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Maßnahmen gegen KindesmissbrauchWeg mit den Scheuklappen

Kindesmissbrauch spielt sich oft im oder über das Netz ab. Doch deutschen Beamten fehlen die Befugnisse um an Pädophilenplattformen heranzukommen.

Effektiver Kinderschutz muss auch das Smartphone berücksichtigen Foto: dpa

Am vergangenen Dienstag informierten Rainer Becker von der Deutschen Kinderhilfe und Holger Münch, Chef des Bundeskriminalamts gemeinsam über sexuelle Gewalt an Kindern. Die Zahlen sind alarmierend: Missbrauchsabbildungen, im Volksmund nicht ganz korrekt „Kinderpornografie“ genannt, breiten sich im Netz und über Messenger-Dienste immer schneller aus.

Im Jahr 2017 weist die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik 6.500 Fälle von Missbrauchsabbildungen aus – ein Anstieg zum Vorjahr um 14,5 Prozent. Bei jugendpornografischen Schriften gab es einen noch größeren Anstieg um rund 24 Prozent auf über 1.300 Fälle. Bei sexuellem Kindesmissbrauch blieben die Fallzahlen mit 11.500 Straftaten im Vergleich zu den Vorjahren konstant.

Bei der Präsentation war auch der Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, anwesend. Rörig sprach von einem „erschütternden Ausmaß“ des Kindesmissbrauchs. Besonders warnte er vor den Gefahren sexueller Gewalt mittels digitaler Medien. Diese Gewaltakte an Kindern würden mehr und härter – und die Opfer immer jünger. Da mittlerweile 95 Prozent aller Mädchen und Jungen ab 12 Jahren ein internetfähiges Smartphone besäßen, seien sie hochgradig gefährdet, Cybergrooming – also die gezielte Anbahnung sexueller Kontakte im Netz durch Erwachsene – zu erleben oder erpresst zu werden.

Rörig appellierte an die Bundesregierung, die Lücken beim Kinder- und Jugendschutz zu schließen: Bereits der Versuch von Cybergrooming müsse unter Strafe gestellt werden. BKA-Chef Münch forderte mehr Personal, bessere technische Ausstattung und größere rechtliche Befugnisse – etwa eine längere Speicherbarkeit von IP-Adressen. Münch beklagte, dass im vorigen Jahr 8.400 Fälle nicht aufgeklärt werden konnten, da die Adressen der Verdächtigten nicht lange genug gespeichert werden durften.

Datenschutz gegen Kinderschutz

Mehr öffentliche Alarmstimmung als die Zahlen zu Gewalt an Kindern erzeugte dann allerdings Münchs Forderung nach Speicherung von Verbindungsdaten – insbesondere bei Netzaktivisten. Die Seite netzpolitik.org argwöhnte, dass der oberste Polizist der Nation sich die Zahlen zur Kinderpornografie zurecht biege, um – wenige Tage vor der Justizministerkonferenz – seine Forderung nach massenhafter Speicherung von Bürgerdaten zu rechtfertigen – wo doch die Aufklärungsquote der Polizei in diesem Bereich in Wirklichkeit mit 79 Prozent „ziemlich hoch“ sei.

Ach so, mag da mancher gedacht haben. Polizei schürt Panik, um Daten zu horten und mehr Leute zu kriegen. Ist also nur Lobbyismus und deshalb halb so schlimm.

Wer effektiven Kinderschutz will, muss eine gewisse Aufweichung beim Datenschutz in Kauf nehmen

So einfach ist es nicht. Die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik bildet nur die Missbrauchstaten ab, die in Deutschland angezeigt und erfolgreich ermittelt wurden. Und das ist nur ein sehr kleiner Teil. Auch, dass durch die Strafrechtsverschärfung 2015 auch sogenannte Posingbilder unter Strafe gestellt werden, fällt zahlenmäßig kaum ins Gewicht. Der überwiegende Teil der Taten, der den enormen Anstieg ausmacht, spielt sich im Dunkelfeld ab.

Die 8.400 Fälle, die im letzten Jahr nicht ermittelt werden konnten, wurden der deutschen Polizei von ausländischen, meist US-Kollegen gemeldet. Doch um gegen verdächtige Landsleute zu ermitteln, fehlt den Deutschen oft die Befugnis. Netzprovider dürfen IP-Adressen nur bis zu neunzig Tagen speichern, danach ist eine Ermittlung des Aufenthaltsorts eines Verdächtigen so gut wie chancenlos.

Die Ermittlungsquote der US-Beamten ist deutlich höher: In den USA gibt es nicht nur eine Meldepflicht der Provider für kinderpornografische Inhalte. Auch Zugangsdaten dürfen länger gespeichert werden. Zudem verfügt die Polizei dort über effektivere Software.

Und für Ermittlungen im Darknet darf sie verwenden, was deutschen Beamten strikt verboten ist: Missbrauchsabbildungen die, mit der Zustimmung jetzt erwachsener Opfer oder künstlich nachgestellt durch Avatare, Zutritt zu abgeriegelten Pädophilenplattformen ermöglichen. Die deutsche Polizei kommt ohne solche sogenannten „Keuschheitsnachweise“ an die schlimmsten Zirkel der Szene gar nicht erst heran.

Wer effektiven Kinderschutz will, muss wohl eine gewisse Aufweichung beim Datenschutz in Kauf nehmen. Wie das geschehen kann, ohne Grundrechte zu verletzen, ist Aufgabe einer breiten gesellschaftlichen und parlamentarischen Diskussion, die ohne ideologische Scheuklappen geführt werden muss.

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9 Kommentare

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  • Die Szene wird sich anpassen. Die Pflicht für Mitglieder solcher Foren, selbst Material hochzuladen, dient ja dem Schutz der Kriminellen vor Überwachung. Wenn dieser Schutz nicht mehr ausreicht, dann wird man schwerere Proben fordern: Ein Nachweis, dass die Bilder neu sind, ein Nachweis, dass die Bilder extra für das Kriminellenforum angefertigt wurden, etc. Dinge, die mit Altmaterial nicht zu erbringen sind. Was dann?

  • Ich hätte nichts gegen striktere Ermittlungsmöglichkeiten der staatlichen Instanzen. Allerdings sollten sie einer glaubwürdigen Kontroll- bzw Rehabilitationseinrichtung unterworfen sein, wie es für die 'Terrorgesetze' auch gelten sollte. Sonst legt sich unsere moderne Gesellschaft die Sehnsucht nach einem totalitären Staat zu...

  • In Deutschland darf man keine Straftaten als Beamter anleiern. Es gibt schlichtweg keine Möglichkeit, im Darknet erfolgreicher zu agieren, wenn man nicht eine US amerikanische Gesetzgebung haben will. Und ja, ich glaube auch, dass das BKA diese Zahlen benutzt um endlich das zu bekommen, was mit Bundestrojanern und verfassungswidrigen Gesetzentwürfen bisher nicht ganz gelungen ist.

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @Hampelstielz:

      "Straftaten anleiern" nennen Sie das.

       

      Es gibt in Deutschland Missbrauchsopfer, die sich bereit erklärt haben, das Material, dass sie als Opfer zeigte, den Beamten als "Keuschheitsprobe" zur Verfügung zu stellen.

       

      Meinen Sie diese Opfer wollen auch nur Straftaten anleiern und ihnen an die Datenwäsche?

      • @88181 (Profil gelöscht):

        Straftaten initiieren ist vielleicht das nicht umgangssprachliche Wort dafür. Die Opfer solcher Straftaten haben wenig mit den Akteuren in BKA und Justiz zu tun.

        Also, nein, ich glaube nicht, dass Mißbrauchsopfer einen Überwachungsstaat herbeiwünschen.

        • 8G
          88181 (Profil gelöscht)
          @Hampelstielz:

          Das ist für Sie ein Überwachungsstaat, in dem Opfer von Missbrauch und Kinderpornografie besser verfolgt werden können?

           

          Nun, dann wünsche ich mir einen Überwachungsstaat und ihnen eine gesegnete Friedhofsruhe in ihrer informationellen Selbstbestimmung.

           

          Das Elend geht sie ja nichts an.

          • @88181 (Profil gelöscht):

            Warum geht mich das Elend nichts an, weil ich die Intention anzweifle und Sorge habe, dass die gewünschten Mittel nicht für den vorgebrachten Zweck erbeten und genutzt werden?

            • 8G
              88181 (Profil gelöscht)
              @Hampelstielz:

              Na gut, wenn diese "Keuschheitsprobe" Ihrer Meinung nach nicht das Richtige ist, in diese Kreise einzudringen, was würden Sie dann vorschlagen?

               

              Die meisten erfolgreichen Aktionen gegen diese Szene in den letzten Jahren gelangen auf eben diese Weise.

               

              Die Australier haben sogar über ein Jahr eine Plattform installiert, um möglichst viele User dingfest machen zu können.

               

              Wenn es nach Ihnen geht, wäre das nicht gegangen. Ist das egal?

              http://www.spiegel.de/panorama/justiz/australien-polizei-ermittelte-mit-eigener-kinderporno-plattform-a-1172503.html

              • @88181 (Profil gelöscht):

                Es ist nicht egal, dass dafür eine Gesetzesgrundlage geschaffen werden müßte, die nicht auf diese Anwendung beschränkt bleiben würde.

                Unterstell mir nichts.