Frank Keil über die Privatisierung von Erinnerung: Das war fahrlässig
Der Konflikt um den Gedenkort an der Hamburger Stadthausbrücke, wo ab 1933 die Leitstelle der Gestapo untergebracht war, wo die Nazis gefoltert und gemordet haben, zeigt, was passieren kann, wenn das Erinnern in die Hände eines privaten Investors gelegt wird. Und es zeigt das Versagen derer, die die Buchhändlerin Stephanie Krawehl mit der Erzählung von ihrer Großmutter, die an eben diesen Ort zu Verhören geladen worden sei, bereitwillig nach vorne haben treten lassen.
Warum ist etwa die Hamburger Kulturbehörde, die für die inhaltliche Ausgestaltung der künftigen Erinnerungsarbeit im Ensemble Stadthausbrücke zuständig ist, nicht auf die Idee gekommen, mal einen Historiker loszuschicken? Und zwar bevor Krawahl ihre Buchhandlung eröffnen durfte, die an das geplante Dokumentationszentrum angrenzt. Dann wäre doch herausgekommen, dass die Biografie von Krawehls Großmutter nicht taugt, um eine Buchhandlung an einem Ort des Schreckens zu legitimieren. Das wäre zu ihrem Schutz absolut notwendig, in jedem Fall hilfreich gewesen. Man muss es ganz profan und schnörkellos sagen: Wie steht denn Stephanie Krawehl nun da?
Wobei für Häme oder Besserwisserei entschieden kein Platz ist: Was wissen wir denn tatsächlich über die Vergangenheit unserer Großeltern während der NS-Zeit? Sind wir bereit, die immer wieder ausgeschmückten und auf diese Weise standardisierten Geschichten von den Großeltern, die heimlich BBC gehört, unwillig den Arm zum deutschen Gruß erhoben und die Hitler übrigens nie gemocht haben, radikal in Frage zu stellen? Die Nazis, das waren doch immer die anderen! Und so soll es bitteschön bleiben.
Noch etwas ist zu befürchten: Während eine Buchhändlerin nun vor den Trümmern ihrer eben nicht nur privaten Familienlegende steht, dürften sich die fast ausnahmslos männlichen Akteure dieser unseligen wie auch handwerklich fahrlässig ausgeführten Privatisierung von Erinnerung wie bisher ausschweigen. Und sie dürfen einfach weitermachen.
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