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Kolumne Erste FrauenWie der Basketball in Frauenhand kam

Seit 1893 spielen Frauen Basketball. Ohne das Engagement der Sportlehrerin Senda Berenson wäre das nicht möglich gewesen.

Seit 1893 auch in Frauenhand: der Basketball Foto: Zink / Imago

B is vor einigen Jahren war die sogenannte ideale Frau ein Fräulein mit wenig Hüfte, wenig Gewicht und wenig Hirn, das stolz war auf seine zerbrechliche Gesundheit, fasziniert von Hysterie, und es interessant fand, in Ohnmacht zu fallen.“

So schrieb Senda Berenson in einem Brief im Jahr 1894, und man darf daraus schließen, dass Berenson nicht nur eine kluge Beobachterin ihrer Zeit, sondern auch eine durchaus unterhaltsame Person war. Die US-amerikanische Basketball-Pionierin organisierte das erste bekannte Frauen-Basketballspiel der Welt, und hatte auch darüber hinaus eine einigermaßen spektakuläre Lebensgeschichte.

Senda Valvrojenski heißt sie bei ihrer Geburt, die nicht in den USA, sondern im heute litauischen Vilnius stattfindet. 1868 ist Vilnius Teil des Russischen Zarenreichs, und Senda Valvrojenski Tochter einer polyglotten jüdischen Familie. Der Vater aber tut sich mit dem Judentum schwer, und 1874 beschließt er die Auswanderung in die Vereinigten Staaten: Die Familie soll sich von den jüdischen Wurzeln trennen und nur noch Englisch sprechen.

Dass die Tochter, die jetzt Senda Berenson heißt, Sportpionierin werden würde, ist völlig unwahrscheinlich: Sie ist ein schwächliches, krankes Kind, das ständig die Schule verpasst. Sport treibt sie nie; stattdessen wird sie, wie es sich für eine Tochter städtischer Intellektueller gehört, in Kunst, Musik und Literatur unterwiesen.

Vom Klavier an den Ball

Ihr Leben aber bleibt kompliziert: Ein Klavierstudium muss Berenson wegen ihrer Rückenprobleme aufgeben, und sie kämpft bis 1890 wohl auch mit Depressionen. Den Heiratsantrag eines Mannes, mit dem sie eine Affäre hat, schlägt sie 1888 aus. Senda Berenson, stur und fragil, nimmt Unterricht an einer Sportschule, vor allem, um ihre Gesundheit zu stabilisieren. „Wie ich diese Schule in den ersten paar Monaten gehasst habe“, schreibt sie später. Aber der Sport hilft tatsächlich, und das gibt den Wendepunkt. Mit 23 Jahren wird Senda Berenson Sportlehrerin am Smith College in Boston.

Mannschaftssport ist Ende des 19. Jahrhunderts für Frauen kaum denkbar. Einzelsportarten wie Reiten, Turnen oder Tennis sind gerade noch okay. Berenson aber stellt schnell fest, dass ihre Mädchen am College das Turnen massenweise schwänzen. Wesentlich mehr halten sie von einer Sportart, die Berenson 1892 an der Schule einführt und erst kurz zuvor vom Kanadier James Naismith erfunden wurde: Basketball.

1893 organisiert Senda Berenson das erste Frauen-Basketballspiel der US-amerikanischen Geschichte, ohne Männer im Publikum. Zwei Jahre später gibt es schon mehrere hundert Frauen-Basketball-Teams in den USA. Das Originalspiel ist der Pionierin dann allerdings doch zu wild; 1901 gibt sie ein selbst entwickeltes Regelwerk „Basketball für Frauen“ heraus, das bis in die sechziger Jahre Standardwerk bleibt.

Engagierte Sportlehrerin

Und in einer Welt, wo Vorstandsposten im Sport für Frauen nicht vorgesehen sind, ist sie zwölf Jahre lang, bis 1917, Vorsitzende eines frühen US-Basketballkomitees. 1984 wird sie als erste Frau in die Basketball Hall of Fame aufgenommen.

All das ist offenbar nicht genug Beschäftigung. Zwischenzeitlich führt sie noch Feldhockey und Fechten am Smith College ein, und adaptiert Volleyball für Frauen. Auch nach ihrer Hochzeit mit einem Lehrerkollegen bleibt sie berufstätig und ist bis zum Alter von 53 Jahren Lehrerin an einer privaten Mädchenschule. Senda Berenson stirbt 1954 im kalifornischen Santa Barbara.

Sie hinterlässt ambitionierte weibliche Verwandtschaft. Berenson ist Urgroßtante eines prominenten Geschwisterpaars – der verstorbenen Fotografin und Schauspielerin Berry Berenson und der für einen Golden Globe nominierten Schauspielerin Marisa Berenson, die auch als Model Karriere gemacht hat.

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Alina Schwermer
freie Autorin
Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum, Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen zum Beispiel im Fußball und übers Reisen. 2018 erschien ihr Buch "Wir sind der Verein" über fangeführte Fußballklubs in Europa. Erzählt von Reisebegegnungen auch auf www.nosunsets.de
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