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Berliner Einheitsbrei

Berlin feiert 28 Jahre Wieder-vereinigung: Nazis ziehen durch die Straßen, Moscheen sind offen und die Treuhand ist wieder da

Die einen demonstrieren gegen die Freiheit Foto: ... Foto: M. Kappeler/dpa

Nazis am Hauptbahnhof

Reisende, die an diesem 3. Oktober am Hauptbahnhof ankommen, werden von einem Meer von Deutschlandfahnen begrüßt. Das gehört allerdings nicht zu den Einheitsfeierlichkeiten, sondern zu Menschen mit einer sehr speziellen Vorstellung davon, wie dieses Deutschland denn aussehen will: Die rechtsextreme Organisation Wir für Deutschland um den Marzahner Aktivisten Enrico Stubbe hatte für diesen Tag zur „Patriotischen Großdemonstration“ aufgerufen. Rund 1.000 Menschen und damit so viele wie angemeldet folgten diesem Aufruf, für die Rechtsextremen ein kleiner Erfolg: Die Aufmärsche von Wir für Deutschland, die alle paar Monate in Berlin stattfinden, hatten zuletzt nur noch wenige hundert Teilnehmer angezogen.

Neben dem attraktiven Datum dürften auch die Ereignisse der letzten Wochen der Mobilisierung Auftrieb gegeben haben: Die Aufmärsche in den sächsischen Städten Chemnitz und Köthen wurden auch in Berlin und Brandenburg in der rechten Szene als Erfolg verbucht. Der Brandenburger Rechtsextremist Kay Hönicke, eine der zentralen Figuren von Wir für Deutschland, hatte in Chemnitz als Redner für die Demonstration in Berlin geworben.

Das Spektrum, das sich an diesem Mittwochnachmittag am Europaplatz vor dem Hauptbahnhof versammelt, hat selbst auch Ähnlichkeiten mit dem, was sich zuletzt auf den Straßen in Chemnitz traf: Junge, aktionsorientierte Neonazis stehen Seite an Seite mit älteren Menschen, die die Bezeichnung „Nazi“ empört von sich weisen. Es ist weniger die straff organisierte Kameradschaftsszene, wie man sie in Berlin zuletzt beim Rudolf-Heß-Gedenkmarsch im August erleben konnte, sondern etwas loser organisierte Zusammenhänge mit Überschneidungen zur Hooliganszene. Doch auch Szenegrößen wie der ehemalige Berliner NPD-Chef Sebastian Schmidtke sind gekommen.

Rund um die Kundgebung am Hauptbahnhof schreien sich die überwiegend jungen GegendemonstrantInnen die Seele aus dem Hals. Hier sind sie in der Unterzahl, allerdings hatte es auch keine größeren Aufrufe zu Protest an dieser Stelle gegeben. Weiter nordöstlich, am Pappelplatz, der an der Route liegt, gibt es eine Anwohnerkundgebung, an der rund 1.000 Menschen teilnehmen.

Bis Redaktionsschluss gibt es auf der Route mehrere kleine Sitzblockaden, aufgehalten werden die rechtsextremen Demonstranten aber nicht, die während ihres Aufmarschs alle Strophen des Deutschlandlieds singen. Für den Abend hatten die Rechten eine zweite Aufmarschroute in Friedrichshain angemeldet. Malene Gürgen

Meile der Gegensätze:das Einheitsfest

Die Replik sitzt. Eigentlich wollte Daniel Gyamerah Internationale Politik in Dresden studieren. Beim ersten Besuch in der Stadt war ihm allerdings schnell klar: Geht nicht. Als schwarzer Deutscher ist man in Dresden automatisch Ausländer. Also studiert er in Konstanz. Diese Geschichte erzählt Gyamerah dem ehemaligen ZDF-Mann Holger Kulick auf einer Podiumsdiskussion auf dem Fest der deutschen Einheit. Kulick hatte die deutsche Einigung zuvor vor allem mit einem in Verbindung gebracht – dem Ende der Angst.

„Das größte Fest des Jahres“ hat der Senat seine Festmeile zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule genannt. Das unberechenbare Herbstwetter machte den Superlativ zunichte. Aber auch das mit dem Fest stimmte nicht ganz. Wer Bratwurst wollte, bekam sie natürlich, aber es gab auch genügend Angebote, die vergangenen Jahrzehnte seit Mauerfall und deutscher Vereinigung Revue passieren zu lassen. Und Nachdenklichkeit ist wahrlich nicht das schlechteste in Zeiten, in denen die Wörter Ost und West wieder verstärkt im Tonfall des Vorwurfs formuliert werden.

Weniger nachdenklich als um verschiedene Perspektiven bemüht ist die Ausstellung „Halbzeit“ über die elf Monate zwischen dem 9. November 1989 und dem 3. Oktober 1990. Von Freiräumen und besetzten Häusern erzählt die von Björn Weigel kuratierte und an Litfaßsäulen angebrachte Schau, von den 36-Boys, die die Nazis am Alex zurückdrängten, von den langen Schlangen in der Westberliner Geschäften und ersten Plakaten „Ossi go home“.

Es ist ein typisch Berliner Beitrag zum Thema, in dessen Mittelpunkt eine seltsam fiebrige Freiheit steht, die am 3. Oktober wieder auf 37 Grad Betriebs­temperatur heruntergeregelt wird. Die Einheit als Ende der Freiheit: In anderen Bundesländern wäre damit fast ein Skandal zu machen.

So aber steht die Ausstellung inmitten von Fressbuden und weißen Zelten von Institutionen der deutsch-deutschen Vergangenheitsbewältigung, Sportvereinen, Feuerwehr und Polizei. Nicht fehlen darf auch VW. Den Dieselskandal darf der Autobauer aus Wolfsburg mit einer Präsentation von Elek­troautos der Zukunft weißwaschen. Das Fest zur deutschen Einheit als Meile der Gegensätze: Auf der einen Seite präsentiert Re:Publica das Thema „Zukunft & Innovation“. Gegenüber stellen die Feldjäger ihre neuen Fahrzeuge vor. Uwe Rada

Am Feiertag ist dochZeit für die Moschee

Bekleidet mit einem weiten grünen Mantel und Kopftuch mit Blumenmuster steht Fatma Biyiklivor vor der Fatih-Moschee. „Hallöchen“, ruft sie fröhlich, sobald sich Gäste nähern. Das Gebetshaus im Kreuzberger Wrangelkiez gehört zu den 30 Moscheen, die am Mittwoch in Berlin zum Tag der offenen Tür eingeladen haben.

Es ist das 21. Mal, dass der Tag der offenen Moschee an einem 3. Oktober stattfindet. Organisiert wird die bundesweite Aktion von den vier größten islamischen Verbänden in Deutschland. Dazu gehört auch die Islamische Föderation, der die Fatih-Moschee im Wrangelkiez angehört.

Die Fatih-Moschee sei türkisch geprägt und nehme für sich in Anspruch, politisch unparteiisch zu agieren, sagt Muhammed Cim vom Männervorstand. Aber man kooperiere auch mit Ditib. Mit bis zu 400 Gläubigen beim Freitagsgebet sei die Fatih-Moschee nahezu ausgelastet, erklärt der 35-jährige Lagerist. Aber auch afrikanisch- und arabischstämmige Gläubige kämen zum Freitagsgebet. Er selbst bete fünf Mal am Tag. Aber das täten in Berlin nur wenige Gläubige. „Die Religiosität der Leute nimmt ab.“

Die Rechtsanwältin und liberale Muslimin Seyran Ates bezeichnete es am Mittwoch als falsch, am Tag der Deutschen Einheit den Tag der offenen Moschee zu feiern. In vielen Moscheen gebe es islamische Parallelwelten, die sich fern der Ideale der Bundesrepublik bewegten. Ates warf dem Koordinationsrat der Muslime, dem Zentralrat der Muslime und der Ditib vor, am deutschen Nationalfeiertag zu signalisieren, dass ihnen Religion wichtiger sei als Integration.

Er halte die Kritik für aufgesetzt, sagt Cim. „Am Tag der Einheit haben die Leute Zeit, das ist doch eine gute Gelegenheit, mal eine Moschee kennenzulernen.“ Plutonia Plarre

Hedonisten feiern „Tag der Vermögenseinheit“

Ein paar hundert Meter Luftlinie hinter dem Brandenburger Tor haben die KapitalismuskritikerInnen von der Hedonistischen Internationale am Mittwochmittag Position vor dem Bundesfinanzministerium bezogen. Von der Ladefläche eines Lkw dröhnt basslastiger Elektro, es gibt Kuchen, ein paar Kinder versuchen vor dem Wagen ein paar Tanzschritte, doch die Eltern ziehen sie weiter.

... die anderen feiern sie Foto: Chr. Soeder/dpa/picture alliance

Gefeiert wird hier auch nicht die deutsche Wiedervereinigung, hier wird – durchaus mit Spaß an der Sache – gegen den Finanzkapitalismus als solchen protestiert. Denn Deutschland feiere zwar seit Jahr und Tag am 3. Oktober den Tag der Deutschen Einheit, doch de facto sei durch die ungleiche Verteilung von Besitz die Gesellschaft „gespaltener denn je“, wie es in dem Demonstrationsaufruf auf Twitter heißt.

„Wir ergänzen das Fest der deutschen Einheit deshalb um einen notwendigen Kommentar“, erklärt Mitorganisator Michael Lehmann. „Wir verteilen um“, steht auf seinem Pappschild, dazu trägt Lehmann allerdings die Uniform des Gegners: Anzug, Hemd, schwarze Schuhe (wenn auch nicht geputzt). Die KapitalismuskritikerInnen haben einen Hang zu satirischen Aktionen: Am 1. Mai mobilisierten sie 3.000 Menschen, die mit Slogans wie „Alles allen“ durch das „Problemviertel“ Grunewald zogen.

Am Mittwoch sind es nicht ganz so viele, etwa 50 Leute haben sich vor der Lkw-Bühne versammelt, fast genauso viel Polizei steht drumherum. Dann springt eine Frau, die sich Frauke Geldher nennt, im knallroten Kostüm vors Mikro und verkündet feierlich den „Tag der Vermögenseinheit“. Man gründe hier und heute die „Neue Treuhand – Bundesanstalt für vereinigende Sonderaufgaben“.

„Im besten Fall sind wir so effektiv wie unser Vorbild“, grinst Demo-Teilnehmer Micha – die Treuhand war für die Reprivatisierungen nach der Wiedervereinigung verantwortlich. Bei der Einheitsfeier am Brandenburger Tor wollen er und sein Kumpel Johannes nicht vorbeischauen: „Ist nicht meine Party“, meint Johannes. „Was soll ich da feiern – dass ein Horst Seehofer immer noch Innenminister ist?“

Dann wird Micha ernst: An den ganzen Nazis, die heute durch Berlin laufen wollten, an diesem ganzen verdammten Rechtsruck im Land, sehe man doch auch, „dass sich da viele mit dem Mauerfall etwas anderes versprochen hatten“.

Die neue Rechte, sagt Organisator Lehmann auf die Frage, wie viel am Mittwoch bei der Aktion Ernst und wie viel Quatsch sei, wolle spalten. Das könne man so natürlich nicht stehen lassen. Anna Klöpper

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