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Präsidentschaftswahl in KolumbienEine Mehrheit für den Frieden?

Wer gewinnt die Stichwahl? Der linke Gustavo Petro oder der Ultrarechte Iván Duque? Mit einer „weißen Stimme“ gibt es sogar eine dritte Option.

Nach dem ersten Wahlgang am 27. Mai verbrannten Wahlhelfer nicht benutzte Stimmzettel Foto: imago/Agencia EFE

BOGOTA taz | Im Imbiss von Doña Lila im beschaulichen Bogotaner Stadtteil La Soledad treffen sich Felipe Cruz und Cecilia Gómez zum Mittagessen. Der pensionierte Physikprofessor und die weitgereiste Psychologin im Ruhestand kommen bald auf die bevorstehende Stichwahl zu sprechen. „Ich wünsche mir Veränderung“, sagt Frau Gómez. „Ich auch“, pflichtet ihr Professor Cruz bei, „Aber nicht so etwas wie Venezuela!“. Seine Tischnachbarin nickt.

Venezuela, also sozialistische Mangelwirtschaft, das ist das Etikett, das seine Gegner Gustavo Petro anheften. Der 58-jährige Gründer der Partei Colombia Humana tritt für die Veränderungen ein, die sich viele Menschen wünschen: mehr so­zia­le Gerechtigkeit, Aufräumen mit Korruption und Klientelwirtschaft in der Politik, Maßnahmen gegen den Klimawandel, ökologische Landwirtschaft, bezahlbares Wohnen. Nicht zuletzt: eine konsequente Umsetzung des Friedensabkommens, das dank erfolgreicher Querschüsse seiner Gegner in den Mühlen des Kongresses stecken geblieben ist und grandios zu scheitern droht. Die Regierung von Präsident Juan Manuel Santos hatte sich 2016 nach zähen Verhandlungen mit der mehr als 50 Jahre alten Guerilla Revo­lutionäre Streitkräfte Kolum­biens (Farc) auf einen Reformkatalog geeinigt.

Die Gegner, das sind in erster Linie Expräsident Álvaro Uribe (2002–2010) und seine Gefolgsleute der Partei Centro Democrático. Uribe selbst darf laut Verfassung nach zwei Amtsperioden nicht mehr antreten und hat daher seinen Satrapen Iván Duque ins Feld geschickt. Der hat zwar seinen Diskurs gemäßigt und droht nicht mehr, „das Abkommen in kleine Stücke zu zerreißen“, wenn er an die Macht kommt, doch ist klar, in welche Richtung es geht.

Duque, ein 41-jähriger Ökonom, der den größten Teil seines Berufslebens in den USA verbracht hat, spricht jetzt nur mehr davon, das Abkommen zu „verbessern“, und meint damit, dass die Teilamnestie für die im bewaffneten Konflikt begangenen Verbrechen aufgehoben und alle Kommandanten der ehemaligen Farc-Guerilla ins Gefängnis geworfen oder – noch besser – an die USA ausgeliefert werden sollten. Dass sie – unabhängig vom Wahlergebnis – je fünf Sitze im Abgeordnetenhaus und im Senat bekommen sollen, findet er skandalös. Er strebt außerdem eine Justizreform an, für die er mit Einsparungen argumentiert, die aber gleichzeitig mit der Einstellung der Prozesse gegen seinen Mentor einhergehen würde.

Rechte mobilisieren gegen „Castrochavismus“

Duque bleibt zwar insgesamt in seinen Wahlveranstaltungen wie auch bei TV-Diskussionen höchst unkonkret, doch ist es ihm und seinen Wahlkampfmanagern gelungen, Petro als linken Gottseibeiuns anzuschwärzen, der nichts anderes im Sinn habe, als die Unternehmer zu enteignen und Kolumbien in Richtung einer sozialistischen Mangelwirtschaft à la Venezuela zu führen. Vor bald 30 Jahren war Petro in der Guerilla M19 aktiv, die den bisher erfolgreichsten Friedensprozess durchgemacht hat und an der Formulierung der vorbildlichen Verfassung von 1991 maßgeblich beteiligt war.

Als „Castrochavismus“ geistert diese angebliche Geisteshaltung durch alle Ansprachen und Wahlspots der Rechten. Die Medien sekundieren beflissen. Dabei hilft, dass die beiden größten Medienunternehmen – RCN und Caracol – den beiden größten Unternehmergruppen gehören, denen Duque die Fortsetzung der auf Rohstoffausbeutung und Import gestützten Wirtschaftspolitik zugesagt hat. Petro will mit dem schrittweisen Ausstieg aus dem Erdöl sofort beginnen und die nationale Klein- und Mittelproduktion fördern.

„Wenn sie einmal an der Macht sind, dann handeln sie oft viel pragmatischer, als im Wahlkampf versprochen“

Pastor Alape

Duque hat bei der ersten Wahlrunde am 27. Mai mit 39,1 Prozent der Stimmen einen bequemen Vorsprung auf Gustavo Petro erreicht, der sich mit knapp über 25 Prozent für die Stichwahl qualifizieren konnte. Theoretisch stehen die Chancen für Petro dennoch nicht so schlecht, denn Sergio Fajardo, der sich mit 23,7 Prozent nur knapp geschlagen geben musste, wurde vor allem von aufgeklärten urbanen Wählerinnen und Wählern als Option gesehen. In Bogotá lag er sogar auf dem ersten Platz. Und da sind noch die 2 Prozent, die sich für Humberto de La Calle entschieden, jenen Mann, der für Präsident Santos das Friedensabkommen in Havanna ausgehandelt hat. Das ergäbe eine knappe Mehrheit für jene Kräfte, die den Frieden wollen.

Es gab sogar schon ein entsprechendes Bündnis. Im Wahlkampf hatten sich die drei Kandidatinnen für die Vizepräsidentschaft darauf geeinigt, in der Stichwahl jenen Kandidaten zu unterstützen, der es mit Duque aufnehmen muss. „Die erste Einigung war, im Wahlkampf respektvoll miteinander umzugehen“, sagt Ángela María Robledo, die mit Petro antritt, „Gustavo hat jetzt auch zur Einigkeit aufgerufen: Entweder wir schließen uns zusammen, oder wir gehen unter!“

Egomanisch, autoritär und nicht teamfähig

Nach der Wahl zog sich Fajardo mit der Formel aus der Affäre, die Wähler seien reif genug, ihre Entscheidung zu treffen. In einem Zeitungskommentar ging der Mathematikprofessor noch weiter und lobte Uribe, der eine Unzahl Prozesse wegen seiner Verstrickungen mit Paramilitärs am Hals hat, als „ehrlichen Mann“. Auch De La Calle enthält sich einer Empfehlung für Petro: „Da ich die Wähler nicht von mir überzeugen konnte, wäre es seltsam, wenn ich sie überzeugen könnte, für einen anderen zu stimmen.“

Viele Menschen, die grundsätzlich mit den Positionen von Gustavo Petro sympathisieren, lehnen ihn als Person ab. Er sei egomanisch, autoritär und nicht teamfähig, sagen Leute, die mit ihm im Kongress oder im Rathaus von Bogotá zusammengearbeitet haben. „Wenn man vor großen Herausforderungen steht, braucht man eine gewisse Stärke“, meint seine Weggefährtin Rob­ledo, die nach einem langen Wahlkampf an seiner Seite meint, die Kritiken seien stark übertrieben.

taz am wochenende

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Der Wahlrat hat beschlossen, auf dem Stimmzettel nicht nur die beiden Kandidaten, sondern daneben noch eine dritte Option, die „weiße Stimme“, anzubieten. Damit soll allen, die keinen der beiden wirklich goutieren, ein Ausweg angeboten werden. Zusätzlich zur Möglichkeit, ungültig abzustimmen. Armando Novoa, einziger Vertreter der Linken im Wahlrat, findet das skandalös: „Das hat überhaupt keine Berechtigung. Diese Option wurde schon in der ersten Runde abgewählt.“

Novoa ist wie viele andere überzeugt, dass davon einzig Iván Duque profitiert, der die überzeugtere Anhängerschaft hat. Jüngste Umfragen zeigen, dass zwischen 11 und 18 Prozent der Wähler das weiße Kästchen ankreuzen wollen, während Du­que mit 45 bis 52,5 Prozent rechnen kann. Im hypothetischen Fall, dass eine Mehrheit sich für die weiße Option entschiede, müssten die Wahlen mit neuen Kandidaten wiederholt werden.

Imelda Daza ist nicht optimistisch

Pastor Alape, der als Verbindungsmann der Farc zur Regierung die Umsetzung des Friedensabkommens voranzutreiben versucht, stellt sich bereits auf Duque als Präsidenten ein. „Wenn sie einmal an der Macht sind, dann handeln sie oft viel pragmatischer, als im Wahlkampf versprochen“, übt er sich in Zweckoptimismus. Er glaubt, dass Du­que nicht allein von Uribe gegängelt, sondern vielfältigem Druck ausgesetzt sein werde: „Es wird nicht so einfach sein, das Abkommen komplett kaputt zu machen. Schließlich hat es bei den Wahlen mehr Stimmen für die Friedensoption gegeben als dagegen.“

Weniger optimistisch ist Imelda Da­za, die 26 Jahre im schwedischen Exil verbracht hat, ehe sie vor zwei Jahren nach Kolumbien zurückkehrte. Als Mitglied der linken Unión Patriótica (UP) war sie einst in ihrem Wahlbezirk die einige überlebende Kandidatin. Alle anderen wurden – wie insgesamt über 5.000 Aktivisten der UP – gezielt ermordet. Daza bewarb sich als Kandidatin für die Vizepräsidentschaft an der Seite des ehemaligen Farc-Kommandanten Rodrigo Londoño Echeverri, besser bekannt als Comandante Timochenko. Der hatte sich aber nach einer Herzattacke aus dem Rennen zurückgezogen.

Die Veteranin verweist auf die fast 50 Prozent ehemaligen Farc-Kämpfer, die die Sammelzonen verlassen haben. Zu lange mussten sie vergeblich darauf warten, dass ihnen Land zugewiesen wird, wie es das Abkommen vorsieht, oder sie sich durch einen Ausbildung für einen anderen Beruf qualifizieren können. „Die haben nichts anderes gelernt, als eine Waffe zu gebrauchen. Was glaubst du, was die jetzt machen?“.

Pastor Alape schätzt zwar, dass nicht mehr als 20 Prozent sich zu Banden zusammengeschlossen hätten, da die meisten in ihre Heimatdörfer oder ihre ehemaligen Operationsgebiete zurückgekehrt seien, wo sie sozialen Anschluss hätten. Doch für ein Abkommen mit den noch aktiven Guerilla­grup­pen ELN und EPL sieht er schwarz: „Das wird nicht zustande kommen“. Denn wer sollte noch angesichts der jüngsten Erfahrungen an einen Friedensvertrag glauben?

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