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Debatte Verrohung der SpracheSeehofer fördert die Dämonkratie

Waltraud Schwab
Kommentar von Waltraud Schwab

Seehofer setzt jene Menschen herab, die im Sommer 2015 Mitmenschlichkeit gezeigt haben. Warum nehmen viele das hin?

Seehofer entwürdigt die Hilfsbereitschaft. Es ist Zeit dagegenzuhalten Illustration: Imago/Ikon Images

D a, diese Sprache, die wir sprechen – für alles hat sie ein Wort. Hat sie keins, darf, wer eines braucht, es erfinden. Viele Sprachen umschreiben, das Deutsche trifft. Es trifft beim Wort Menschlichkeit – denn der Menschlichkeit ist die Mitmenschlichkeit zur Seite gestellt. Für das Wort gibt es kein Äquivalent in anderen geläufigen westlichen Sprachen. Mitmenschlichkeit, das ist, als gingen zwei Menschen nebeneinander, als nähme das Ich ein Du an die Hand.

Allerdings ist das nicht alles: Auf der Schattenseite der Menschlichkeit lauert die Unmenschlichkeit. Neuerdings nagt sie wie ein Biber am Sprachgerüst. Denn dies ist eine Geschichte des Verlusts, die Worte sollen umgedeutet und um ihre Resonanz gebracht werden, sie sollen nicht mehr schwingen. Jetzt gilt: Ein Opfer, wer Mitmenschlichkeit gut findet.

Ein Held, wer sich traut, sich auf die Seite der Unmenschlichkeit zu stellen. Das ist der Grundton, seit der AfD das Sprachfeld überlassen wird. Und es ist das Echo der CSU und von Seehofer darauf. Ihn lassen die anderen PolitikerInnen seit Wochen seine infamen Phrasen aus dem Mund schießen, ohne gegen den Egomanen anzubrüllen, ohne lauter zu sein, ohne sein Getöse mit Weltzugewandtheit zu übertönen.

Gerade wieder hat Seehofer sich zu Wort gemeldet. Auf einer Pressekonferenz am Dienstag, auf der er seinen „Masterplan zur Migration“ vorstellte, über Wochen durfte niemand vorher das Papier sehen. Dort sagte er, und es klang beiläufig: „Ich nehme jetzt mal Afghanistan. Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag sind 69, das war von mir nicht so bestellt, Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden. Das liegt weit über dem, was bisher üblich war.“ Einer der Abgeschobenen hat sich in Kabul am Dienstag das Leben genommen. Das Statement Seehofers müsste eigentlich für seine Entlassung reichen. Oder für die Einweisung in die geschlossene Anstalt. Heilt ihn von seiner Hybris.

Viel Körper, viel Alkohol, viel Sex

Mit Hybris – und dieses Mal ist es ein altgriechisches Wort – wird genau jener Zustand benannt, an dem Seehofer krankt. Es „bezeichnet“, so steht es auf Wikipedia, „eine extreme Form der Selbstüberschätzung oder auch des Hochmuts. Man verbindet mit Hybris häufig den Realitätsverlust einer Person und die Überschätzung der eigenen Fähigkeiten, Leistungen und Kompetenzen.“

Ist es tatsächlich schon so, dass vergessen wurde, dass Deutsche schon einmal die Sprache umdeuteten und Mitmenschlichkeit diffamierten?

Vor allem Personen in Machtpositionen seien betroffen. Und Karl Popper, österreichisch-britischer Philosoph, sagte es so: „Die Hybris, die uns versuchen lässt, das Himmelreich auf Erden zu verwirklichen, verführt uns dazu, unsere gute Erde in eine Hölle zu verwandeln.“

Wenn das stimmt, dann müsste doch eingegriffen werden. Aber nichts da. Der sozialpsychiatrische Dienst übernimmt nicht und steckt Seehofer – trotz Selbst- und Fremdgefährdung – nicht in die Anstalt. Und seine KopolitikerInnen der Koa­li­tion sind wie weggetreten, als steckten Kopfhörer in ihren Ohren, als lauschten sie den Sommerhits des vergangenen Jahres.

Die heißen „Ok“ oder „Tuesday“, „Got a little drunk“ oder „Despacito“ – immer langsam. Viel Körper, viel Alkohol, viel Sex. Die Schlager, die zum Sommerhit 2018 avancieren könnten, möchten sie lieber nicht hören: „Pray for me“, „End game“, „Get out“, „Hurricanes“ und „Flames“ sind Anwärter auf den Titel. Zufall? Vielleicht.

Möchtegerns deuten die Sprache um

Das verstehe, wer will, dass sich gestandene, der Demokratie verbundene PolitikerInnen so in die Enge treiben lassen von ein paar Möchtegerns wie Seehofer und den AfDlerInnen. Dass sie zulassen, dass die Sprache umgedeutet wird, dass die großartige Leistung der Deutschen im Jahr 2015, als sie Mitmenschlichkeit zeigten und es auch meinten, jetzt mit Füßen getreten wird.

Pro Asyl hat den Seehofers Masterplan analysiert und benennt ganz klar, worum es geht: um eine Internationalisierung deutscher Polizeipräsenz in Form eines „Verbindungsbeamtennetzwerks in die Herkunftsländer“

Dass Leute, die bereit waren, Solidarität zu leben, und Barmherzigkeit, Empathie, Großzügigkeit, Anstand, Menschenfreundlichkeit, Nächstenliebe, Edelmut, Hingabe, Wohlwollen, Toleranz – all diese Bedeutungen hat Mitmenschlichkeit –, sich jetzt womöglich für ihre Bereitschaft, dies zu tun, noch entschuldigen?

Wie konnten die Feuerwehrleute, die SchülerInnen und LehrerInnen, die Hausfrauen, Pfarrer, Dolmetscherinnen und BäuerInnen, die Verkäuferinnen, StudentInnen und Handwerker nur so blöd sein, sich von der Not der Flüchtenden anrühren zu lassen?

Ist es tatsächlich schon so, dass vergessen wurde, dass Deutsche schon einmal die Sprache umdeuteten und Mitmenschlichkeit diffamierten? Für die „Herrenmenschen“ war es „Humanitätsduselei“, wie einer der in Nürnberg hingerichteten Kriegsverbrecher zu sagen pflegte.

Victor Klemperer, Romanist und Politiker, zum Protestantismus konvertierter Jude, unter den ­Nazis ausgegrenzt, hat in seinem Buch „LTI“ die Sprache in der Zeit des Nationalsozialismus ­analysiert. Er fand heraus, dass die Menschen vor allem durch die Wiederholung der immer­gleichen, mit nationalsozialistischen Vorstellungen neu besetzten Begriffe, beeinflusst wurde. Die AfD, Seehofer und die Rechten in der CSU wissen darum. „Asyltourismus“, „Anti-Abschiebe-­Industrie“ und „Einwanderung in die Sozial­systeme“ sind nur drei Beispiele der gegen­wärtigen Neuauflage der Beeinflussung der Sprache von rechts.

Stattdessen: Schweigen

Würden sich Merkel und andere der Demokratie verbundene PolitikerInnen endlich hinstellen und immer wieder betonen, wie grandios das war, was die Deutschen seit 2015, vor allem auch die in Bayern, in der Lage waren zu stemmen, dass sie über sich hinaus gewachsen sind, dass sie das schöne Land und die Seele seiner BewohnerInnen gezeigt haben, das Blatt könnte sich wenden.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Stattdessen Schweigen. Stattdessen darf Seehofer, dieser Trump-Imitator – er ist angezogen von dessen Dämonkratie –, die Hilfsbereitschaft entwürdigen, ohne sich auch nur eine Sekunde darum zu scheren, dass, wer Mitmenschlichkeit diffamiert, auch Menschlichkeit diffamiert – und sich im Zuge dessen das Menschsein selbst abspricht. Die deutsche Sprache, die, die Seehofer kennt, macht das deutlich.

Überraschend meldete sich inzwischen immerhin Christian Lindner von der FDP zu Wort. Ihm, der gar nicht so viel gegen die Abschottungspläne von Seehofer hat, ist das mit der Sprache aufgefallen. Er sagt, mit der von CSU-Personal benutzten Sprache könne die Demokratie verrohen, und das wolle er nicht. Was er offenbar nicht sieht: Genau so soll es sein.

Aber kein Einhalt weit und breit. Vielmehr verkündet Seehofer nun seinen „Masterplan“, unterteilt in 63 Thesen und Forderungen. Das soll der große Wurf sein, soll Luther sein, die Gesellschaft aufrütteln, Masterplan klingt nach Manifest, das Kommunistische oder das der Dadaisten meint er nicht, wohl aber imitiert er die Geste, greift nach dem historisch Bleibenden.

„Ausgerechnet der Mensch ist unmenschlich.“

Der erste Satz des Papiers: „Die Herausforderungen weltweiter Migration erfordern ein System der Ordnung.“ Fünf Sätze weiter: „Ordnung braucht klare Vorgaben.“ Kurz darauf: „Die vor uns liegenden Aufgaben … erfordern Maßnahmen in den Herkunftsländern. Maßnahmen in den Transitländern. Maßnahmen auf Ebene der Europäischen Union und Maßnahmen in Deutschland. Diese vier Handlungsfelder bilden den Rahmen dieses Masterplans.“ Denn Migration ist, so steht da, eine „nationale Bedrohung“.

Die Maßnahmen, die Seehofer weltweit getätigt sehen will, sind, das zeigt das Papier, in der Zuständigkeit der Deutschen. Was es verschweigt: dass der Anspruch, Maßnahmen – also politische Eingriffe – in anderen Ländern zu tätigen, eine Anmaßung ist, Herrenmenschentum ist. Pro Asyl hat das Papier analysiert und benennt ganz klar, worum es geht: um eine Internationalisierung deutscher Polizeipräsenz in Form eines „Verbindungsbeamtennetzwerks in die Herkunftsländer“.

Die Wörter sollte man sich merken. Jeder vernünftig tickende Demokrat aber sollte sich hinsetzen und ein Gegenmanifest verfassen. In dem muss erklärt sein, dass Flucht nicht das Verbrechen ist, sondern dass den Fluchtursachen oft Unrecht zugrunde liegt. Und das muss man bekämpfen.

„Ausgerechnet der Mensch ist unmenschlich.“ Thomas Bernhard, der österreichische Schriftsteller, der von Nazi-Erziehungsinstituten Traumatisierte, sagte das.

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Waltraud Schwab
taz-Redakteurin
Seit 2002 bei der taz, erst im Lokalteil, jetzt in der Wochentaz. 2005 mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet für die Reportage „Schön ist das nicht“, 2011 wurde die Reportage „Die Extraklasse“  mehrfach prämiert. 2021 erschien ihr Roman "Brombeerkind" im Ulrike Helmer Verlag. Es ist ein Hoffnungsroman. Mehr unter: www.waltraud-schwab.de . Auch auf Twitter. Und auf Instagram unter: wa_wab.un_art
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4 Kommentare

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  • Vielen Dank für diese klaren Worte!



    Die erste und größte Umdefinition von Worten haben Sie aber offensichtlich selbst nicht mitgekriegt, denn in Ihrem Artikel werden sie auch vermengt:



    Flüchtling und Migrant werden gleichgesetzt.



    Das ist so falsch, dass es falscher schon nicht mehr geht und hat sich trotzdem in den Köpfen verankert!



    Zum Migranten wird jeder, der ein Jahr oder länger nicht im eigenen Land lebt. War ich auch schon, als ich die Freiheit des Arbeitsortes in der EU benutzt habe, um zeitweilig in Finnland tätig zu sein.



    Flüchtling war ich Gott sei dank noch nicht, denn das würde bedeuten, dass ich im eigenen Land massiv unterdrückt oder gar in meinem Leben bedroht würde - obwohl, wenn ich mir die aktuelle politischen Verschiebungen in Deutschland ansehe, kann das noch kommen...

  • Endlich hat wenigstens die taz kapiert, dass gegen die Einvernahme der Sprache durch die rechten Begriffserfinder vorgegangen werden muss.



    Schön, dass wenigstens ein Lindner mal was dazu sagt.

    Aber wo bleiben klare Zurückweisungen des Seehofersprechs durch CDU und SPD ? Und wo steckt eigentlich der Scheinrebell innerhalb der SPD, der sich vor der GroKo-Bildung auf jedes Mikrofon gestürzt hat ? Nicht mal der bekommt den Mund auf, um das rechte "Narrativ" zu konterkarieren und mit einer gewissen Parteiprominenz endlich humane Werte wieder in der politischen Umgangssprache zu verankern ?

  • Danke für die klaren Worte. Es ist wichtig daran zu erinnern, dass dieses Getöse gewisser Herren vielleicht nur Einfluss auf Wahlverhalten nehmen soll, damit aber die ethischen Grundwerte unserer Gesellschaft heftig beschädigt werden. Es ist in der Tat zum Verzweifeln. Die Demagogen der Partei mit dem A im Namen müssen jetzt nichts mehr tun. Ihr Geschäft erledigen nun andere, die im Namen ihrer Partei ein C verwenden. Wofür das C einst stand, haben sie wohl längst vergessen - wenn sie es je wusste. Sie nutzen es aber fleißig. Wohl in dem Bemühen, eine Glaubwürdigkeit vorzugaukeln, die sie längst verloren haben.

  • Seehofer: "Denn Migration ist, so steht da, eine „nationale Bedrohung“."

    Das sagt doch schon alles. Der hat nichts kapiert und steht voll rechts.



    Allein, dass unsere Wirtschaft, mitten drin und unüberhörbar die traditionell eher sehr konservative Handwerkskammer, lautstark Auszubildende und Arbeitskräfte braucht, wird damit völlig ausgeblendet.



    Die müssten ihm eigentlich von morgens bis abends in die Kniekehlen treten.