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Kolumne Fremd und befremdlichDie Mär von der Alternativlosigkeit

Kolumne
von Katrin Seddig

Niedersachsens Bauern klagen, das Betäuben von Ferkeln vor der Kastration sei sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Aber das kann nicht stimmen.

Werden nach wie vor unbetäubt kastriert: Jungeber in einem Aufzuchtstall Foto: dpa

W ie wird ein Ferkel kastriert? „Der Schweinezüchter nimmt die Ferkel einzeln hoch, schneidet die Haut über den Hoden ein, drückt den Hoden heraus und durchtrennt den Samenleiter.“ So fand ich das bei „ProVieh“ erklärt.

Ich bin kein Mann, aber ich weiß, wie empfindlich Männer an ihren Hoden sind. Wenn man einen Mann kennenlernt, dann kriegt man das schnell mit. Männer werden ungern an ihren Hoden grob behandelt. Ihre Hoden sind eines der empfindlichsten Teile ihres Körpers. Und nun stelle man sich vor, ein Mann wird so am Hoden behandelt, wie ein Ferkel, man schneidet die Haut über den Hoden ein, drückt den Hoden raus und durchtrennt den Samenleiter. Das wäre doch mal was.

Aber man kann natürlich Schweine nicht mit Menschen vergleichen. Einen Menschen darf man nicht in der Pubertät schlachten, später auch nicht. Menschen stehen über den Schweinen.

Dennoch sind die meisten Menschen der Meinung, selbst die, die Fleisch essen, dass man Tiere nicht quälen soll. Das Verbot des Quälens von Tieren ist im Gesetz verankert, im Tierschutzgesetz. „An einem Wirbeltier darf ohne Betäubung ein mit Schmerzen verbundener Eingriff nicht vorgenommen werden.“, heißt es im §5 (1) des Tierschutzgesetzes.

Man stelle sich mal vor, ein Mann wird so am Hoden behandelt, wie ein Ferkel
Lou Probsthayn
Katrin Seddig

ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Das Dorf“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

So weit, so gut, aber dann gibt es die ganzen Ausnahmen, die auch in diesem Gesetz verankert sind. Nämlich für Fälle, wo es unpraktisch ist, einen schmerzhaften Eingriff ohne Betäubung vorzunehmen. Nachzulesen unter §5 (2) 1.-7. Tierschutzgesetz.

Für das Kürzen des Schwanzes, das Schleifen von Eckzähnen, das Kastrieren von klitzekleinen Babyrindern, -schafen, -ziegen etc. Da wäre es einfach aufwendig und lästig, jedes Mal vom Tierarzt eine Betäubung vornehmen zu lassen, wenn man da einen Zahn abschleift, einen Hoden entfernt oder einen Schwanz abschneidet. Wie soll ein Landwirt das hinkriegen, bei den heutigen Fleischpreisen?

Warum, fragt das kleine Ferkel, muss ich überhaupt kastriert werden, warum darf ich kein Mann werden? Damit du besser schmeckst, sagt der Landwirt, der Koch und der Genießer. Denn ein nichtkastriertes Ferkel schmeckt ein bisschen nach Mann, nach Eber. Das mögen manche Menschen nicht. Und der Geschmack ist nun mal an einem Schwein das Wichtigste.

Frau Otte-Kienast, Niedersachsens Landwirtschaftsministerin hat die Bauern am Montag zu einem Gipfel nach Hannover eingeladen. Denn das betäubungslose Kastrieren soll ab 2019 verboten sein. Es soll sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich sein, die Ferkel zu betäuben, klagen die Bauern. Deshalb wollen sie gerne einen Aufschub, eine Übergangslösung für diese Regelung. Es gebe keine Alternativen, heißt es.

Da ist es mir ein Rätsel, wie ausgerechnet Firmen, wie Aldi-Süd und Rewe schon seit 2016 erklären, kein Fleisch mehr zu führen, das von betäubungsfrei kastrierten Tieren kommt. Wie geht das? Wie kriegen deren Lieferanten das hin? Und wie kriegen die ihr Jungeberfleisch los, das sie erklären, auch zu verkaufen? Geht es nun oder geht es nicht?

Es kommt mir so merkwürdig vor, wenn Unternehmer sagen, dass sie etwas nicht hinbekommen, dass es keine Alternativen gibt. Haben wir hier eine flexible Industrie, einen freien Markt? Sind wir in der DDR, oder was? Gibt es wirklich keine Lösungen? Und die Schweine? Die vor Schmerzen schreienden kleinen Schweine? Tja, es hat doch bisher niemanden interessiert. Warum fängt man jetzt an, Theater zu machen?

Ein Schwein hat keine Rechte. Ein Schwein ist nur ein Schwein. Wäre es ein Hund, dann dürfte es in unserem Bett schlafen. Dann dürfte es ein Jäckchen tragen, wenn es regnete, es würde gestreichelt und geküsst werden. Aber leider ist es ein Schwein. Es ist ebenso intelligent wie ein Hund und ebenso zärtlich und anhänglich. Aber es ist ein Schwein. Pech gehabt. Der eine wird als Hund geboren, der andere als Schwein. Der eine frisst, der andere wird gefressen. So ist das in der Natur, wie in der Marktwirtschaft. Und wer nicht geschmeidig bleibt, der muss halt sehen, wo er bleibt.

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6 Kommentare

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  • Hab mich auch aufgeregt und dann die Bio-Bäuerin meines Vertrauens gefragt. Sie meint: Ferkel sind - wie menschliche Säuglinge auch - noch nicht so empfndlich am Hoden und die Kastration geht sehr schnell. Eine Narkose jedoch setzt Ihnen viel mehr zu, einige sterben. Am Besten ist natürlich gar nicht zu kastrieren. Viele Medien haben hier zu einseitig berichtet und die Empörungsindustrie (changeorg, etc.) macht den Rest. Bin nicht von der Agrarlobby, nur für Sachlichkeit.

  • Was wir auf jeden Fall nach der jahrelangen Diskussion brauchen, ist eine jahrelange Übergangsfrist und dann noch eine Verlängerung der Übergangsfrist, sonst kommt das Alles zu plötzlich.

  • "Aber man kann natürlich Schweine nicht mit Menschen vergleichen. Einen Menschen darf man nicht in der Pubertät schlachten, später auch nicht. Menschen stehen über den Schweinen."

    Bleibt zu hoffen, dass das Sarkasmus ist. Dann danke dafür. Und gleich kommen die Menschenschützer aus ihren Löchern und erklären uns, was am Menschen offensichtlich besser sein muss.

    Ein Eklärungsansatz: Menschen kommen öfter in den Nachrichten. Also erscheinen. Und wenn Schweine vorkommen, dann ist ihr Auftreten immer desaströs, zu erkennen daran, dass sich die Zuschauer dann schlecht oder bevormundet fühlen.

    • @Christian Clauser:

      warum muss denn das Sarkasmus sein?



      Ist nicht jedes lebende Wesen gleich viel Wert?



      Was erhebt denn den Mensch über ander fühlende Wesen?, ausser vielleicht unsere Arroganz zu glauben etwas besseres zu sein???

      • @nolongerquiet:

        Sarkasmus dahingehend, dass man darauf kommen könnte, Menschen zu schlachten. Da würden dann einige aufschreien - grundsätzlich natürlich zurecht.



        Aber zu Unrecht, weil andere Tiere zu schlachten exakt dieselbe Ungerechtigkeit ist.



        Genau auf die angesprochene Arroganz zielt mein "Erklärungsansatz" :)

      • @nolongerquiet:

        So ein Quatsch. Den wenigsten sind alle Menschen gleichwert. Allein schon Familie gegen Restmenschheit...