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Seehofer jammert im SommerinterviewMaximal unsouverän

Tobias Schulze
Kommentar von Tobias Schulze

Der Innenminister probt die Opferrolle als seinen neuen Habitus. Dabei sollte ihm klar sein, dass ihm diese Masche niemand abkaufen wird.

„Seehofer der Beleidigte“ ist eine alte Rolle. Die neue heißt: „Seehofer der Gescheiterte“ Foto: reuters

F ür Horst Seehofer ist Horst Seehofer ein ganz schönes Opfer. Alle haben sich von ihm abgewandt, keiner versteht ihn und jetzt haben sich auch noch die Medien gegen ihn verschworen. Der Diffamierte, der Betrogene, der Gemobbte: Das ist die Rolle, in der sich der CSU-Chef und Innenminister in diesem Sommer suhlt.

Am Sonntag war es mal wieder so weit: Im ARD-Sommerinterview beklagte sich Seehofer, er und seine Partei seien in der Asyldebatte „in Bezug gesetzt worden zu Mördern, zu Rassisten, zu Terroristen, zu Nazis“. Über den Begriff des „Asyltourismus“ rege sich normalerweise nie jemand auf, aber „wenn’s die CSU sagt, kommt sofort die Sprachpolizei und will uns bevormunden“. Und dass er die Autorität der Kanzlerin nicht akzeptiert? Stimme doch überhaupt nicht. Der Eindruck entstehe nur, „weil man immer nicht richtig zuhört und nicht richtig wiedergibt, was ich tatsächlich gesagt habe“.

Das passt zu Seehofers Auftritten der vergangenen Wochen: Im oberbayerischen Bierzelt kündigte er am letzten Donnerstag mit großer Geste an, sich noch im August auf Twitter anzumelden – „weil manche Wahrheiten ich sonst nicht unter eine breitere Bevölkerung bekomme“. Zuvor hatte er die Schirmherrschaft beim Deutschen Nachbarschaftspreis abgegeben, weil ihm die Veranstalter angeblich „Toleranz, Mitmenschlichkeit und Offenheit absprechen“. Und schon im Juli beschwerte er sich in der Augsburger Allgemeinen, dass in der Flüchtlingspolitik „eine Kampagne gefahren wird, die geht ­gegen mich und meine Partei“.

Der Mann wirkt ganz schön angefasst. Vielleicht steckt ja Kalkül dahinter: Die Rolle des Missverstandenen, von den Medien bekämpft und diskreditiert, hat in den letzten Jahren ja erstaunlich gut gezogen – bei Rechtspopulisten in Deutschland (AfD) und anderswo (Donald Trump). In deren Politikkonzept ist der Opfergestus die zentrale Säule.

Blöd nur: Die Rechnung wird nicht aufgehen. Der Anti-Establishment-Habitus mag bei den neuen Rechten funktionieren, nicht aber bei einem Mann, der in den letzten Jahrzehnten durch fast alle Ämter gelaufen ist, die die deutsche Politik zu bieten hat.

Seehofer, der Beleidigte

Vielleicht ist das Ganze aber auch eine Frage des Charakters: Schon früher hat Horst Seehofer bei Gegenwind gerne um sich geschossen. Wenn er seine Krankenhausreform nicht bekomme, könne er sich auch einen neuen Job suchen, drohte er in den 1990ern als Gesundheitsminister. Ein paar Jahre später trat er tatsächlich als Fraktionsvize zurück, weil ihm die Gesundheitspolitik der CDU/CSU nicht passte. Seehofer, der Beleidigte: Das gab es also schon mal.

Nur: Damals handelte er aus einer Position relativer Stärke heraus. Amt verloren? Egal. Damals war Horst Seehofer jung genug. Er konnte abwarten, bis seine Rivalen über sich selbst stolpern – und dann selbst auftrumpfen. Total souverän.

Und heute? Ist Seehofer der Gescheiterte. Die Partei hat ihn nach Berlin abgeschoben. Im Asylstreit hat er so gut wie nichts erreicht (von Massenprotesten und sinkenden Umfragewerten mal abgesehen). Und seine Rivalen Söder und Dobrindt haben ihn wohl nur deshalb noch nicht abgeschossen, weil sie ihn als Sündenbock noch gut gebrauchen können.

Der CSU-Chef könnte in dieser Situation einlenken und Fehler einräumen. Er könnte seine Position auch beibehalten und sachlich erklären, warum er sie noch immer für richtig hält. Oder er lässt beides bleiben, gibt weiterhin das Opfer – und wird es damit schaffen, seine Kar­rie­re maximal unsouverän zu beenden.

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Tobias Schulze
Parlamentskorrespondent
Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.
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15 Kommentare

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  • Wie kommt der Autor darauf, dass Seehofer gescheitert ist? Er und die CSU haben das Bewusstsein für die Bedeutung des Außengrenzenschutzes auf nationaler sowie auf europäischer Ebene gestärkt. Gerade weil der Migrationsdruck in den nächsten Jahren und Jahrzehnten nicht abnehmen wird, ist dies von erheblicher Bedeutung.

  • Seehofers Strategie ist phänomenal erfolgreich! Immerhin ist der Mann für etliche ungesetzliche Handlungen seiner Behörden verantwortlich, die die Menschenrechte mit Füßen treten und dem Steuerzahler viel Geld kosten. Jeder andere hätte dafür zurücktreten müssen. Seinen Beamten oder ihm wird dafür nicht einmal die Pension gekürzt! Man zeige mir einen Straftäter, der Verfolgung derart an sich abperlen lassen kann! Höchst erfolgreich, der Mann!

  • Das ist witzig und zugleich traurig.

    Es ist wie im Kindergarten. „Ich spiele nicht mehr mit dir. Du willst nicht nach meinen Regeln spielen.“ So war unter anderem die Krankenhausreform ala Seehofer. Die Eigenlaunen und Eigenegoismen überstimmten die Demokratie und das Nutzen für das Volk.

  • Sein Rücktritt spätestens vor den Wahlkampagnen der Parteien für die Bundestagswahl 2021!

    Eigentlich trägt Herr Seehofer maßgeblich dazu bei, dass die SPD und die CDU bei den Wahlumfragen sehr schlecht und immer schlechter abschneiden. Bei der Bundestagswahl 2021 werden viele Wähler dann aber verstehen, wenn sie die CDU oder SPD wählen würden, dann wählen sie viel mehr die CSU! Die CSU setzte ja als kleinster (!) Koalitionspartner unter der drei viel zu viel durch bei der jetzigen Koalitionsperiode, was gegen die Werte der SPD oder auch teilweise gegen die Sichtweisen der CDU war. Speziell Herr Seehofer agiert über seine eigenen Zuständigkeiten und Befugnisse weit hinaus. Er hält die Regelungen zur Gewaltenteilung nicht ein. Er missachtet stets die Subordination. Seine Regelungen wie Obergrenze verstoßen gegen das Grundgesetz. Er macht halt, was er will.



    Die bayerische Junge Union wollte gar einen Neuanfang der CSU ohne Horst Seehofer.

    Herr Seehofer ist zweifellos gescheitert, das muss er anerkennen und hinnehmen wie ein richtiger Mann sowie die Konsequenzen daraus ziehen! Sonst kann er noch auch die SPD und die CDU zum Scheitern bringen!

  • So dumm, wie er tut, ist Seehofer doch nicht. Seine Absicht ist es, die Parolen gegen Flüchtlinge ständig im Gespräch zu halten, was ihm als stets zu zitierendem Bundesminister natürlich in allen Medien gelingt.

    Er nimmt es sogar in Kauf, als seniler Trottel wahrgenommen und anderswie beschimpft zu werden.

    Denn seine tatsächlichen mittelfristigen Ziele, die er fein bedeckt hält, verfolgt er konsequent :



    > in Bayern soll es eine Schwarz-Blaue Landesregierung geben,



    > Neuwahlen für den Bundestag kann er jederzeit locker provozieren und und erzwingen



    > danach ist sein Ziel auch im Bund Schwarz-Blau(-Braun) in ganz Deutschland - wie in Österreich.

    Deshalb lässt der sich doch nicht entlassen, wenn solche Aussichten winken.

  • 9G
    99960 (Profil gelöscht)

    Wieso sollte Horst Seehofer kein Opfer sein können? Gleiches Recht für alle!

  • Warum hat Merkel ihn immer noch nicht entlassen.



    Sein grober Verstoß:



    sich ohne Absprache mit einem polarisierenden Papier in die Brexit-Verhandlungen einzumischen und für England Partei zu ergreifen.



    Es löste bei Juncker und bei den Schotten Empörung aus.

    • @nzuli sana:

      Weil sie ihn nicht mehr ernst nimmt. Er wird ihr nicht mehr gefährlich, und im Ausland zählt seine Meinung nicht.

  • Wenn die Bayernwahl für die CSU in die Hose geht, dann dürfte Horst Seehofer Geschichte sein.

    • 9G
      90191 (Profil gelöscht)
      @Karavanserai:

      Wählen die Bayern etwa auch den Bundesinnenminister?

      • @90191 (Profil gelöscht):

        Er ist auch CSU-Vorsitzender. Sein aktueller Auftritt prägt die Umfragen in Bayern sehr.

  • Er scheint sich immer noch nicht bewusst zu sein, welche Geister er weckte.

  • Jetzt spielt der unfähige Herr Seehofer auch noch den Bemitleidigten. Warum ist er nicht schon längst zurückgetreten? Das wäre das einzig richtige das dieser Mann noch unternehmen sollte.



    Ehrlich gesagt, auf einer bayrischen Alm wäre er als Pensionär besser aufgehoben.

    • @Alfredo Vargas:

      ..."Warum ist er nicht schon längst zurückgetreten?"

      Vielleicht, weil auch er etwas ahnt, was wir alle permanent erleben müssen: Der Nachfolger ist meistens noch schlimmer als der Vorgänger. Auch wenn man es sich zuvor absolut nicht vorstellen konnte. Das zeigt sich an seinen eigenen derzeitigen Nachfolgern, die glauben dem Volk einen Gefallen zugunsten von wenigen wackeligen Arbeitsplätzen tun zu können und dafür nicht nur ihre eigene Glaubwürdigkeit, sondern auch die sozialen Grundbedürfnisse der Wähler aufs Spiel setzen, indem sie Sicherheit durch Gemeinschaftsgut leichtfertig verschleudern und Investoren zum Fraß vorwerfen. Damit ist leider nur ein kleiner Teil der eigenen Klientel bedient. Das wird noch früh genug klar werden. Derweilen müssen die Bürger die politische Suppe auslöffeln.

  • Opferrolle schlecht, Merkeljäger auch nicht gut - der arme Horst...