Festival-Empfehlung für Berlin: Musiktheatrale Interventionenen
In seiner ersten Ausgabe bringt das „Berliner Festival für aktuelles Musiktheater – BAM!“ ab Donnerstag zusammen, was sich in der Freien Szene tummelt
Sie können mit Opern nichts anfangen? Dann gehen Sie doch ins Musiktheater! Während beide Begriffe früher mehr oder weniger gleichzusetzen waren, wird „Musiktheater“ heute als Oberbegriff für eine Vielzahl von performativen Formaten gebraucht, zu denen musikalische Bühnenexperimente ebenso gehören wie herkömmliche Opernaufführungen.
In Berlin boomt eine Freie Szene, in der sich unendlich vieles tummelt, was sonst nur schwer unter einen gemeinsamen Nenner zu bringen wäre – wenn man eben nicht dieses schöne große Label dafür hätte.
Seit drei Jahren gibt es auch ein gemeinsames organisatorisches Dach dafür: Im Verein ZMB (Zeitgenössisches Musiktheater Berlin) haben sich freie Gruppen und Einzelakteure zusammengeschlossen, um gemeinsame Interessen besser nach außen vertreten zu können. Nun hat der Verein ein Festival auf die Beine gestellt, auf dem sich zwischen dem 20. und dem 23. September ein Ausschnitt aus dieser bunten Szene in geballter Form erleben lässt.
Unter dem explosiven Namen BAM!, kurz für Berliner Festival für aktuelles Musiktheater, können an dreizehn Veranstaltungsorten in Berlin-Mitte mehr als dreißig verschiedene Aufführungen besucht werden, darunter allein vierzehn Uraufführungen.
BAM! – Berliner Festival für aktuelles Musiktheater: verschiedene Orte, 20.–23. 9., Ticketpreise gestaffelt, www.bam-berlin.org
Schon an den gewählten Locations ist erkennbar, dass man – und zwar sehr oft im Wortsinne – abseits ausgetretener Pfade wandeln möchte. Denn neben etablierten Veranstaltungsorten wie den Sophiensælen und der St. Elisabeth-Kirche werden auch Galerien, Clubs und Bars bespielt.
Und wer am liebsten in Bewegung bleibt, kann sich z. B. zu Fuß auf den Weg rund um den Rosenthaler Platz machen – geleitet vom einem „musiktheatralen“ Audioguide, dem unter anderem der Countertenor Daniel Gloger seine Stimme geliehen hat –, eine multimediale Tour durch die verborgenen Räume der Villa Elisabeth buchen, oder mit dem Opera Lab Berlin auf „Lonely Hearts Bus Tour“ gehen.
Das Experimentieren mit der Gattung Musiktheater ist dabei keineswegs ein Alleinstellungsmerkmal einer neuen Generation von BühnenkünstlerInnen. Ein Urgestein der Szene ist sozusagen posthum auf dem Festival vertreten und hat die persönliche Anwesenheit dabei nur sehr knapp verpasst: Am Pfingstsonntag dieses Jahres starb im Alter von 88 Jahren der Komponist Dieter Schnebel, einer der wichtigsten Protagonisten der musikalischen Avantgarde in Deutschland. Erst zwei Monate zuvor war im Verlag Edition Musiktexte Schnebels Buch „MO-NO“ in einer erweiterten Neuausgabe erschienen.
Das Werk, entstanden im Jahr 1969, trägt die Unterzeile „Musik zum Lesen“. Es enthält sogenannte „grafische Musik“, das heißt, keine konventionelle Notenschrift, sondern Texte (nach dem Willen des Autors als „Denkanweisungen“ zu verstehen) und vor allem diverse Grafiken, anhand derer die Betrachter*innen eigene musikalische Gedanken entwickeln können.
„Die Lektüre des Buchs will im Kopf des Lesers Musik entstehen lassen, so daß er im Lesen allein seiend – mono – zum Ausführenden von Musik wird, für sich selbst Musik macht“, heißt es dazu im Klappentext. Unter anderem war Schnebel ein großer Anstifter (und offenbar auch ein ziemlich guter Grafiker).
Ob nun diese Lese-Musik ein Avantgardekonzept von vorgestern ist oder auch heute noch etwas in den Köpfen in Gang setzt, lässt sich während der BAM!-Tage am eigenen Hirn erkunden, denn in der Auguststraße 2 (HRD Bar Art House) sind von Freitag bis Sonntag (je 15–21 Uhr) „MO-NO“-Originalmanuskripte ausgestellt. Der Besuch kostet auch rein gar nichts und ist somit ein freundlich niedrigschwelliges Angebot für das unverbindliche Hineinschnuppern ins Festivalgetriebe.
An anderer Stelle könnte zumindest der Geist Dieter Schnebels über dem Geschehen schweben, denn mit dem Ensemble „Maulwerker“ sind auf dem Festival seine direkten Erben vertreten. Er selbst hatte die Gruppe anno 1977 ins Leben gerufen, und seitdem haben mehrere Generationen von Maulwerkern in wechselnder Besetzung performt.
Am 20. und 21. 9. gibt die derzeitige Crew im Acker Stadt Palast (Ackerstr. 169) die „Breakfast Opera“ der japanischen Berliner Komponistin Makiko Nishikaze zu Gehör, die Menschen aus aller Welt nach ihren Frühstücksgewohnheiten befragt und „Sprachen, Klänge, Gerüche, Gesten und Bilder“ zu einer multimedialen Komposition arrangiert hat.
Auch andere Produktionen, zum Beispiel „Voices of Hidden Places“ (20.–21. 9., Acud, Veteranenstr. 21) der irischen Komponistin Karen Power mit dem Ensemble Mosaik, verfolgen einen dezidiert multimedialen Ansatz. Unter Einbeziehung von Audioaufnahmen, die Power im Regenwald des Amazonas machte, entsteht eine „immersive Musiktheaterinstallation“, durch die jede Besucherin und jeder Besucher ihren ganz individuellen Erlebnisweg nimmt.
Und sollte es wieder Erwarten doch noch ganz Wahrnehmungsverstockte unter den FestivalbesucherInnen geben, so wird hier und da die Performerin Merial Price unvermutet mit „kleinsten musiktheatralen Interventionen“ die öffentliche Ordnung auf dem Festivalareal stören. Niemand sei „sicher davor, ihnen zu begegnen“, warnt das Programmheft. „Staring at the bin“ nennt Price ihr Programm. Mit dem Mülleimer ist das Smartphone gemeint. Also besser gut wegstecken.
Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer Donnerstags in der Printausgabe der taz
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