piwik no script img

Sondergipfel zur EU-MigrationspolitikMythos „gemeinsame Lösung“

Populisten machen Europa Druck. Das hat jetzt auch Juncker verstanden. Und plant einen Sondergipfel, um die Krise zu stoppen.

An ihrer Seite? EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker mit Merkel auf Schloss Meseberg Foto: reuters

Brüssel/Berlin taz | Laut Regierungssprecher Steffen Seibert wird Merkel am kommenden Sonntag in Brüssel mit den Regierungschefs „einer Reihe betroffener und interessierter Staaten“ zu einem „informellen Arbeitstreffen“ zusammenkommen. Bei dem Treffen, zu dem offiziell EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker eingeladen hat und das der Vorbereitung des EU-Gipfel am 28. und 29. Juni diesen soll, werde es um „aktuelle Fragen der Migration“ gehen, kündigte Seibert am Mittwoch in Berlin an.

Juncker eilt damit Merkel zu Hilfe. Offiziell geht es zwar nur um ein „informelles Arbeitstreffen“, mit dem der EU-Gipfel Ende kommender Woche vorbereitet werden soll. Doch in der Sache hat sich der Luxemburger zuletzt immer mehr der Position der deutschen Kanzlerin angenähert. Selbst in der Wortwahl passt sich Juncker an. Es gehe darum, „an europäischen Lösungen zu arbeiten“, sagte er.

Vor zwei Wochen klang das noch ganz anders. Bei einem Treffen mit dem österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz in Brüssel stellte sich Juncker hinter dessen Plan, die „Sicherung der Außengrenzen“ zur absoluten Priorität zu erklären.

Von den Binnengrenzen, um die es Bundesinnenminster Horst Seehofer geht, war ebenso wenig die Rede wie von Rückführungen in andere EU-Länder. Auch eine faire Lastenteilung, wie sie Merkel fordert, war kein Thema.

Kurz-Kurs aus Brüssel

Juncker war voll des Lobes für Kurz und dessen Politik der Abschottung. Sogar für Vizekanzler Heinz-Christian Strache von der rechtspopulistischen FPÖ fand er nette Worte. „Juncker auf Kurz-Kurs“, titelte das österreichische Volksblatt, Parteizeitung der ÖVP.

Wieso der Kommissionschef nun plötzlich auf Merkel-Kurs umgeschwenkt ist, lässt sich schwer sagen. Denn seine Berater und Sprecher schweigen.

Sie wollen sich nicht einmal zu der entscheidenden Frage äußern, ob die Dublin-Verordnung die Zurückweisung von Asylbewerbern an der deutschen Grenze erlaubt, wie dies Seehofer fordert. Dabei präsentiert sich die EU-Kommission sonst gern als „Hüterin der Verträge“.

Doch im aktuellen Streit geht es ihr vor allem darum, eine Ausweitung der Krise zu verhindern. Nicht nur Bayern bereitet der EU Sorgen, auch Ungarn und Polen spielen nicht mit.

Alles dreht sich um Merkel

Die Osteuropäer verweigern sich der „europäischen Lösung“, wie sie bisher diskutiert wurde – also einer Umverteilung von Flüchtlingen aus Italien und Griechenland auf alle EU-Länder.

Aber auch in Südeuropa gibt es ein Problem. So will die neue Regierung in Italien keine Flüchtlingsboote von Hilfsorganisationen mehr in ihre Häfen einlaufen lassen. Der Streit um die „Aquarius“ zeigt, dass die EU-Länder auf nationale Lösungen setzen.

Europa steht unter massivem Druck der Nationalisten und Populisten. Vor diesem Hintergrund erscheint die für das EU-Treffen am Sonntag anvisierte „europäische Lösung“ als Etikettenschwindel.

Im Vordergrund dürften dabei nämlich bilaterale Rücknahmeabkommen stehen – und nicht die Aufnahme von Asylbewerbern und ihre solidarische Umverteilung.

Jeder zeigt auf den anderen

Bisher hat nur Frankreich bilaterale Absprachen zugesagt. Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte zeigte sich dagegen beim Treffen mit Merkel am Montag in Berlin ausgesprochen zurückhaltend. Und aus Griechenland kommen bisher nur Fragen, keine Zusagen. „Wir erwarten für eine Stellungnahme die deutschen Vorschläge zur Lösung des Flüchtlingsproblems“, sagte ein Regierungsvertreter der „Bild“-Zeitung.

Optimistischer klang es auf Malta: Er freue sich, zu einer „abgestimmten europäischen Antwort“ auf die Migrationsherausforderung beizutragen, schrieb Regierungschef Joseph Muscat auf Twitter. Im Streit um die „Aquarius“ hatte Malta jedoch seine Häfen dicht gemacht. Wenn es um eine „europäische Lösung“ geht, zeigt jeder auf den anderen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Grundlegend falsch ist, das Europa in dieser Frage, immer noch, nach wie vor die Ursachen der Flucht in vielen Regionen nicht bekämpfen. Insbesondere nicht in den afrikanischen Staaten, die wir trotz aller Entwicklungsgelder wirtschaftlich immer noch ausplündern.

     

    Wir sollten ehrlicher miteinander umgehen. In diesen Tagen jedoch scheint das nicht möglich zu sein.

  • Ich nehme Euch wirklich übel, daß ich jetzt diesen abgehalfterten Provinzpolitiker verteidigen muss. Aber Juncker ist nicht "plötzlich auf Merkel-Kurs umgeschwenkt".

    Vielmehr ist es Merkel, die Ihre Position aufgegeben hat und brav das Stöckchen apportiert, das Seehofer geworfen hat.

    Wie Ihr richtig schreibt:

    "Im Vordergrund dürften [beim EU-Treffen] nämlich bilaterale Rücknahmeabkommen stehen – und nicht die Aufnahme von Asylbewerbern und ihre solidarische Umverteilung."

    Aufnahme und Umverteilung sind nämlich in der EU von 2018 nicht mehr durchzusetzen. Diese Chance ist vertan und es sind längst nicht mehr nur Polen und Ungarn, die sich widersetzen.

    So kann es also nur noch um eine möglichst synchrone Abschottung, Auffanglager außerhalb der EU-Grenzen und Rücknahmeankommen mit den Herkunftstaaten gehen. Der Profi-Opportunist Juncker hat das schon sehr früh erkannt.