Die kroatische Sensation im Vorrundenspiel gegen Argentinien war nicht der Sieg. Der schon auch. Aber sensationeller war das Trikot. Normalerweise erkennt man die Kroaten an ihren komplett rot-weiß karierten Trikotoberteilen, gern auch Schachbrett oder Küchenhandtuch genannt. Bei dieser WM aber spielen sie seit dem Argentinien-Spiel in dunkelblauen Shirts, auf denen das Schachbrett nur auf der Brust, allerdings in Blau und Schwarz gedruckt ist, sodass es nur bei besonders günstigem Lichteinfall zu erkennen ist.
Für Insider eine Sensation, denn die Kroaten sind äußerst patriotische Gesellen, die, wo es nur geht, ihr Schachbrett zur Schau stellen. Hingen zu jugoslawischen Zeiten in allen Wohn- und Bürostuben, in allen Supermärkten und Gaststätten Bilder von Tito über der Eingangstür oder der Fleischtheke, hängt dort heute das Nationalwappen.
Deutet sich also nun mit dem Verstecken des Schachbretts eine neue kroatische Zurückhaltung an? Beruhigt sich der irre Adria-Patriotismus endlich? Allein die Trainerfigur könnte darauf hindeuten.
Der 51-jährige Zlatko Dalić ist erst seit Oktober Nationaltrainer und ein unbeschriebenes Blatt im Vergleich zu den großen Namen seines Kaders. Er ist keine weltweit bekannte Trainerlegende wie Ćiro Blažević und auch keine nationale Legende wie Slaven Bilić. Dalić hat in Split und Mostar ein bisschen Fußball gespielt und in eher unscheinbaren Stationen wie Rijeka, Tirana, Koprivnica, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten als Trainer gearbeitet.
Die heimlichen Stars der WM
Aleksandr Golovin, Russland, Zentrales Mittelfeld. Bei dieser WM könnte Golovin (rechts) der große Durchbruch gelingen. Der 22-jährige Mittelfeldspieler gilt als großes Talent und hat dies in der heimischen Premjer-Liga unter Beweis gestellt, wo er diese Saison fünf Tore für seinen Verein ZSKA Moskau schoss.
dpa
Salem Al-Dawsari, Saudi-Arabien, Rechtes Mittelfeld. Während fast alle Spieler in der heimischen Saudi Professional League spielen, wagte er den Sprung in die spanische Liga und heuerte beim FC Villareal an. Konnte sich nicht durchsetzen und spielte nur ein einziges Spiel. Jetzt wieder zurück in der Heimat.
AP
Essam El Hadary, Ägypten, Tor. Als in der 85. Minute im Gruppenspiel Japan – Kolumbien der WM 2014 Faryd Mondragon für Kolumbien eingewechselt wird, ist er der älteste Spieler in der WM-Historie. Diesen Titel wird er an El Hadary (rechts) abgeben müssen: mit 45 Jahren wird er bei seinem WM Debüt zwei Jahre älter sein.
EPA
Diego Laxalt, Uruguay, Linkes Mittelfeld. Zwar besitzt der 25-jährige Laxalt (rechts) im Team Uruguays keinen Stammplatz, doch ist er durch seine Geschwindigkeit gerade in der Schlussphase, wenn die Kraft des Gegners schwindet, eine gefährliche Alternative. Stammspieler beim CFC Genua in der italienischen Liga.
EPA
Willam Carvalho, Portugal, Zentrales Defensives Mittelfeld. „Prinz William“ (Mitte), wie sie ihn in der Heimat liebevoll nennen, ist ein Fels in der Brandung. 1,90 m groß und 90 kg schwer. Er ist Europameister, unverzichtbarer Stabilisator – und hat kürzlich seinen Vertrag in Lissabon wegen Fanausschreitungen gekündigt.
EPA
Iago Aspas, Spanien, Sturm. 22 Tore gelangen Aspas in der vergangenen Saison für Celta Vigo in der spanischen Liga. Doch weil der spanische Sturm lauter Hochkaräter besitzt, muss er um seinen Stammplatz zittern. Wie lange er für Vigo noch auflaufen wird ist unklar, denn zahlreiche Topvereine interessieren sich für ihn.
dpa
Achraf Hakimi, Marokko, Rechte Verteidigung. 19 Jahre jung ist Hakimi (2. v. rechts). Bei Real Madrid wird er immer wieder als Back-Up für Daniel Carvajal gebraucht, in Russland könnte ihm der endgültige Durchbruch gelingen.
Reuters
Morteza Pouraliganji, Iran, Innenverteidigung. Der 26-Jährige (rechts) ist nach Seyed Jalal Hosseini eine wichtige Defensivstütze im iranischen Nationalteam. Spielt in der kleinen katarischen Liga beim al-Sadd Sports Club.
AP
Benjamin Pavard, Frankreich, Innenverteidigung. Pavard (rechts) ist einer der ganz wenigen, der in der französischen Nationalmannschaft (noch) kein Topstar ist. Über LOSC Lille in der französischen Ligue 1 voriges Jahr zum VFB Stuttgart gekommen und ist er dort mit jetzt 22 Jahren ein absoluter Stammspieler.
AP
Mile Jedinak, Australien, Zentrales Defensives Mittelfeld. Nachdem sich Australien gegen Syrien gerade so in die finale Runde gegen Honduras gequält hatte, war es Jedinak, der im Rückspiel beim 3:0 Sieg alle Tore erzielte und Australien das WM-Ticket bescherte.
AAP
Pedro Gallese, Peru, Tor. Ganz Argentinien scheiterte im Oktober letzten Jahres während der Qualifikation an jenem Pedro Gallese, der einfach nicht hinter sich greifen wollte. Nach diesem Qualifikationsspiel hatte Peru bis zur WM noch acht Partien in denen insgesamt ganze zwei Tore gegen die Peruaner fielen.
EFE
Yussuf Poulsen, Dänemark, Sturm. Der 23-Jährige (Mitte) ist vor allem eins: Pfeilschnell. Gemeinsam mit Topstar Christian Eriksen (Tottenham) und Viktor Fischer (Kopenhagen) kann er ein tödliches Dreieck bilden. Seit Jahren Stammspieler bei RB Leipzig.
dpa
Federico Fazio, Argentinien, Innenverteidigung. Während alle Welt auf den Sturm von Argentinien schaut, zieht Fazio (rechts) einsam seine Kreise in der Abwehr. Drang mit der AS Rom bis ins Champions League Halbfinale vor, zudem souveräne Stammkraft in Rom.
dpa
Jon Dadi Bödvarsson, Island, Sturm. Bödvarssons (links) musste einen Umweg zum Profifußballer machen. Bereits als kleiner Junge litt er unter ADHS und musste Tabletten nehmen, die Stimmungsschwankungen verursachten. Erst als er sie absetzte, konnte er sich auf dem Platz entwickeln und reifte zum Nationalspieler.
dpa
Danijel Subašić, Kroatien, Tor. Über NK Zader und Hadjuk Split fand er seinen Weg zur AS Monaco. Seit mehr als einem halben Jahrzehnt strahlt er Souveränität in der französischen Ligue 1 aus. Höhepunkt seiner Karriere: Französischer Meister im vergangenen Jahr.
EPA
Francis Uzoho, Nigeria, Tor. Nachdem der Stammtorwart Nigerias für die WM verletzt ausgefallen ist, muss sich der Coach Nigerias, Gernot Rohr, zwischen drei Alternativen entscheiden. Eine davon ist Francis Uzoho (rechts), der mit seinen 19 Jahren schon eine feste Kraft bei Deportivo La Coruña ist. Ein Mann mit Zukunft.
Reuters
Ederson Moraes, Brasilien, Tor. Noch ein Torwart. Aber einer, der wahrscheinlich nicht spielen wird, da Alisson Becker in Brasilien die Nase vorne hat. Dabei sind Ederson (2. v. links) und Manchester City kürzlich englischer Meister geworden – mit nur 27 Gegentoren in 38 Spielen. Alisson statt Ederson – ein Nachgeschmack bleibt.
dpa
Nico Elvedi, Schweiz, Abwehr. Elvedi (links) ist zwar erst 21, doch längst mehr als nur ein Talent. In der Bundesliga ist er zum Stammspieler in M'Gladbach gereift, spielte fast immer. Sein großes Plus lautet Flexibilität: Er kann sowohl innen als auch außen verteidigen. Und langsam ist er auch nicht.
AP
Joel Campbell, Costa-Rica, Rechtes Mittelfeld. Es war doch schon alles angerichtet: Nach der WM 2014 buhlte quasi halb Europa um diesen Spieler, der solch ein Talent hatte. Doch Campbell überzeugte anschließend nicht und landete letzlich bei Betis Sevilla. Nun hat er wieder die Chance zu liefern. Dass er das kann, hat er schon bewiesen.
AP
Luka Jović, Serbien, Sturm. Einer, der die große Bühne genutzt hat, war Jović (unten). Er war der Siegtorschütze im Pokal-Halbfinale gegen Schalke 04 – und somit Türöffner für den Frankfurter Erfolg über Bayern. Jović braucht kein ganzes Spiel um gefährlich zu werden, eine Chance reicht ihm schon – Schalker können dies bezeugen.
Reuters
Marvin Plattenhardt, Deutschland, Linke Verteidigung. Jonas Hector dürfte zwar den Platz links hinten sicher haben, doch für den Fall der Fälle ist Plattenhardt eine mehr als gute Alternative. Bodenständig und diszipliniert erledigt er seine Aufgaben bei der Berliner Hertha. Mit gefährlichen Standards immer eine Option. Der FC Everton hat Interesse bekundet.
dpa
Hirving Lozano, Mexiko, Linkes Mittelfeld. Wenn er zum Antritt ansetzt, ist es meistens schon zu spät für den Gegner. Lozano, der in den Niederlanden bei der PSV Eindhoven spielt, ist der wahrscheinlich schnellste Spieler in dieser WM. Gerade bei Kontern von Mexiko darf man ihn nicht gehen lassen – einen guten Abschluss hat er nämlich auch.
dpa
Victor Lindelöf, Schweden, Innenverteidigung. Vor drei Jahren ging sein Stern bei der U21-EM auf. Lindelöf (links) wurde daraufhin in Benfica Lissabons Herrenmannschaft hochgezogen und verteidigte weiterhin so präzise, dass er vorigen Sommer von Manchester United abgeworben wurde.
dpa
Sung-Yong Ki, Südkorea, Zentrales Defensives Mittelfeld. Ki (rechts) ist einer der wenigen Südkoreaner, die nicht in Asien spielen, sondern in England. Als Kapitän der Auswahl Südkoreas ist er im Mittelfeld gesetzt und immer wieder für Tore gut.
AP
Jan Verthongen, Belgien, Innenverteidigung. Als auffällig unauffällig kann man Jan Verthongen abseits des Platzes beschreiben. Dem Rekordnationalspieler fehlt ein Einsatz in Russland, um den 100er-Club beizutreten. Mit zwei Qualitoren auch durchaus als Abwehrspieler gefährlich.
EPA
Gabriel Gomez, Panama, Zentrales Defensives Mittelfeld. Rekordnationalspieler und defensiv ausgelegter Spieler. Harmoniert mit Kapitän Torres, der das WM-Ticket mit seinem Phantomtor buchte, als Achse hervorragend. Es wird das erste und letzte große Turnier für Gomez (rechts), der mit 34 Jahren seinen Karrierehöhepunkt erlebt.
dpa
Bassem Srarfi, Tunesien, Sturm. Erst 20 Jahre alt und jetzt schon zur WM. Als Back-Up von Wahbi Kazri eingeplant, kann Srarfi (Mitte) mit seiner Spritzigkeit gerade in der Schlussphase als Joker gefährlich werden. Spielte unter Favre bei OGC Nizza und zuvor in England bei Stoke City.
dpa
Trent Alexander-Arnold, England, Rechte Verteidigung. Ohne jegliches Nationalspiel wurde der 19-Jährige (rechts) nominiert. Doch sein kometenhafter Aufstieg bei Liverpool belegt, dass er sehr bald sein Debüt feiern wird. Noch ist er als Back-up zu Kyle Walker eingeplant. Alexander-Arnold lauert auf seine Chance.
Reuters
Kamil Glik, Polen, Innenverteidigung. Es ist schade, dass Glik (oben) für die polnische Auswahl verteidigt, statt für Deutschland, denn er hat auch einen deutschen Pass. Seit 2010 zieht Glik die Fäden in der polnischen Verteidigung, seit 2016 spielt er bei der AS Monaco, wo er regelmäßig überzeugt und 2017 französischer Meister wurde.
dpa
Keita Baldé, Senegal, Linkes Mittelfeld. In Russland wird Kamil Glik auf seinen monegassischen Vereinskollegen Keita Baldé (rechts) treffen. Eigentlich wäre er bei Barcelona zum Topstar gereift, doch wurde er in der Jugendakademie rausgeschmissen, weil er einem Mitspieler Eiswürfel unters Kopfkissen legte.
AP
Luis Muriel, Kolumbien, Sturm. Der nächste pfeilschnelle Angreifer. Muriel (rechts) wird sich mit Carlos Bacca und Radamel Falcao um einen Platz streiten müssen. Ausgang offen. Spielte eine lange Zeit in der italienischen Liga bei Genua, jetzt beim FC Sevilla in Spanien.
dpa
Yoshinori Muto, Japan, Sturm. Wie viele weitere japanische Fußballer hat auch Yoshinori Muto (Mitte) seine Zelte in Deutschland (Mainz 05) aufgeschlagen. Dort überzeugt er regelmäßig. Da Keisuke Honda zuletzt schwächelte, könnte Muto seinen Platz übernehmen. Das Potential dazu hat er.
dpa
Passend dazu hat Dalić den ehemaligen Bayern-Star Ivica Olić zu seinem Co-Trainer gemacht, der diese Funktion bisher noch nicht mal bei irgendeinem Ackerverein im dalmatinischen Hinterland hatte. Äußerst selten nur sieht man Dalić stehend am Spielfeldrand. Meistens sitzt er unauffällig, leise und nägelkauend auf der Bank. Wenn er in Mikros und Kameras sprechen muss, wirkt er scheu wie ein Reh. Umso erstaunlicher war es, dass er vor dem Spiel gegen Argentinien seinen Stürmer Nikola Kalinić nach Hause schickte. Der hatte eine Einwechslung wegen Rückenschmerzen verweigert.
Der Trainer setzt auf soziale Intelligenz, auf Kollegialität, auf Teamfähigkeit – und nicht nur auf das unumstrittene individuelle Können seiner Stars. Auch das nationalhysterische Patriotentum, von dem trotz kokainhafter Rock-’n’-Rolligkeit auch ein Slaven Bilić voll und ganz überzeugt war, ist Dalić offenbar fremd. Und trotzdem ist mit ihm noch kein ganz neuer Ton gefunden. Weder auf dem Spielfeld noch in der Kabine.
Modrić und Lovren stehen unter Druck
Nach dem Sieg gegen Argentinien tauchte ein Video des Innenverteidigers Dejan Lovren auf, das er in der Kabine gefilmt hatte und in dem zu hören ist, wie Lieder des rechtsradikalen Sängers Thompson gesungen werden. Und auf dem Feld war im Achtelfinale gegen Dänemark das alte Muster kroatischer Kleinkariertheit zu sehen: Sie unterschätzen den Gegner, überschätzen sich selbst, glauben, dass das Spiel von allein läuft – was es dann aber nicht tut, weil der Gegner mitunter auch was kann.
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Und dann läuft alles ganz schnell aus dem Ruder. Die Ordnung im Mittelfeld ist dahin, die Abwehr löst sich auf, die Offensive greift sich nur noch an den Kopf. Die Bälle werden irgendwohin gedonnert, Hauptsache, weg. Es regiert der Frust und nicht das Können.
Dass dieses Team was kann, ist unbestritten. Allein das Superduo Ivan Rakitić (FC Barcelona) und Luka Modrić (Real Madrid), das unermüdlich Räume öffnet und Bälle abholt und wegbringt, ist eine Augenweide. Dazu die Einsätze des jungen Wilden Ante Rebić (Eintracht Frankfurt), des Weltklasse-Torwarts Danijel Subašić (AS Monaco) und des sowieso irren Torjägers Mario Mandžukić (Juventus Turin).
Modrić und Lovren stehen bei dieser WM aber noch unter ganz anderem Druck. Ihnen drohen Haftstrafen in dem bizarren Mafiaskandal rund um Zdravko Mamić, den ehemaligen Chef des kroatischen Fußballverbands und Boss von Dinamo Zagreb. Anfang Juni wurde Mamić zu einer Haftstrafe von mehr als sechs Jahren verurteilt und floh nach Bosnien-Herzegowina. In dem Verfahren geht es auch um die Ablösesummen von Modrić und Lovren, um Meineid, Betrug, Untreue und Geldwäsche. Aber nun – erst mal abwarten, was die WM noch so bringt.
Als die Kroaten am 4. Juli 1998 Deutschland mit 3:0 besiegten und ins WM-Halbfinale einzogen, wurden bei den Freudenfeiern in der geteilten Stadt Mostar eine 25-Jährige und ein 67-Jähriger von Kroaten erschossen. Man kann nur hoffen, dass die Siegesfeier diesmal friedlicher ausfällt, sollten die Kroaten zum zweiten Mal in ihrer Geschichte ins Halbfinale kommen.
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