piwik no script img

Abschiebung in die ObdachlosigkeitVerzweifelt, aber gesund

Eine Afghane wird nach Italien abgeschoben, obwohl Experten vor den Zuständen dort warnen. Kritik gibt es auch am Polizeiarzt.

Die Lage von Geflüchteten in Italien wird immer wieder als katastrophal beschrieben Foto: Gabriele Hafner/DPA

BREMEN taz | Omid F. soll abgeschoben werden. Nach Italien. Das Landgericht Bremen hat dagegen keine Einwände, Flüchtlingshilfsorganisationen aber warnen vor den Zuständen dort. Und auch der Anwalt Sven Sommerfeldt sagt: „Die Situation in Italien gibt das derzeit nicht her“.

Seinem 22-jährigen Mandanten drohe dort die Obdachlosigkeit und eine Leben unter menschenunwürdigen Bedingungen, so Sommerfeldt. „Die Bedingungen haben sich seit dem Regierungswechsel nicht verbessert“, sagt auch Marc Millies vom Flüchtlingsrat. „Das kann man eindeutig festhalten.“ Dabei hatte das Verwaltungsgericht Oldenburg bereits im 2017 – noch vor dem Regierungswechsel – entschieden, dass Geflüchtete vorerst nicht mehr nach Italien abgeschoben werden könnten. Ihnen drohe dort, „bei einem Leben völlig am Rande der Gesellschaft obdachlos zu werden und zu verelenden“, schrieb der Richter. Er berief sich dabei auf zwei vorangegangene, gleichlautende Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Baden-Württemberg und des Bundesverwaltungsgerichts.

Viele Geflüchtete in Italien leben auf den Straßen oder in der Nähe von Bahnhöfen und betteln, um zu überleben. Immer wieder berichten Flüchtlingshelfer, das italienische Sozialsystem sei völlig unzureichend entwickelt, Integrationsprogramme fehlten weitgehend, ein Integrationsplan existiere nicht – und Nichtregierungsorganisationen oder Kirchen könnten das nicht auffangen. Immer wieder wird von Verstößen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention berichtet. Auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe attestierte Italien schon im vergangenen Jahr, dass selbst anerkannte Flüchtlinge „praktisch keine Chance auf ein sicheres Dach über dem Kopf, auf Arbeit und auf soziale Unterstützung“ haben.

Wann genau Omid F. in die EU kam, ist unklar, sicher ist nur, dass er schon in Italien, Frankreich, Schweden und Ungarn war und im November vergangenen Jahres über Flensburg nach Deutschland kam. Sein Asylantrag wurde als „unzulässig“ abgelehnt, im Juni wurde er erstmals nach Italien abgeschoben. Zudem bekam er ein sechsmonatiges Einreiseverbot.

Daran gehalten hat er sich nicht: Vier Tage nach seiner Abschiebung war er wieder in Bremen, nur zwei weitere Tage vergingen, eh er in Abschiebehaft kam. Dabei war F. gar nicht untergetaucht: Seiner ersten Abschiebung hatte er sich nicht widersetzt, und nach seiner Wiedereinreise meldete er sich umgehend bei der zuständigen Aufnahmeeinrichtung.

Trotzdem sieht das Landgericht Bremen „erhebliche Fluchtgefahr“, wie es in dem Beschluss heißt. Der Afghane sei „nicht ansatzweise bereit“, Entscheidungen gegen ihn zu akzeptieren. Ohne Sicherungshaft werde er sich der erneuten Abschiebung nach Italien „tatsächlich oder faktisch entziehen“. Auf seinen Anwalt Sven Sommerfeldt wirkt diese Entscheidung hingegen „wie eine gesetzlich nicht vorgesehene Sanktion“ gegen Omid F. – und nicht nur wie ein Mittel zur Absicherung der Abschiebung.

Zwei Mal wurde der Afghane mittlerweile von Amts- und Polizeiarzt E. begutachtet, ausweislich seines Stempels ein Facharzt für Allgemeinmedizin und Spezialist für Verkehrsmedizin. In seinem Befund vom 5. Juli beschreibt er den Geflüchteten als „etwas labil“ und „verzweifelt wg. Lebenssituation“, stuft ihn aber als „unverändert haft- sowie flug- und reisefähig“ ein. E. diagnostiziert „situationsbedingte Schlafstörungen“ und schreibt in der Anamnese über den Geflüchteten, „die Situation im Polizeigewahrsam belaste ihn …“.

Geflüchtete drohen in Italien obdachlos zu werden und zu verelenden, sagen Fachleute

Es stelle sich die Frage, ob der Polizeiarzt kompetent genug sei, um eine etwaige Suizidgefahr auszuschließen, so Sommerfeldt. Der Präsident der Bremer Psychotherapeutenkammer, Karl Heinz Schrömgens, kann zum Einzelfall nichts sagen, sagt aber grundsätzlich: Es sei „zwingend erforderlich“, dass ein Facharzt für Psychia­trie oder Psychotherapie oder ein psychologischer Psychotherapeut die Frage der Suizidgefahr oder etwaiger psychischer Erkrankungen beurteile. „In der Vergangenheit“ sei so ein Verfahren in Bremen auch „durchaus üblich“ gewesen. Das Innenressort hingegen sagt: „Die Einschätzung der Suizidalität kann zunächst von jedem approbierten Arzt durchgeführt werden“, und Herr E., der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, sei ein „erfahrener Gutachter“. Bei Anzeichen einer Suizidalität werde aber sofort ein Psychiater hinzugezogen, so die Behörde.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Ich befürchte, Sie verstehen das Konzept der Reisefähigkeit nicht und unterliegen zudem dem Fehler, dass es neben der Beurteilung der Reisefähigkeit in Abschiebungs- wie in Überstellungshaftfällen auch auf die Haftfähigkeit ankommt. Ist ein Gefangener nicht haftfähig, ist die Überstellungshaft von Amts wegen aufzuheben und eine weitere Inhaftierung rechtswidrig. Weigert sich der polizeiärztliche Dienst jedoch, einen kompetenten Facharzt oder eine Fachärztin für Psychiatrie hinzuzuziehen, so kann es zu einer aussagekräftigen Beurteilung dieser Frage nicht kommen.

    Hinsichtlich der Reise(un)fähigkeit wird zwischen zwei Formen unterschieden. Sie sprechen die sog. Reise(un)fähigkeit im engen Sinne, d.h. im Sinne der Transportfähigkeit an. Reiseunfähigkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn sich bei fehlender Transportfähigkeit, die auch vorliegen kann, wenn der Gesundheitszustand des Betroffenen sich durch die Abschiebung als solche wesentlich verschlechtern oder eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr transportbedingt erstmals entstehen würde, ein Abschiebungsverbot (etwa aus Art. 2 Absatz 2 Satz 1 GG) ergibt.

    Ein solches Abschiebungsverbot kann sich aber auch bei einem ernsthaften Risiko, dass der Gesundheitszustand als unmittelbare Folge der Maßnahme sich wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde, ergeben. Man spricht dann von der sog. Reiseunfähigkeit im weiten Sinne. Diese liegt auch dann vor, wenn die zu erwartende erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustands nach der Ankunft durch eine ärztliche Anschlussbehandlung voraussichtlich wieder behoben bzw. geheilt werden kann. Die Betroffenen haben es nicht hinzunehmen, eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands erleiden müssen mit allen damit verbundenen Risiken einer späteren vollständigen oder jedenfalls weitgehenden Genesung.

    Angesprochen ist im Artikel also im Zweifelsfall die zweitere Form der Reiseunfähigkeit. Ihr Vorhalt erscheint daher eher abwegig.

  • Die Entscheidung des Gerichts ist anhand der im Artikel aufgeführten Fakten gut nachvollziehbar.

    Für eine mögliche Fehleinschätzung des Arztes fehlen hingegen Anhaltspunkte.

    • @DiMa:

      Wieso halten Sie die Entscheidung des Gerichts anhand des Artikels für gut nachvollziehbar, wenn ich fragen darf?

      Diese Aussage lässt, ohne Ihrer Antwort vorgreifen zu wollen, darauf schließen, dass Sie sich weder mit Artikel 28 der Dublin-III-Verordnung noch mit den konkreten Anhaltspunkten für das Vorliegen von Fluchtgefahr im Sinne dieser Verordnung nach § 2 Abs. 15 i.V.m. Abs. 14 AufenthG auseinandergesetzt haben.

      Wenn sich eine Person einer Überstellung nicht widersetzt und sich nach Wiedereinreise bei der zuständigen Aufnahmeeinrichtung meldet, dann sind das gewichtige Gründe, dass sie sich diese Person dem Überstellungsverfahren nicht entziehen wird. Die bloße - ggf. unerlaubte - Wiedereinreise ist kein gesetzlich normiertes, objektives Kriterium für das Vorliegen von Fluchtgefahr. Genau das fordert aber Artikel 2 Buchstabe n der Dublin-III-VO.

      Die Wiedereinreise ist Grund dafür, dass der Betroffene überhaupt dem Dublin-Verfahren unterzogen werden darf. Aber lesen Sie mal Artikel 28 Absatz 1 Dublin-III-VO. Da steht: "Die Mitgliedstaaten nehmen eine Person nicht allein deshalb in Haft, weil sie dem durch diese Verordnung festgelegten Verfahren unterliegt."

      Zu Ihrer zweiten Aussage: Ich befürchte, das können Sie - mal davon ausgehend, dass Sie kein*e Psychologe/-in sind und in Ferndiagnose, ohne den Betroffenen zu kennen, eine entsprechende Beurteilung über seine psychische Verfassung treffen können - genauso wenig wie ich beurteilen. Problem ist: Ein Allgemeinmediziner kann es auch nicht! Und noch weniger einer, der sich in der misslichen Doppelfunktion befindet, nicht nur die Gefangenen behandeln zu müssen, sondern eben auch für die folgenreiche Einschätzung ihrer Reisefähigkeit verantwortlich zu sein. Bei erheblichen Belastungssymptomatiken ist es daher angezeigt, einen Facharzt oder eine Fachärztin - hier für Psychiatrie - hinzuzuziehen. Dafür gibt es etwa in Bremen den Sozialpsychiatrischen Dienst.

  • Die Kritik am Polizeiarzt im Artikel soll ja wohl darauf hinauslaufen, Zweifel an der Reisefähigkeit von Omid F. zu wecken. Hm. Wenn er 2 Tage, bevor er zur Durchsetzung einer Abschiebung nach Italien in Abschiebehaft genommen wurde, aus Italien nach Bremen zurückgekommen ist, und das 4 Tage nach seiner Abschiebung nach Italien (so steht es im Artikel), dann scheint mir an seiner Reisefähigkeit kein Zweifel zu bestehen. Wer aus Italien nach Bremen reisen kann, der kann auch direkt danach wieder zurückreisen. Durch solche "Zusatzargumente" wird das eigentliche Anliegen des Artikels, auf die Situation von Flüchtlingen in Italien hinzuweisen, nicht gerade befördert. Wenn alles, was von Anwälten kommt (die nun einmal streng parteiisch sein müssen, das ist ihre Aufgabe), unkritisch übernommen und in keiner Weise hinterfragt wird, dann stellt sich unwillkürlich die Frage, was an den weiteren Ausführungen dran ist.