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#MeToo-kritische StreitschriftNein zur Gewalt, Ja zur Lust

Heide Oestreich
Kommentar von Heide Oestreich

Für Svenja Flaßpöhler ist die #MeToo-Debatte ein Opferdiskurs. Sie schreibt von der „potenten Frau“ und zeichnet ein verzerrtes Bild der Lage.

Beschäftigt sich die #MeToo-Debatte mit einer überholten Gegenwart? Foto: imago/Photocase

Ich weiß nicht, in was für einer Gesellschaft Frau Flaßpöhler lebt.“ Das Unverständnis konnte nicht größer sein, als #Aufschrei- und #MeToo-Aktivistin Anne Wizorek in einer Fernsehtalkshow auf Svenja Flaßpöhler stieß. Flaßpöhler, die Chefredakteurin des Philosophiemagazins ist, hatte zuvor gesagt, #MeToo erkläre unsere Gesellschaft zu einem geschlossenen Machtsystem des Patriarchats. Und das sei doch nun weit entfernt von der Realität.

Sie kamen nicht zusammen an diesem Abend – vielleicht war auch das eine Motivation für Flaßpöhler, nun einen kleinen Essay vorzulegen und ihre Haltung zu erläutern. „Die potente Frau“ heißt er und beginnt mit einem Manifest für dieselbe: „Die potente Frau hat den Sprung aus einer überholten Gegenwart gewagt. Vorbei die Jahrzehnte des Übergangs, in denen das sogenannte schwache Geschlecht beinahe krampfhaft festhielt an dem ihm zugeschriebenen Opferstatus, weil noch keine andere Erzählung möglich schien. Vorbei die Zeit, in der Frauen kaum etwas wussten von der eigenen Lust und Gesetze einforderten, die für sie ihr Intimleben regeln.“

Die überholte Gegenwart, das sind laut Flaßpöhler also wohl eher impotente Frauen, die beinahe krampfhaft an ihrem Opferstatus festhalten, kein Begehren haben und wollen, dass der Staat ihr Intimleben regelt. Das zeugt von einer ziemlich einseitigen Lesart der #MeToo-Debatte, die man so zusammenfassen kann: Ihr übertreibt. Ihr schadet euch damit selbst. Und ihr verhindert einen konstruktiven Dialog mit dem anderen Geschlecht.

Frauen seien nicht universell unterdrückt und sie könnten sich durchaus zur Wehr setzen, lautet Flaßpöhlers Plädoyer. Weinstein, Wedel und Co seien Probleme von gestern: „Bei jenen Herren handelt es sich also um alte Männer. Es ist offenkundig, dass mittlerweile eine andere Generation von Männern – und auch Chefs – nachwächst.“ Die Wirklichkeit habe sich weiter entwickelt, und zwar zum Guten, so das Postulat.

Verführung ohne Regeln?

Dagegen könnte man nun allerdings einwenden, dass #MeToo ja gerade aus Fällen besteht, die sich nicht in den Siebzigern und Achtzigern abspielten. Es sind die alten Fälle, die bekannt werden, weil die Opfer ihre Angst verlieren, sich zu outen. #MeToo könnte man eher als ein Erstaunen darüber lesen, dass es all diese Dinge immer noch gibt.

Nicht leicht verständlich ist auch, wenn Flaßpöhler postuliert: „Wer eine Welt ohne Belästigung will, will letztendlich eine Welt ohne Verführung.“ Ja, ein Mann kann zu Beginn nicht sicher sein, ob eine Frau eine Annäherung angenehm oder unangenehm findet. Deshalb müssen sich nun auch die letzten selbsternannten Schwerenöter dazu bequemen, wahrzunehmen, wie ihre „Komplimente“ wohl ankommen beim anderen Geschlecht.

Ein Mann kann zu Beginn nicht sicher sein, ob eine Frau eine Annäherung angenehm findet

Und sicher ist Verführung tatsächlich ein Spiel mit Macht und Manipulation, und doch hat es eine Regel: Beide müssen damit einverstanden sein. Diese Grenze zu sehen, das ist ja gerade der Lernprozess, den einige in dieser Gesellschaft offenbar noch machen müssen. Warum in aller Welt sollte man sie wieder verwischen?

Auch die These, dass in der #MeToo-Debatte das weibliche Begehren verleugnet würde, ist merkwürdig. „Für #metoo ist kennzeichnend, dass Frauen sich libidinös gesehen eine rein passive Rolle zuschreiben“, meint Flaßpöhler. Sie sieht auch das Strafrecht auf dem falschen Weg: „Ganz gewiss kann ein klares ‚Nein‘ ein stolzer Ausdruck weiblicher Autonomie sein. Doch wer den Satz ‚Nein heißt Nein‘ in dem Glauben äußert, in ihm offenbare sich die reine Lehre weiblicher Emanzipation, sollte sich darüber im Klaren sein, dass in Wahrheit auch das Patriarchat aus ihm spricht.“

Blinde Flecken bei #MeToo

Das ist eine waschechte Doppelbotschaft: Ein Nein kann Ausdruck weiblicher Autonomie sein. Aber zugleich spricht aus ihm das Patriarchat. Was soll man damit anfangen?

Selbstverständlich kämpfen Frauen damit, dass ihnen die Lust historisch ausgetrieben wurde aus dem einfachen Grund, weil mit ihr jahrhundertelang das Risiko einer (unehelichen) Schwangerschaft verbunden war. Ja, es ist lohnend, sich mit der auf diese Art völlig verstellten weiblichen Lust und Potenz auseinanderzusetzen, sie zu suchen, zu finden, zu feiern. Aber doch nicht in einem Moment, in dem es um ein Nein zur Gewalt geht: Nein zur Gewalt, Ja zur Lust. Wer hat schon Lust, wenn der andere die als Einladung zum Übergriff versteht?

Gibt es auch Stärken in dem Essay von Svenja Flaßpöhler? Ja, er weist auf blinde Flecken der #MeToo-Debatte hin. Auf die Pauschalanklagen, die eine angemessene Reaktion von Männern zumindest nicht einfach macht, wie man der Zeit der letzten beiden Wochen entnehmen konnte.

Im allgemeinen Eifer war auch nicht mehr möglich, ein klares Bild etwa vom Fall Gina Lisa Lohfink zu zeichnen. Ich würde allerdings dennoch sagen: Lieber einmal solidarisch mit der Falschen als nie solidarisch mit den vielen Richtigen. Zudem ging es auch darum, dass Frau Lohfink im Vorfeld von vielen auch ohne nähere Kenntnis der Sachlage abgesprochen wurde, überhaupt vergewaltigt worden zu sein – nach dem Motto: Wer Sexfilme dreht, kann nicht vergewaltigt werden.

Die Macht der Gebärmutter

Was nun? Flaßpöhler plädiert für eine „neue Phänomenologie der Weiblichkeit“: Die Frau soll aus ihrer leiblichen Erfahrung ihre eigene Kraft schöpfen und sich ihrer eigenen Potenz bewusst werden. Und die exklusive weibliche Erfahrung sei die des Gebärens. Nein, es ist kein rückwärtsgewandtes Plädoyer fürs Kinderkriegen als weibliche Aufgabe. Eher so eine Art Besinnung darauf, was Frauen alles können. Sie müssen es nicht, sie sollen nur Kraft aus dieser Möglichkeit, der potentia im wörtlichen Sinne, ziehen.

Als Kronzeugin der Möglichkeiten der Frau zieht Flaßpöhler Hannah Arendt heran: „Die Kraft der Natalität, des Gebärens, liegt allein in ihrer Macht. Und zwar ganz unabhängig davon, ob sie diese Möglichkeit realisiert oder nicht.“ Der Frau zur ihrer Macht verhelfen will Flaßpöhler. #MeToo will das auch. Für unsere überholte Gegenwart scheint mir #MeToo den geeigneteren Weg gefunden zu haben. Denn die Gegenwart mag überholt sein, da ist sie aber immer noch.

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Heide Oestreich
Inlandsredakteurin
Jahrgang 1968, ist seit langem Redakteurin für Geschlechterpolitik in der taz und im kulturradio vom RBB. Von ihr erschien unter anderem das Buch „Der Kopftuchstreit. Das Abendland und ein Quadratmeter Islam“. 2009 wurde sie mit dem Preis „Der lange Atem“ des Journalistenverbands Berlin Brandenburg für die Berichterstattung über Geschlechterstereotype ausgezeichnet.
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9 Kommentare

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  • Frau Flaßpöhler geht sehr von sich persönlich aus als studierte und äußerst selbstbewußt auftretende Person; vergißt die jungen "normalen" Frauen in all ihrer Unsicherheit, gerade was den Mainstream: "Du mußt Lust, sonst bist Du prüde", angeht. Hannah Arendts Natalitätsbegriff ist umfassender, sie instrumentalisiert ihn. Nicht o.k. für eine Philosophin.

  • Wer schon für Anflirten das Einverständnis des Gegenüber fordert, hat wahrscheinlich ein sehr statisches Sozialleben und ein überhöhtes Über-Ich. Letzteres spricht tatsächlich eher patriarchische Denkstrukturen.

    • @TazTiz:

      "Wer schon für Anflirten das Einverständnis des Gegenüber fordert, hat wahrscheinlich ein sehr statisches Sozialleben und ein überhöhtes Über-Ich."

       

      Darum geht es nicht.

      Ich brauch' doch kein überhöhtes Über-Ich, um einen Mann doof zu finden.

       

      Der Mann hat schlicht und einfach die "Ablehnung" des Anflirtens umgehend zu akzeptieren.

      Die Körpersprache ist da seit Urzeiten eindeutig und auch für Männer eindeutig erkannbar.

       

      Mit Ablehnung für's Anflirten " muss Mann doch schon immer rechnen. Aber er muss das dann auch akzeptieren, wenn dem so ist.

       

      Das schaffen Sie doch, TAZTI?!

       

      Das gilt ja auch für Frauen, wenn sie mal die Initative ergreifen (sollten).

  • „…#MeToo erkläre unsere Gesellschaft zu einem geschlossenen Machtsystem des Patriarchats.“

     

    Was kennzeichnet ein Machtsystem des Patriarchat?

     

    Werden dort die Schwachen (z.B. Frauen, Obdachlose Menschen, Pflegebedürftige Menschen, Geisteskrane Menschen, Menschen mit Behinderungen, Arme Menschen …) stark benachteiligt?

     

    Wie hoch ist die Frauenquote in den Vorständen und Führungspositionen in deutschen Unternehmen?

     

    Wie sieht es bei Lohn- und Gehaltsunterschieden zwischen Frauen und Männer in Deutschland?

     

    Wie unterscheiden sich die Höhen der Renten in Abhängigkeit von dem Geschlecht?

     

    Prostitution ist ein Beruf hierzulande. In vielen anderen Ländern sieht es anders aus. Wurde dieser Beruf freiwillig gewällt, oder wurden viele Frauen durch die Lebensumstände und Unvollkommenheit der Gesellschaft erst dazu getrieben, diesen „Beruf“ zu wählen? Gebe es diesen Beruf noch in unserem Land, wenn jede Frau, die diesem „Beruf“ nachgeht, ein bedingungsloses Grundeinkommen oder HARTZ IV ohne Sanktionen bekommen würde?

  • Nicht leicht verständlich ist auch, wenn Flaßpöhler postuliert: „Wer eine Welt ohne Belästigung will, will letztendlich eine Welt ohne Verführung.“

     

    Der soziale Einwand anhand eines Beispiels.

     

    Eine alleinerziehende Mutter, die HARTZ IV bekommt oder für einen Niedriglohn arbeitet, will sie belästigt werden?

     

    Sie hat sicherlich andere Sorgen. Andere Sorgen, wie sie ihr Kind bzw. ihre Kinder ernähren soll…

     

    Frau Flaßpöhler hingegen hat wahrscheinlich keine Sorgen im Alltag, hat genug Geld und denkt sehr viel an Vergnügen etc.

    • @Stefan Mustermann:

      Ich glaube auch eine Top-Managerin will nicht "belästigt" werden.

      Aber beide wollen (vielleicht) "verführt" werden? Vielleicht will das die alleinerziehende Mutter mit HartzIV sogar noch mehr, zeigt das doch ein Begehren und damit eine gewisse Wertschätzung.

      So wie ich Frau Flaßpöhler verstehe will sie damit sagen das eine Verführung oder ein Flirt u.U. als Belästigung ausgelegt werden kann, je nach Situation und aktuellem Befinden der/des angeflirteten. Und diese potentielle Grenzüberschreitung ist eben nur dadurch abstellbar das man jede Art der Verführung und Flirts einstellt.

  • Die Opferrolle ist in der westlichen Kultur gleichzeitig eine Anklägerrolle und daher eine leichtverdiente Machtposition, auf die man natürlich ungern freiwillig verzichtet. Das Eingeständnis der eigenen Selbstkompetenz belastet umgekehrt mit Verantwortung.

  • Man muss nicht in Sado-Maso Kreisen verkehren um zu wissen, dass Lust und Gewalt einen Überschneidungsbereich haben. Das gilt umso mehr, als der Gewaltbegriff immer weiter ausgedehnt wird und bereits aufdringliches Verhalten unter Gewalt subsumiert wird.

    Der alles entscheidende Unterschied ist dabei das Einverständnis. Manche Frauen und Männer freuen sich über eine doppeldeutige Bemerkung, ein sexualisiertes Kompliment, eine plumpe Aufforderung zum Sex oder auch nur das Teilen sexueller Phantasien. Andere fühlen sich genau davon belästigt, verfolgt oder gar in ihrer freien Entfaltung eingeschränkt. Die Regeln wann gefragt werden muss, wann nur ein Nein beachtet werden muss und was selbst bei einem Nein hingenommen werden muss.

    Vor allem stören bestimmte patriarchalische Rollenmodelle, an denen gerade viele Frauen festhalten wollen. Der Mann soll einer Frau ihre Wünsche von den Lippen ablesen - Fragen unerwünscht. Frauen fühlen sich minderwertig, wenn sie einem Mann ihre Zuneigung signalisieren sollten, sondern wollen erobert werden. Diese überkommenen Rollenmodelle werden eben nicht nur von alten Machos, sondern häufiger noch von Frauen eingefordert, die sich scheuen in einer Beziehung an dieser Stelle Verantwortung zu übernehmen. Wer von Männern Gedankenlesen fordert, der fällt den Frauen, die "Nein ist Nein" rufen, in den Rücken.

    • @Velofisch:

      Da kann ich nur herzlich zustimmen! Emanzipation geht weiter: Auch Frauen müssen lernen, Gentlewomen Männern gegenüber zu sein, und Männer dürfen auf aktives Verhalten von Frauen nicht verunsichert zu reagieren. Mehr Freiheit für alle! Wenn rasierte Beine von denen, die rasierte Frauenbeine selbstverständlich finden, als unmännlich gesehen werden, haben wir die Emanzipation noch nicht erreicht.