Großkonzerne kassieren bei Pflege: Senioren locken Investoren
Großkonzerne kaufen sich in Pflegeheime ein und hoffen auf satte Gewinne. Der Vorwurf: Diese gehen auf Kosten von Qualität und Personal.
Das Unternehmen werde „von den positiven Makrotrends im Pflegemarkt stark profitieren“, freute sich Deutsche Wohnen-Konzernchef Michael Zahn. Die französische Korian-Gruppe, hierzulande der größte private Pflegeheimbetreiber mit 28..000 Plätzen, lobt in ihrem Halbjahresbericht vom September Deutschland als den „größten und am schnellsten wachsenden Seniorenmarkt“. Mit „gesunder öffentlicher Finanzierung“.
Das Pflegeheim-Shopping rief Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf den Plan. Das „kapitalmarktgetriebene Fokussieren auf zweistellige Renditeerwartungen“ sei im Pflegebereich „nicht angemessen“, rügte Spahn. Er äußerte gar den Verdacht, sehr hohe Gewinne könnten nur durch „vorsätzliches Absenken der Versorgungsqualität zustande kommen“.
Die privaten Pflegekonzerne wehren sich gegen den Vorwurf, mit der Pflege überhöhte Gewinne zu machen. „Die tatsächlichen Netto-Renditen von Korian liegen weit unter den kolportierten ‚zweistelligen Profiten‘“, so eine Konzernsprecherin zur taz. Der Konzerngewinn 2017 entspreche 3 Prozent vom Umsatz der Gesamtgruppe.
40 Prozent der Heimplätze gehören Privaten
Korian nennt im Halbjahresbericht 2018 zwar eine operative Rendite, den sogenannten Ebitdar, von 24 Prozent für Deutschland. Das „Ebitdar“ ist aber ein operativer Gewinn vor dem Abzug von Steuern, Zinsen, Mietzahlungen und Pacht. Diese Bilanzierung ist für börsennotierte internationale Konzerne vorgeschrieben. Das ergibt relativ hohe Werte, die von Anlegern eines Unternehmens gerne gehört werden. Nur politisch sind diese Ebitdar-Werte eben ein ungutes Signal.
Auch Hermann Josef Thiel, Geschäftsführer der Consultingfirma Terranus, verweist auf die Nettoumsatzrendite. Diese liege beim Betrieb eines Pflegeheimes zwischen 3 und 5 Prozent. Eine Immobilienrendite, also der Ertrag aus Vermietung oder Verpachtung, betrage etwa 4 Prozent, sagt Thiel, der auch die Deutsche Wohnen berät.
4 Prozent sind immer noch mehr, als der Kapitalmarkt mit seinen niedrigen Zinsen hergibt. Die Frage bleibt, wie die Gewinnkomponente aus den Beiträgen von Pflegekassen, Bewohnern und Sozialämtern erwirtschaftet werden. Derzeit befinden sich etwa 40 Prozent der rund 900.000 Pflegeheimplätze in Deutschland in privaten Heimen, etwas über 50 Prozent werden von freigemeinnützigen Trägern wie der Caritas oder der AWO betrieben. 6 Prozent der Heime sind noch in kommunaler Trägerschaft.
Pflegekassen und Sozialhilfeträger verhandeln mit den Betreibern regional über die Heimentgelte, die sich aus Pflegesätzen und den Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie den sogenannten Investitionskosten zusammensetzen. Wenn eine Gewinnkomponente nicht offen in die Entgeltverhandlungen eingestellt wird, „muss man den Gewinn aus den Gesamtkosten erwirtschaften“, erklärt Susanna Kochskämper, Pflegeexpertin beim arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft (IW). Daraus resultiert der oft gehörte Vorwurf, Pflegeheimbetreiber würden ihre Gewinne aus Einsparungen bei Personal und Sachkosten ziehen.
Viele Heimbewohner können Eigenanteile nicht bezahlen
Das IW, aber auch gemeinnützige Träger wie die Caritas sprechen sich inzwischen dafür aus, in den Verhandlungen mit Pflegekassen und Sozialhilfeträgern offen einen erkennbaren prozentualen Aufschlag von 4 Prozent zu gewähren, den die Caritas als „Risikozuschlag“ bezeichnet. Herbert Mauel, Geschäftsführer des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), hält mit Verweis auf Studien eine Gewinnkomponente von 5 Prozent für angemessen.
Eine Gewinn-, Risiko-, oder sogenannte Wagniskomponente in den Entgeltverhandlungen festzulegen ist vielen privaten Betreibern aber zu planwirtschaftlich. „Die Diskussion um festgesetzte Wagniskomponenten nehmen wir als Ausdruck eines grundsätzlichen Misstrauens gegenüber unternehmerischem Handeln im Bereich sozialer Dienstleistungen wahr“, so die Sprecherin der Korian-Gruppe.
Der Pflegemarkt ist bisher schon stark reguliert. Sowohl die Pflegekassen als auch die Sozialämter fordern von den Betreibern umfangreiche Kostennachweise und wollen die Heimentgelte niedrig halten. Da viele Heimbewohner Hilfe vom Sozialamt beantragen müssen, weil ihr eigenes Geld für die Bezahlung der Eigenanteile nicht reicht, haben die Sozialbehörden in den Verhandlungen über die Heimentgelte ein gewichtiges Wort mitzureden.
In wohlhabenden Regionen ist man allerdings etwas großzügiger bei der Bemessung der Eigenanteile. BewohnerInnen in Nordrhein-Westfalen müssen im Schnitt 2.300 Euro monatlich aus eigener Tasche zuzahlen, in Sachsen sind es 1.200 Euro. Das ergab eine Erhebung des Verbandes der Privaten Krankenversicherung (PKV).
Mehr Leistung als im 4-Sterne-Hotel
Jeder zweite Pflegebedürftige werde durch diese hohen Eigenanteile von Sozialhilfe abhängig, rügt Eugen Brysch vom Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Die Eigenanteile sind zuletzt auch bedingt durch die Erhöhung der Gehälter in der Pflege beträchtlich gestiegen.
Man dürfe nicht vergessen, dass Pflege eine „außerordentlich aufwendige Dienstleistung“ sei, meint Thiel. Ein Haus mit täglichem Heimentgelt (inklusive Pflegeversicherung) von 130 Euro muss dafür Unterkunft, Essen, Hilfe beim Aufstehen, Anziehen, Waschen, Toilettengang, Ausziehen, Zubettgehen bieten. Ein besseres Vier-Sterne-Hotel im Urlaub offeriert zum gleichen Preis nur Halbpension. Und niemand beschwert sich.
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