Stadtentwicklung auf grüner Wiese: Utopia in Billwerder
Mit dem Baugebiet Oberbillwerder wagt sich die Stadt Hamburg auf die grüne Wiese zurück. Wie dieser neue Stadtteil mal aussehen soll.
Suggerierte Lebendigkeit
Was sich das internationale Planerteam in Oberbillwerder vorstellt, sieht auf den Animationsfotos typischerweise sehr verheißungsvoll aus. Menschen aller Generationen bevölkern die autofreie Straße: Da wird ein älterer Rollstuhlfahrer des Weges geschoben, ein Mädchen flitzt auf einem Roller daher und ein Kanufahrer paddelt auf einem naturbelassenen Bachlauf auf ein Entenpärchen zu. Das Gebäude auf der anderen Seite des Baches, das mit seinem Glasdach aussieht wie ein riesiges Gewächshaus, lässt sich auf einer geschwungenen Rutsche verlassen, und aus den unterschiedlich hohen Gebäuden wachsen Bäume sowohl aus dem Dach als auch aus den Balkonen.
Diese suggerierte Lebendigkeit in abwechslungsreicher, ökologisch geprägter Umgebung, das urbane Leben inmitten der Kulturlandschaft, ist das, was der Senat mit seinem Sprung auf die grüne Wiese, auf den Oberbillwerder Acker, am Ende umgesetzt haben möchte. Oberbaudirektor Franz-Josef Höing ist sich der Herausforderung dieser stadtplanerischen Ambition bewusst. „Wir schlagen noch mal ein Kapitel auf, das wir eigentlich schon gelesen haben“, beschreibt er die Tatsache, dass Großsiedlungen am Stadtrand als Bausünde der 70er-Jahre gelten, deren vielfältige Mängel seit Jahren mit zig Unterstützungsmaßnahmen kompensiert werden müssen. Auf Grund der bekannten Probleme hätten sich die Stadtplaner „in dieser Dimension lange nicht mehr an den Rand der Stadt herangetraut“.
Was nun das Planerteam aus dänischen Architekten, niederländischen Landschaftsplanern und deutschen Energieingenieuren (Adept, Karres und Brands, Transsolar) auf Grundlage der Bürgerbeteiligungsvorschläge erarbeitet hat, erfüllt den Oberbaudirektor mit Zuversicht, diese „Herkulesaufgabe“ meistern zu können. Der gekürte Plan sei „richtig bestechend“, weil er sich am „Grundriss der Landschaft“ orientiere. Während die ehemaligen Flussläufe der Bille mit ihren Mäandern dem auf dem Reißbrett gezeichneten Plan etwas naturhaft Spontanes verleihen, dienen die linearen Entwässerungsgräben der historischen Marschenlandschaft als natürliche Einteilung der großen Baufläche in verschiedene Quartiere mit unterschiedlichen Gebäudeformen.
Bis zu sieben Stockwerke hoch und dicht im sogenannten Bahnquartier, großzügiger und niedriger im „Agriquartier“. Dass das Planerteam alle öffentlichen Einrichtungen wie Kindergärten und Schulen an dem alle Quartiere verbindenden Grüngürtel angeordnet hat, ist für Höing eine gute Grundlage dafür, dass die angestrebte Lebendigkeit auch wirklich erreicht werden kann. Seien Schulen doch so was wie die „Kathedralen des 21. Jahrhunderts“, wo die Menschen des Quartiers zusammenkommen.
Hohn und Spott in den Ohren der Nachbarn
Außerdem sei ein großer Teil der Bruttobaufläche für Freiraum vorgesehen, unter anderem für sportliche Aktivitäten. Nicht zuletzt lobt Höing die Nachhaltigkeit des Entwurfes, der nicht nur Autos aus den Quartieren raushält, sondern der vorsieht, dass Oberbillwerder sich selbst mit Energie wird versorgen und darüber hinaus Energie wird abgeben können. Damit könne man beweisen, dass bei dem Bau auf diesen weiten Wiesen und Äckern nicht nur „Landschaft verbraucht“ werde.
Das Stadtentwicklungsvorhaben Oberbillwerder im Bezirk Bergedorf wurde vom Hamburger Senat am 28. 9. 2016 unter dem Leitgedanken „Mehr Stadt an neuen Orten“ beschlossen.
Entwickelt wird das Quartier mit dem viel zitierten Drittelmix von der IBA Hamburg GmbH.
Nach vielen Gebietsabtrennungen bezeichnet heute Billwerder das rund acht Kilometer lange Marschhufendorf mit seinen denkmalgeschützten Bauernhäusern an der geschlängelten Straße zwischen Boberger Dünen im Norden und dem zukünftigen Baugebiet Oberbillwerder im Süden, den jetzigen Wiesen, Äckern und Feldern.
Das gesamte Gebiet von Billwerder ist seit 1910 im Besitz der Stadt, die bereits früh Ambitionen mit dem Gelände verfolgte. Was jetzt als „Oberbillwerder“ bezeichnet wird, war lange als „Neuallermöhe III“ geplant.
Die Pläne des Siegerentwurfes werden vom 15. bis zum 28. Juni im Rathaus Bergedorf ausgestellt. Zur Eröffnung am 14. Juni, 17 Uhr, wird eingeladen.
Alle Hinweise darauf, wie sensibel der Entwurf mit der Landschaft umgehe, klingen in den Ohren der Billwerder indes nur wie Hohn und Spott. „Es ist doch die große Weite, die die Kulturlandschaft ausmacht“, sagt Rainer Stubbe, der am nördlichen Rand des anvisierten Baugebietes, am Billwerder Billdeich, ein Café in einem Hof betreibt, der seit mehreren Generationen von seiner Familie bewirtschaftet wird. Dass der Entwurf nur die Hälfte der Bruttobaufläche bebaut, ist für den diplomierten Landschaftsplaner keinerlei Trost.
Auch Gesa Kohnke-Bruns bringt der vermeintlich schonende Umgang mit der Landschaft nicht viel. „Wir verlieren ein Drittel unserer Fläche und damit unsere Existenzgrundlage“, sagt die Landwirtin, die zusammen mit ihrem Mann und ihren Söhnen in Oberbillwerder klassischen Ackerbau betreibt. Kohnke-Bruns war auf jedem der Bürgerbeteiligungstreffen, um genau zu wissen, was geplant wird, und um gegen solche Vorschläge wie Wanderwege unmittelbar hinter ihrem historischen Marschhufnerhaus ihr Veto einzulegen. Mit den Verantwortlichen der Stadt im regen Austausch stehend sagt sie: „Die wissen genau, was sie uns antun.“
Nicht nur die betroffenen Bewohner des idyllischen Marschhufendorfes Billwerder sind gegen die Pläne des Senats. Die Linke kritisiert die nachhaltige Beeinträchtigung der besonderen Kulturlandschaft Vier- und Marschlande. Und der Vorsitzende der CDU-Fraktion Bergedorf, Sven Noetzel, bezeichnet Oberbillwerder als „Fehler“. Würde sich der Senat an seine eigene Maxime „Innen- vor Außenentwicklung“ halten, müsste für Wohnungsbau „keine Wiese platt gemacht“ werden, um damit „7.000 auf einen Streich“ zu bauen.
Während der Oberbaudirektor hofft, dass der Masterplan zügig erstellt wird, sammeln die Gegner Unterschriften gegen das Vorhaben und üben sich in der Zuversicht, dass die Pläne für Oberbillwerder nicht ihre Zukunft gestalten, sondern spätestens mit der nächsten Senatswahl der Vergangenheit angehören werden.
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