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Trash-Fernsehen auf RTL2Taxifahrt mit Hartz IV

Mit „Promis auf Hartz IV“ zeigt RTL2, wie wohlhabende Menschen unter gespielter Armut leiden. Das Geschäft mit Hartz IV läuft prima für den Sender.

Von RTL2 produzierte arme Schweine: Andrea und Heinz Sayn-Wittgenstein Foto: RTL2

Es wird ernst. Fürst Heinz von Sayn-Wittgenstein hat seinen Arzt in die Villa Colani auf Mallorca einbestellt. Er lässt sich noch einmal eine Spritze Vitamin B verabreichen – für die Nerven. Harte Zeiten warten auf ihn. Einen ganzen Monat lang soll der Millionär mit seiner Frau Andrea in Kölner Stadtteil Zollstock auf Hartz IV leben. Den beiden stehen 736 Euro zur Verfügung. Begleitet werden sie von einem RTL2-Kamerateam. „Ein Sozialexperiment“ nennt das der Sender.

Hartz IV muss schrecklich sein für notleidende Menschen. Aber wie schrecklich muss es erst sein, wenn Menschen darauf angewiesen sind, die gar keine Not kennen? „Wie ergeht es erst Menschen, die ein Leben in Luxus gewohnt sind und für die Geld keine Rolle spielt?“ Diese exklusive Frage hat sich RTL2 so gestellt und kümmert sich von nun an mit der neuen Serie „Promis auf Hartz IV“ zugleich auch darum, diese selbst produzierten armen Schweine auf Zeit zu begleiten. Am Montagabend startete die erste Folge.

Prominent sind die beiden von Sayn-Wittgensteins vermutlich ausschließlich für die Kundschaft des Trash-Senders, aber allein schon ihr Besitzstand und ihr argloser Mitteilungsdrang, prädestinieren sie für dieses Projekt der Eventisierung und Kommerzialisierung von gesellschaftlicher Armut. Das Geschäft mit Hartz IV läuft für RTL2 gerade prima. Die Sozialdoku „Hartz und herzlich“ aus Mannheim ist ein Quotenrenner.

Zurück nach Mallorca: Mehr als 40 Kilo 24-karätiges Gold ist in der Villa Colani verbaut. Es glitzert allerorten, wo die Kameras auch herumschweifen. Selbst die Eierwärmer sind aus Gold. Zu Beginn maßregelt Ehefrau Andrea gleich ihren Gatten Heinz: „Mir gefällt das Wort reich überhaupt nicht. Such irgendein anderes Wort, das bin nicht ich.“

Nur ein Auto mit Servo-Lenkung

Geld sei nicht wichtig, sagt der Fürst. Und schnell wird bei diesem Sozialexperiment klar, Adlige sind auch nur Menschen wie du und ich. Die Fürstin mäkelt an der Leibesfülle des Fürsten herum und dieser bricht gleich zweimal in herzzerreißendes Schluchzen aus, als er von zwei harten Nackenschlägen berichtet, die er im Leben verarbeiten musste. Er weint noch einmal bitterlich über den Ausbruch der Leukämieerkrankung seiner Frau, die dann medikamentös behandelt werden konnte, und fast noch ein wenig bitterlicher über den Tod der Hauskatze Kitty. Die Geschichte liegt ja auch erst ein Jahr zurück.

Aber das Leben muss schließlich irgendwie weitergehen. Und so ein Sozialprojekt kann schon helfen, ein wenig Farbe hineinzubekommen. Dem Fürsten treibt zudem ein Erkenntnisinteresse an: „Ich will wissen, wie das ist, auf Hartz IV zu leben. Ich mag keine Vorurteile. Aber nach den vier Wochen kann ich urteilen, sind das Leute, die nicht arbeiten wollen oder keinen Job bekommen.“

Die Konfrontation mit der Hartz IV-Wirklichkeit ist dann wirklich brüsk: Das Fürstenehepaar bekommt von RTL2 lediglich ein Auto ohne Servo-Lenkung zur Verfügung gestellt. Man kann dem Fürstenpaar gleich die Empathie von den Gesichtern ablesen. Sie sind sichtlich erschüttert, mit welchen krassen Einschränkungen Sozialhilfeempfänger in Deutschland leben müssen.

Als dann das Auto am dritten Tag beim Einkaufen nicht mehr anspringt und die Einkäufe per Taxi nach Hause gefahren werden, erklärt die Fürstin mitfühlend: „Ich hab vollstes Verständnis, wenn ein Hartz IV-Empfänger auch mal mit dem Taxi fährt. Da war ich vorher vielleicht anderer Anschauung.“

Spiritus Rector Jens Spahn

Soziales Lernen im Reality-TV. Der Adel und der Pöbel kommen sich näher. Taxifahren mit der Stütze ist völlig in Ordnung. Und das Ehepaar von Sayn-Wittgenstein lernt, abzuspecken. Beim Einkauf kommt nach langer Diskussionen statt dem 4-lagigen nur das 3-lagige Toilettenpapier in den Wagen. Spätestens jetzt wissen sie, was Armut bedeutet.

Der Spiritis Rector dieses TV-Formats könnte glatt Gesundheitsminister Jens Spahn sein. Der CDU-Politker behauptete jüngst: „Hartz IV bedeutet nicht Armut, sondern ist die Antwort unserer Solidargemeinschaft auf Armut.“ Auf die Servo-Lenkung kann man doch verzichten, schließlich gibt es ja noch Taxis.

Bei RTL2 soll man schon am nächsten Format arbeiten. „Vier Wochen Chemotherapie für Gesunde“. Schlimm, wenn Kranke diese Prozedur über sich ergehen lassen müssen. Wie schlimm aber muss das erst für Gesunde sein?

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10 Kommentare

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  • taz:: "Taxifahrt mit Hartz IV - Mit „Promis auf Hartz IV“ zeigt RTL2, wie wohlhabende Menschen unter gespielter Armut leiden. Das Geschäft mit Hartz IV läuft prima für den Sender."

     

    Die RTL Group ist mit 57 Fernseh- und 31 Radiosendern Europas größter Betreiber von werbefinanziertem Privatfernsehen und Privatradio. Hauptsitz des Konzerns ist die Stadt Luxemburg. Die Gruppe gehört mehrheitlich zu Bertelsmann.

     

    Bertelsmann hat sich mit Gerhard Schröder (SPD) die Hartz Reformen ausgedacht. Hartz IV könnte man also auch Bertelsmann 4.0 nennen. (siehe: Die Anstalt vom 24. April 2018 mit Max Uthoff und Claus von Wagner). https://www.youtube.com/watch?v=fR4KXILpYUQ

  • Trash-Markt

     

    So lange es geguckt wird,

    wird der Mist auch gesendet!

    Ganz einfach.

    Das nennt man Marktwirtschaft.

  • Ähnlichs war heute morgen auf den ÖR zu sehen. War zwar keine Fürstin, sondern "nur" eine Reporterin, das Prinzip (und das Niveau) allerdings war ähnlich. Tja.

  • Warum kann ich keine Liste der auf RTL II Werbetreibenden finden? Dann könnte ich sowie Andere sich überlegen, ob sie noch irgendwelche Produkte oder Dienstleistungen von denen kaufen wollen!

     

    Abgesehen vom Widerwillen solche Programme der einst vom sehr umstrittenen Kohl eingeführten Privatsender anzuschauen habe ich überhaupt keine Möglichkeit dazu. Ich habe keine solchen Sender am Gerät eingestellt. Damit will ich zwar nicht die Öffentlich-Rechtlichen ohne Kritik sehen, aber da gibt es sicher nicht nur quantitativen Unterschied!

  • Im zweiten Schritt nun müsste man den Betrag 736 Euro an die Realität anpassen. Davon müssen ja wohl zum Beispiel noch Stromkosten und auch Spritkosten für das Auto bezahlt werden. Einkaufsfahrten bilden keine Ausnahmen, die Kostenerstattung begründen. Alternativ können die öffentlichen Verkehrsmittel oder eigene Beine (was der Realität oft genauer entspricht) benutzt werden.

    • @Stefan Mustermann:

      Mit dem Taxi geht in der Regel als Leistungsempfänger sicher nicht, da wäre man sehr bald ohne Geld. Im reinen Bezug wird es ja schon schwer ab Mitte des Monats und das meist ohne Auto. Ich kann nur sagen realitätsnah geht anders.

  • Bürger Sayn-Wittgenstein ist weder Fürst, noch handelt es sich hierbei um ein Fürstenpaar. Er hat wohl das Wort Fürst als Bestandteil seines Nachnamens eintragen lassen, aber mehr als eine infantile Marotte ist das nicht.

    Zumal er so gar nicht mal so weit weg ist, vom Niveau dieser Privatsendershow.

    • @Weidle Stefan:

      "Seit Elisabeth Gertrud von Sayn-Wittgenstein, letzte Namensträgerin einer Nebenlinie des Adelsgeschlechts und verarmte Katzenliebhaberin, in den 1970er Jahren eine fragwürdige Heirat einging, sei der Name „von Sayn-Wittgenstein“ auf dem Titelmarkt, sagt Alexander zu Sayn-Wittgenstein-Sayn. Dass Menschen sich einen adeligen Namen kaufen, kann Alexander zu Sayn-Wittgenstein-Sayn nicht nachvollziehen. „Das ist ganz offensichtlich Hochstapelei“, sagt er. Er wisse von 50 bis 60 Namensträgern, schätze aber, dass es noch mehr gebe." [Quelle: Frankfurter Allgemeine, 2017]

       

      Was will man von so einem Emporkömmling, der einmal als Karl-Heinz Richard Böswirth zur Welt kam, auch anderes erwarten? Ein Mann der sich mit 35 Jahren von Bruno Lothar Fürst von Sayn-Wittgenstein adoptieren ließ, der wiederum als Bruno Lothar Koch geboren wurde, nur um sich dann Fürst Heinz von Sayn-Wittgenstein zu nennen, der spielt auch bei RTL2 den Hartz IV Bezieher. Schlimm ist nur, dass der naive Zuschauer sich solche Trash-Sendungen anschaut und das dann auch noch für die Realität hält.

  • Hartz-Abenteuer- Urlaub ist nicht Hartz. Haben die vorgestellten Hartz Probierer auf immer und ewig ihre bisherigen Ersparnisse oder Erbschaften aufgebraucht? Nein, denn wer wirklich reich in Deutschland ist schafft es in unserer Gesellschaft nicht wirklich arm zu werden. Ich war Hartz ist eine weitere Lüge aus dem Prolo-TV.

    • @conny loggo:

      Eben, wenn man weiß das man am Ende dieses "Probemonats" wieder sein Vermögen wie bisher hat ist das schlicht eine Farcewas da versendet wird.