Entscheidung zur Fußball-EM 2024: Ohne Geschrei und laute Töne
Ausrichterkandidat Türkei gibt sich vor Vergabe der Fußball-EM 2024 optimistisch. Auch weil sich Staatspräsident Erdoğan zurückgehalten hat.
Schon während der Bewerbungskampagne hatte sich Erdoğan auffällig zurückgenommen: keine reißerischen Anschuldigungen, kein Aufwiegeln der Massen, die EM-Bewerbung war schlicht nie Thema. Dies könnte eine Maßgabe der PR-Agentur „Vero Communications“ gewesen sein, die schon einige internationale Turniervergaben erfolgreich lobbyiert hat. Zuletzt verhalf die Firma Katar zur WM-Ausrichtung 2022.
Auch im eigenen Land wurde eine Debatte um die türkische EM-Bewerbung vermieden. Einzig die englischsprachige Regierungspostille Daily Sabah schrieb nach Protesten einiger Fans gegen die DFB-Bewerbung am vergangenen Wochenende: „Sogar die deutschen Fans wollen nicht die EM in Deutschland.“ Zuvor waren im Zuge der Özil-Affäre vor allem die Rassismusvorwürfe gegen DFB-Präsident Reinhard Grindel von Politikern und Medien aufgenommen worden.
Vor allem die wenigen noch verbliebenen oppositionellen Medien kommentierten den jüngst veröffentlichten Evaluationsbericht der Uefa. In der linken Tageszeitung Evrensel ging der Kolumnist Mithat Fabian Sözmen auf den dort monierten fehlenden Schutz der Menschenrechte ein.
Aber, so Sözmen, das müsse kein Nachteil sein: Die Uefa würde, wie auch die Fifa und das IOC, meist die eigenen Interessen über Demokratiebestrebungen der Ausrichterländer stellen. Vielmehr stelle der Bericht einen großen Pluspunkt der türkischen Bewerbung heraus: die bedingungslose Unterstützung aller steuerlichen und rechtlichen Forderungen der Uefa durch den Präsidenten.
Nur vier Fußballstadien
Der türkische Verbandspräsident Yıldırım Demirören lobt vor allem die umfassenden Investitionen in Infrastruktur und Stadien. Aber genau in dieser Frage hat der Bericht Kritik an der Türkei geübt. Für Spiele ab dem Viertelfinale seien nur vier Stadien im Nordwesten des Landes geeignet, zudem gebe es außerhalb Istanbuls und Antalyas nur begrenzte Hotelkapazitäten.
Das größte Fragezeichen steht jedoch hinter dem Transportwesen. Die Türkei plant Investitionen im Umfang von 17 Milliarden Euro in das bisher kaum ausgebaute Streckennetz für Schnellzüge. Ein Großteil davon soll erst in den kommenden Jahren fließen, was ein Hindernis für die Pläne bedeuten könnte. Infrastrukturprojekte in dieser Größenordnung werden meist an Joint Ventures mit ausländischen Bauunternehmen vergeben, die Garantien in Fremdwährungen ausgestellt bekommen. Durch den kürzlich rapiden Verfall der eigenen Währung verteuern sich Bauprojekte nun um ein Vielfaches.
Inwiefern die Krise in der Türkei in die Entscheidung der Uefa-Delegierten einfließt, ist schwer abzuschätzen. Der Evaluationsbericht erwähnt lediglich, dass die „aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen die geplanten öffentlichen Investitionen unter Druck setzen könnten“. Eine andere Frage ist, ob bei einer von extremen Preisanstiegen und wachsenden Arbeitslosigkeit gebeutelten Bevölkerung die Freude über ein Großturnier im eigenen Land überwiegt, oder doch eher der Frust über die verschwenderischen Ausgaben.
Bei seinem Deutschlandbesuch in der vergangenen Woche versuchte Finanzminister Berat Albayrak Vorbehalte wegzuwischen: Die Wirtschaft der Türkei sei stabil, die Stadien bereit. Und brachte damit das Mantra der türkischen Bewerbung auf den Punkt: Beton statt Bedenken.
Am Ende könnte dies vielleicht den Nerv der Entscheidungsträger treffen. Uefa-Präsident Aleksander Čeferin ließ zuletzt durchblicken, dass man sich nur ungern zu politischen Themen äußere. Die 17 Mitglieder des Exekutivkomitees treffen überdies ihre Entscheidung unabhängig vom Evaluationsbericht nach besten Wissen und Gewissen – was auch immer das bedeuten mag.
Ein Gewinner steht indes schon fest: Wenn Präsident Erdoğan am Donnerstagabend in Berlin landet, kann er sich entweder über einen der größten Prestigeerfolge seiner Regierungszeit freuen, oder mit einer Gratulation an den DFB den aktuellen Annäherungskurs an die deutsche Regierung untermauern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge