piwik no script img

Kolumne German AngstRoter Teppich für die Nazis in Köthen

Am Sonntag sind wieder Rechtsextreme durch Köthen gelaufen. Doch anstatt den Nazis etwas entgegen zusetzen, schließen viele nur die Augen.

Knapp 1.400 Rechte gingen am Sonntag in Köthen auf die Straße Foto: dpa

J a, ich war vor Sonntag schon mal in Köthen. Dort habe ich eine russische Bekannte an der Hochschule Anhalt besucht. An jener Fachhochschule, die nun ihre Studierenden warnte, am Sonntag in die Stadt zu gehen. Sogar eine Notfallhotline wurde für eingerichtete. Rechte oder Nazis wurden nicht erwähnt, nur „potentiell gefährliche Demonstrationen“. Die Studierenden werden es verstanden haben.

Am Sonntag war ich dort zum zweiten Mal. Köthen hat nicht mal 26.000 EinwohnerInnen und ein paar Gäste mehr: Faschisten, Rechte und bürgerliche Fanboys. Aber auch ein paar hundert Gegendemonstranten. Eine Frau schreibt in einem Forum, die Köthener wünschten sich, dass am Sonntag niemand in das friedliche Köthen reise. Niemand. Sie schreibt: Die Straßen seien nicht so groß wie die in Chemnitz. Viele sehen es so, wie diese Frau. Lieber die Augen zu machen, Decke über den Kopf. Hitlergrüße, Hassreden und Hetzjagden sind ja erst dramatisch, wenn sie zur Strafanzeige kommen. Ein paar Tage später. Oder nie.

Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht bittet die Bevölkerung, die Augen vor Faschisten und Rechten zu verschließen. Wortwörtlich. Die KöthenerInnen sollten ihre Rollläden herunterlassen, „um ein Zeichen zu setzen, dass man die nicht sehen will“.

Verstehe diese Kapitulation wer will. Absolut nachvollziehbar, dass nicht wenige, dort wo jedeR jedeN kennt, Angst haben, gegen Nazis auf die Straße zu gehen. Absolut unverständlich aber jene, die Stahlknecht vorausgeeilt sind und von dem kleinen Rest Engagierter von Außerhalb fordern, Köthen zu meiden. Sie rollen den Rechten den roten Teppich aus, räumen die bunt gemalten Straßen frei für Hass, Hetze und Übergriffe.

Nett sein ist nicht genug

Dabei ist die Stimmung in Sachsen und Sachsen-Anhalt auch so: Nicht wenige Nichtrechte auch unter den Regierenden haben Angst, dass ihnen ihre Stadt unter dem Amtssessel angezündet wird, dass die Leute lieber ihr Dorf brennen lassen, als dieselbe Luft mit Zugezogenen zu atmen. Ende letzter Woche trafen sich in Dessau Politiker aus der Region. Sie unterschrieben auf dem Köthener Stadtwappen, darauf stand: „Kraft, Mut und Unterstützung wünschen wir allen, die angesichts von Trauer und Wut und Fassungslosigkeit weiter die Grundwerte eines demokratischen Staates achten und leben: Vielfalt, Weltoffenheit und Toleranz“.

Das ist richtig und eine nette Geste. Aber nett reicht nicht mehr bei einer Stimmung, die an die 90er erinnert. Das Grußwort ist wie die allerletzte Message, abgesetzt von einem Rest intelligenten Leben und ins Weltall geschickt. Tschüss, das waren wir. Wir machen keine Politik mehr. Dürfen wir noch wen grüßen? Ja, dann jene, die an unserer statt für Demokratie einstehen!

Man kann nur hoffen, dass bald wieder Politik gemacht wird. Aus den Parlamenten und Stadtregierungen, in denen die Leute hin- und nicht wegsehen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Sonja Vogel
tazzwei-Redakteurin
Vollzeitautorin und Teilzeitverlegerin, Gender- und Osteuropawissenschaftlerin.
Mehr zum Thema

0 Kommentare