piwik no script img

Offensive der Taliban in AfghanistanFarah steht kurz vor dem Fall

Die Taliban stehen vor ihrem größten militärischen Erfolg seit dem Fall von Kundus: Sie nehmen große Teile der Provinzhauptstadt Farah ein.

Die afghanische Armee versucht, Regierungsgelände in Farah zu sichern Foto: reuters

Kabul taz | Es ist die wichtigste Schlacht im afghanischen Krieg seit dem Spätsommer 2015. Kurz nach Mitternacht drangen am Dienstag Taliban-Kämpfer aus mehreren Richtungen ins Zentrum der westafghanischen Provinzhauptstadt Farah vor und griffen die örtlichen Sicherheitsdienste und das Gefängnis an. Dabei setzten sie von der Regierungsarmee erbeutete gepanzerte amerikanische Humvees und Selbstmordkommandos ein. Die Stadt nahe der Grenze zu Iran stand am Rande des Falls. Am Vormittag brannte die Zentrale des Geheimdiensts. Dessen paramilitärische Einheiten hielten sich bei Redaktionsschluss aber noch.

Provinzgouverneur Baser Salangi war nach afghanischen Medienberichten bereits tags zuvor aus der Stadt geflohen. Viele Einwohner taten es ihm gleich. Afghanische Medien verbreiteten Fotos menschenleerer Straßen. Verlässliche Zahlen von Verlusten lagen aber noch nicht vor. Die Regierung setzte noch am Dienstag Verstärkungen in Marsch, darunter Kommandoeinheiten, und verbreitete Durchhalteparolen. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums erklärte, „bis zum Abend“ würde die Situation in Farah „wieder gut“ sein. Hubschrauber der Regierungsarmee flogen Angriffe.

Sollten die Taliban Farah in der gleichnamigen Provinz übernehmen oder sich dort festsetzen, wäre das ihr größter militärischer Sieg seit der zeitweiligen Einnahme der nordafghanischen Provinzhauptstadt Kundus im September 2015 und nochmals im Oktober 2016. Kundus war mehrere Jahre lang Hauptstationierungsort der Bundeswehr in Afghanistan.

Die Taliban kontrollieren schon seit Jahren weite Teile Farahs, darunter drei von elf Distrikten. In den anderen acht Distrikten können Regierungsvertreter sich nicht mehr außerhalb der Verwaltungszentren bewegen. Farah-Stadt stand bereits im vorigen Jahr sowie im Februar mehrmals kurz vor dem Fall. Damals setzten sich die Taliban auch in Vororten fest, von wo aus sie nun angriffen.

Die Taliban attackieren systematisch Registrierungszentren für die im Oktober geplanten Parlamentswahlen

Eine ähnliche Situation herrscht laut Verteidigungsministerium in 212 der landesweit 407 Distrikte. Provinzstädte wie Pul-e Chumri, Sarepul und Maimana im Norden und Laschkargah im Süden stehen unter Druck. In Ghasni im Südosten beherrschen die Taliban mindestens ein Stadtviertel. Ihre Kämpfer patrouillieren dort bewaffnet durch Straßen und greifen Polizeiposten im übrigen Stadtgebiet an. Zudem attackieren die Taliban systematisch Registrierungszentren für die im Oktober geplanten Parlamentswahlen. Von Kampagnenbeginn am 14. April bis zum 10. Mai registrierte die UNO 23 solcher Zwischenfälle mit 86 getöteten und 185 verletzten Zivilisten, meist Frauen und Kinder. Auch gibt es 26 Entführte.

Die taz erfuhr von Augenzeugen, dass mutmaßliche Taliban Ende voriger Woche im Distrikt Dschalres, eine halbe Autostunde vor Kabul, zwei Männer enthaupteten. Der eine hatte einen Ausweis mit Wahlregistrieraufkleber bei sich, der andere führte ein Transportunternehmen, das verwundete Polizisten und Soldaten in Krankenhäuser brachte.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!