen Platte „Machine Gun“.

Dann ist er in die Kunst gegangen?

Er hat sich immer mehr in Richtung Performance entwickelt. Bis er Konzerte gespielt hat, auf denen fast kein Schlagzeug mehr zu hören war. Oder er hat Konzerte für Traktoren oder Feuerlöscher geschrieben. Er spielt mit Geigenbögen Musik auf Kartons, dafür hat er auch ein Orchester gegründet.

Im Interview: Felix Kubin

49, ist Komponist, Hörspielmacher und Autor. Seit 1998 betreibt er das Schallplattenlabel "Gagarin Records".

Ist das dann noch Musik?

Das Schlagzeug bleibt sein Instrument, er hat es halt explodieren lassen. Aber alles, was er macht, kommt eindeutig aus dem Gedanken des Schlagzeugs. Wenn er Traktorenmusik dirigiert, interessiert er sich für den Rhythmus. Aber die Art, wie er den Raum nutzt, wie er auftritt, natürlich auch die Art der Musik, die er dann spielt, sind so geräuschhaft, so abstrakt, so weit weg von der klassischen Dramaturgie eines Schlagzeugkonzerts, dass man eben nicht mehr genau sagen kann, was das ist.

Irgendwo zwischen Musik und Kunst …

Mich hat immer schon das Ungreifbare interessiert und beim Festival interessieren uns auch Sachen, die ein bisschen schwer zu greifen sind, aber eindeutig mit einem Kunstgedanken verbunden. Holger Hiller wäre ein anderes Beispiel. Die Musik, die er mit Palais Schaumburg gemacht hat, ist stark von einem konzeptionellen und künstlerischen Plan getragen.

Und worin bestand bei ihm das Konzept?

Was ihn von anderen abhebt, die reine Mucker sind, ist zum Beispiel, dass er beim Schreiben seiner Texte nach einer Cut-up-Methode vorgeht. Dabei wusste er zu dem Zeitpunkt gar nichts von den Dadaisten und den Schnitttechniken, die die entwickelt hatten – zumindest sagt er das. Oder von Collagen oder den Techniken des Unbewussten, die die Surrealisten angewandt haben. Da gibt es so Kartenspiele und andere Versuche, die Linearität des Denkens aufzulösen. Das hat er direkt angewandt in seinen Texten, in seiner Musik. Eine Mischung aus einem strengen, fast mathematischen Arbeiten und gleichzeitig mit so verspielten Techniken und Soundarbeiten.

Ist das im Gegensatz zu experimenteller Klubmusik dann eher Kopfmusik?

Ich würde sagen: Spielmusik.

Das Experimentelle ist also nicht so sehr das Forschende, sondern eher das Verspielte?

Der Künstler muss in erster Linie die Denkfähigkeit der Menschen erweitern und deren Spieltrieb, die Fantasie anregen – ganz wichtig für Hamburg!

Der Stadt fehlt Fantasie?

Es gibt auf jeden Fall zu wenig Spieltrieb. Das Einzige, was in dieser Stadt fröhlich vor sich hinspielt, sind Bäume, die irgendwohin wachsen. In Hamburg werden ganz oft quadratische Flächen und Gebäude hergestellt, es ist alles immer so unverspielt. Hammerbrook hier zum Beispiel hat eine fast schon dystopische Traurigkeit, so eine industrielle Schwere.

Papiripar-Festival

Do, 17. 10., bis So, 20. 10., Hamburg,Westwerk und Künstlerhaus Wendenstraße

Programm: www.papiripar.com

Und das Verspielte begehrt dagegen auf?

Diese Tristesse im Alltag kann natürlich auch jemanden anregen, etwas damit zu machen. Ich sehe das Spiel nicht als etwas, das nur für Kinder da ist. Das Spiel ist sehr wichtig, um Begriffe immer wieder neu zu bewerten, mit ihnen zu arbeiten oder sie umzuwerfen und den Blick auf etwas zu verändern. Man erfindet im Spiel ja auch Dinge. Man erweitert die Welt, die nüchtern betrachtet zu unbeseelt und langweilig erscheint. In der spielerischen Erweiterung der Welt entstehen dann viel größere Welten und viel größere Gedanken. Und das hat Auswirkungen darauf, wie man lebt – wenn man es konsequent betreibt.

Dann ist das Spiel im Gegensatz zur marktkonformen Kreativität etwas Widerständiges?

Weil das Kunstwerk, egal welche Form es annimmt, nur im Raum zwischen Aufführendem und Publikum entstehen kann. Das Publikum interpretiert und verknüpft das, was es sieht, und hört, mit eigenen Emotionen, Erfahrungen und auch Widerständen. Das kann auch Wut sein, dass man sich über etwas ärgert.

Das Kunstwerk entsteht also in einem spielerischen sozialen Austausch?

Jede*r Besucher*in einer Ausstellung oder eines Konzerts erfindet etwas mit. Die besten Ausstellungen oder Konzerte sind die, bei denen ich konstant Ideen bekomme, die in mir so viel anregen und mich so begeistern, dass ich selbst etwas machen will. Deswegen sind die Künstler*innen immer ein bisschen neidisch auf die Musiker*innen, weil die Leute da sofort mitgehen, schreien und tanzen. Wie toll wäre es, wenn es mal eine Ausstellung geben würde, wo die Leute abgehen wie bei einem Musikkonzert und schreien: Was für geile Kunstwerke!

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