Rechtsextreme im Reservistenverband: Ex-Soldaten unter Beobachtung
Es gibt rechtsextreme Verdachtsfälle im Verband der Reservisten – angeblich ohne Austausch mit dem VS. Stimmt das?
Im Februar hatte die taz über die sogenannte „Festplattenaffäre“ berichtet, die den Reservistenverband seit Jahren beschäftigt. Dabei geht es um eine dienstliche Festplatte, auf der Verbandsmitarbeiter hunderte rechtsextremer Dateinamen gefunden hatten – darunter solche wie „Arisches Blut – Hitlers 100. Geburtstag.mp3“, „Zillertaler Türkenjäger – SS-SA-Germania.mp3“ und „Adolf Hitler – DEUTSCHE JUDEN.mp3“.
Bereits zuvor hatte die taz berichtet, dass ein Großteil der Betroffenen, die im Rahmen einer Razzia rund um die sogenannte Nordkreuz-Gruppe im Herbst 2017 in Mecklenburg-Vorpommern durchsucht worden waren, Mitglieder des Reservistenverbandes waren. Einer der Durchsuchten hatte zuvor versucht, über den Verband an einen Waffenschein zu gelangen. Die Bundesanwaltschaft ermittelt derzeit wegen des Verdachts eines möglicherweise rechtsterroristischen Hintergrundes.
Die Bundesregierung sieht offenbar keine besondere Gefährdung des Verbands. Laut der Antwort sind dem Bundesamt für Verfassungsschutz seit dem Jahr 2015 im Bereich Rechtsextremismus demnach lediglich „Verdachtsfälle im einstelligen Bereich bekanntgeworden“, die einen Bezug zum Reservistenverband gehabt hätten. Diese seien jedoch nicht auf Hinweise aus dem Reservistenverband zurückzuführen, heißt es in der Antwort. Auch hätten sich die Verdachtsfälle allesamt nicht bestätigt. Weiter heißt es: „Dem BfV liegen keine Angaben darüber vor, ob die Betroffenen Zugang zu Waffen haben oder hatten.“
Verband zieht Rechtsextreme an
Dass der Reservistenverband mit seinen rund 115.000 Mitgliedern auch anziehend für Rechtsextreme ist, ist seit langem ein Thema im Verband, der unter anderem militärische Ausbildungstrainings veranstaltet und Schießstände unterhält.
Seit 2010 schloss der Verband nach eigenen Angaben insgesamt 40 Mitglieder wegen rechtsextremer Aktivitäten aus, zuletzt in Folge der Nordkreuz-Razzia auch fünf Männer in Mecklenburg-Vorpommern, die von den Durchsuchungen betroffen waren. Zwei davon gehen derzeit gegen diese Kündigungen vor. Kritiker, teils aus den eigenen Reihen, bemängelten wiederholt, dass der Verband nicht entschlossen genug gegen mutmaßliche Rechtsextreme vorgehe.
Aus der Antwort der Bundesregierung geht hervor, dass im Prinzip kaum ein Austausch zwischen Reservistenverband und dem Bundesamt für Verfassungsschutz stattfinde, wenn es um Rechtsextremisten geht. Dort heißt es etwa, dass aufgrund der „restriktiven Anforderungen zur Übermittlung von Daten an andere Stellen“ eine Übermittlung von unbestätigten Verdachtsfällen an den Reservistenverband nicht zulässig sei. An anderer Stelle heißt es: „Dem Bundesamt für Verfassungsschutz liegen keine Erkenntnisse zu Maßnahmen des Verbands der Reservisten der Bundeswehr vor.“ Auch der Reservistenverband lässt auf Anfrage mitteilen: „Über einen offiziellen Austausch zwischen dem VdRBW und Organisationen wie dem Bundesverfassungsschutz oder anderen Diensten ist uns nichts bekannt.“
Angaben sind „sensibel“
Ob und inwiefern der Verfassungsschutz mit eigenen Quellen im Reservistenverband tätig ist, dazu will die Bundesregierung nichts sagen. Angaben dazu seien „so sensibel“, „dass auch eine Beantwortung unter VS-Einstufung, die in der Geheimschutzstelle des Bundestages einsehbar wäre, ausscheidet.“
In der Praxis gab es dagegen in der Vergangenheit durchaus einen Austausch, von dem in der Antwort jedoch nicht die Rede ist. Der Reservistenverband und das Bundesinnenministerium hatten nach Informationen der taz unter Führung des damaligen Präsidenten und Bundestagsabgeordneten Roderich Kiesewetter (CDU) einen informellen Kanal etabliert, über den Verdachtsfälle und anderes – stets nur inoffiziell – besprochen werden konnten.
Kontaktmann war der damalige Hauptgeschäftsführer des Reservistenverbandes, Dierk-Joachim Fell, dem im Verband beste Kontakte zu den Nachrichtendiensten nachgesagt werden. Geht es nach Stimmen aus dem Verband, so soll diese Praxis noch heute bewährt sein. Zuständig für den informellen Kontakt zu Nachrichtendiensten und Sicherheitsbehörden sei der jeweilige Hauptgeschäftsführer, heißt es aus dem Präsidium. Offiziell äußert sich der Verband auf Anfrage allerdings anders: Dass es einen informellen Draht zu den Verfassungsschützern gebe, könne der Verband nicht bestätigen.
Behörden sollten „genauer hinschauen“
Heißt das, dass es trotz wiederkehrender Verdachtsmomente also gar keinen Austausch zwischen Reservistenverband und dem Bundesamt gibt?
Für die Linke-Politikerin Renner ist das ein Unding. „In einer Zeit, in der wir immer mehr rechtsterroristische und rechtsmotivierte Verdachtsfälle innerhalb von Polizei, Behörden und Bundeswehr beobachten können, erwarte ich, dass die deutschen Behörden hier auch genauer hinschauen“, sagte Renner.
Dass das Präsidium des Reservistenverbands über große Nähen zu den Nachrichtendiensten verfügt, ist allerdings ein offenes Geheimnis. Im März hatte der frühere Reservistenpräsident Kiesewetter, der inzwischen mit dem Verband über Kreuz liegt, im Rahmen einer Zeugenanhörung vor einem Berliner Gericht ausgesagt, das Präsidium des Reservistenverbands sei zu seiner Zeit „durchsetzt“ gewesen mit Leuten, die für den BND arbeiteten. Der BND, Bundesnachrichtendienst, ist der deutsche Auslandsgeheimdienst.
Verband mit 17 Millionen Euro unterstützt
In ihrer Antwort an die Linksfraktion schreibt die Bundesregierung übrigens auch, dass sie keine Erkenntnisse über etwaige Kontakte zwischen Mitgliedern des Reservistenverbandes und dem wegen rechtsextremistischer Terrorpläne angeklagten Bundeswehrsoldaten Franco A. habe. Im Zuge der Ermittlungen gegen Franco A. waren die Ermittler auch auf die sogenannte Prepper-Gruppe in Norddeutschland gestoßen.
Die Antwort der Bundesregierung umfasst noch einen weiteren Aspekt. Die Abgeordnete Renner hatte sich in ihrer Kleinen Anfrage auch auf die taz-Berichterstattung über die sogenannte „Festplattenaffäre“ im Reservistenverband bezogen. Im Februar hatte die taz über Vorwürfe aus Reihen des Verbands berichtet. Demnach waren Festplatten eines Mitarbeiters mit mutmaßlich rechtsextremistischen Inhalten bereits 2014 sowohl an die Bundesgeschäftsführung des Reservistenverbandes als auch an das Bundesamt für Verfassungsschutz gegangen – allerdings ohne Konsequenzen.
Auch in dem Fall hatte die Bundesregierung offenbar nicht im Visier, was im Verband vor sich ging. Erstmals, so steht es in der Antwort der Bundesregierung, habe das Bundesverteidigungsministerium von dem Fall durch eine taz-Anfrage im November 2017 erfahren, also über drei Jahre später. Das Ministerium unterstützt den Reservistenverband laut Haushaltsplan jährlich mit über 17 Millionen Euro.
Der Mitarbeiter, der die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bestreitet, arbeitet unterdessen weiterhin für den Verband. Das Verbandspräsidium hatte in Folge der Veröffentlichung beschlossen, den beschuldigten Mitarbeiter im Rahmen einer Änderungskündigung nach Nordrhein-Westfalen zu versetzen. Derzeit leistet er seinen Dienst jedoch weiterhin in Mecklenburg-Vorpommern.
Die aus Thüringen stammende Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Linksfraktion), die nun die Anfrage gestellt hatte, hatte sich bereits in der Vergangenheit intensiv mit dem Reservistenverband und dessen Attraktivität für die rechtsextreme Szene beschäftigt. Bereits im Jahr 2009 hatte die taz über den Steuerberater und damaligen Schatzmeister des Reservistenverbandes in Thüringen, Wolfgang Lütkemeyer, berichtet, der auch Mitglied in der völkischen ‚Artgemeinschaft‘ um den NPD-Politiker Jürgen Rieger war. Lütkemeyer hatte, ehe er sich 2008 das Leben nahm, in Thüringen die Kassen des Landesverbandes der Reservisten geführt und war unter anderem Mitglied im Erfurter Rotary-Club – wie auch der damalige Chef des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Sippel.
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