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Proteste gegen Antisemitismus in LondonLabour unter Druck

Jüdische Verbände in London demonstrieren gegen Antisemitismus in der Labour-Partei. Abgeordnete solidarisieren sich mit dem Protest.

Parteiübergreifend gegen Antisemitismus: Vorne die Abgeordneten Sajid Javid (Tory) und Chuka Umunna (Labour) Foto: Daniel Zylbersztajn

London taz | Als sich am Montagabend auf dem Londoner Parliament Square jüdische und einige nicht-jüdische Demonstranten zum Protest gegen den Antisemitismus in der Labour-Partei versammelten, war es nicht in der Dimension der 1930er Jahre, als sich das jüdische London gegen die faschistischen Blackshirts stellte. 500 bis 700 Personen folgten nach Polizeiangaben dem Aufruf des jüdischen Dachverbandes „Board of Deputies“ (Bod) und des Rates jüdischer Vertretungen „Jewish Leadership Council“ (JLC), gegen den Antisemitismus in der Labour-Opposition zu demonstrieren.

Die Organisatoren sprachen von kurzfristiger Mobilisierung in den sozialen Medien, die dennoch respektable Mengen aufgebracht hatte. Unter den Teilnehmern waren zahlreiche Parlamentsabgeordnete, darunter mindestens 15 von Labour selbst – einschließlich prominenter Figuren wie Harriet Harman, Yvette Cooper und Chuka Umunna. Viele der Versammelten trugen schwarze Plakate mit den Worten „Enough is Enough“ (Genug ist genug), einige auch sarkastisch „Labour for all, not for Jews“, (Labour ist für alle, aber nicht für Juden).

In der Mitte des Platzes auf einer kleinen Erhöhung mit Lautsprecheranlage sprachen die Bod- und JLC-Vorsitzenden die Menge an. Jonathan Goldstein (JLC) erwähnte das bevorstehende Pessachfest, wo traditionell das Lied Dajenu (Es ist uns genug) gemeinsam gesungen wird. „Wir haben auch genug vom Antisemitismus. Dieser ist nicht ok in einer politischen Partei des Mainstreams“, bemerkte er und wurde mit lauter Zustimmung begrüßt.

Johnathan Arkush (Bod) griff in seiner Ansprache auf, dass trotz ihrer antisemitischen Äußerungen die Labour-Politiker Ken Livingstone, Jacqui Walker und Chris Williamson immer noch in der Partei seien. Der Labour-Abgeordnete Wes Streeting schloss sich der Forderung an, dass diese Personen aus der Partei zu verschwinden hätten. Arkush forderte einen Kulturwechsel auf allen Ebenen bei Labour. Beim Antisemitismus seien da Dinge akzeptabel, die beispielsweise bei Sexualverbrechen unmöglich wären. „Wenn Juden Argumente zum Antisemitismus erheben, schieben manche die Schuld auf die Geschädigten. Dies ist völlig inakzeptabel.“

Mehrere weitere Labour-Abgeordnete meldeten sich hierauf zu Wort. John Mann entschuldigte sich dafür, dass es zu dieser Versammlung kommen hatte müssen, denn „jüdische Arbeiter standen an der Wiege der Partei“, erinnerte er. Antizionismus sei nur eine Ausrede für Rassismus. Er forderte, dass alle Antisemiten aus der Partei ausgeschlossen werden sollten.

Jüdische Arbeiter standen an der Wiege der Partei, mit ihrern Werten gegen Rassismus und Diskriminierung

John Mann

Nach ihm berichtete die ehemalige Chefin der Londoner Bezirksverwaltung Haringey, die auf Druck des Corbyn-treuen Flügels ihren Posten räumen musste, vom Widerstand in ihrem Ortsverein gegen eine Resolution zur Bekämpfung des Antisemitismus, und von einem jüdischen Genossen der mit antisemitischen Bemerkungen angegriffen wurde.

Luciana Berger aus Liverpool las antisemitische Begebenheiten aus nur der vorherigen Woche vom Blatt: Die Suspendierung eines Stadtrates wegen Holocaustverleugnung. Die Einstellung eines Holocaust-Geschichtstrainings, weil ein Genosse behauptet hatte, es sei von israelischen Geldern getragen. Ein anderer Genosse, der behauptete, Antisemitismus sei im Namen der Meinungsfreiheit zu akzeptieren.

Berger, die einst selbst antisemitische Attacken erleben musste, für die zwei Personen zu Freiheitsstrafen verurteilt wurden, forderte die Menge auf, der jüdischen Arbeiterbewegung beizutreten, um den Kampf zu stärken. Louise Ellman, eine weitere Labour-Abgeordnete aus Liverpool, erklärte zum großen Beifall der Versammelten den Kampf gegen Antisemitismus zum Kampf der Gesellschaft allgemein und nicht nur der jüdischen Gemeinschaft.

Debatte ist noch lange nicht beendet

Zum Gegenprotest mobilisierte der jüdische Labour-Verband „Jewish Voices for Labour (JVL) an die 200 Personen. Das sorgte für ausgiebigen Argumentationsaustausch. JVL-Vizepräsidentin Leah Levane wollte sicherstellen, wie sie der taz sagte, dass alle wissen, dass sie sich nicht vom Bod oder der JLC vertreten sehe. „Parteiführer Corbyn leidet seit 2015 unter ständigen Attacken durch konservative Kräfte. Er ist kein Antisemit!“ Sie vertrete Personen, die sich gegen die Besetzung palästinensischer Gebiete aussprechen würden sowie gegen Rassismus und Antisemitismus. Während sie sich äußerte, musste sie sich Beschimpfungen von Umstehenden wie, „Schämt Euch“ gefallen lassen.

Die Debatte um Corbyn und Antisemitismus scheint noch lange nicht beendet. Politisch scheint Labour jedoch unter immensem Druck zu stehen. Alle Augen sind nun auf den nächsten Schritt des Parteichefs gerichtet.

„Ich war immer eine Labourwählerin“, sagt die Demonstrantin Rebeka Jones, eine 53-jährige Südlondonerin. Corbyn könne sie aber nicht wählen, bis der der Antisemitismus aus der Partei verbannt sei. „Antisemitismus ist ein Hassverbrechen wie alle anderen und muss so behandelt werden“, fordert sie. Alia Derriey, 17, aus Südwestlondon, fühlte sich von Labour angesprochen – und vom Antisemitismus in der Partei abgestoßen.

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12 Kommentare

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  • Das Foto:

    Männerlobby.

  • So richtig ein Aufstehen gegen Antisemitische Tendenzen in der Labour Party ist, so beschleicht einen der Verdacht, das es manchem vor allem darum geht, den im Parteiestablishment unbeliebten Corbyn auf diese Weise loszuwerden. Eine solch Strategie könnte sich für alle, die gegen Antisemitismus kämpfen als Phyyrus-Sieg erweisen. PS. Gar keine Antisemten bei Torys und Liberalen oder Brexiteers?

    • @Philippe Ressing:

      heißt natürlich Pyrrhus...

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...für manche in GB ist Corbyn anscheinend zu groß, zu mächtig geworden.

    • 9G
      98589 (Profil gelöscht)
      @81331 (Profil gelöscht):

      Das sehe ich auch so.

  • Was ich bemerkenswert, aber nicht sehr überraschend, finde, ist, dass die prominenten Labour MPs allesamt seit Corbyn's Wahl Front gegen ihn machen.

    Ein Schelm, wer Arges dabei denkt.

  • Lobbyismus gibt es doch überall . Siehe Lobbycontrol. e.V. (Berlin/Brüssel und weltweit) .

    Warum soll es im politischen Betrieb keinen Lobbyismus geben ?

    War "Hol mir mal ne Flasche Bier" keine Inszenierung ? Das in den Markt drücken der T-Aktie , der Riester-Rente , vor kurzem neue Kampagne für Organspenden , obwohl keine gesetzlichen Verbesserungen seit dem letzten Skandal.

    Medien sind Kampagnen-Träger . Und ausgerechnet beim Thema Israel-Kritik soll es keinen Lobbyismus zur "Silencing" dieser Kritik geben ?

    Naivität oder Irreführung pur.

    Eine israelische Regierung , politisch weit rechts der AFD seit Jahrzehnten , siehe nur z.B. deren augenblickliche "Asylpolitik" zur Bewahrung und Erreichen des Ziels eines rein jüdischen Staates , tut nicht alles um sich im besten Licht und politisch Andersdenkende in das schlimmste Licht zu rücken ? Hauptsache keine Diskussion zu Palästina.

    Im übrigen ist Israel und Judentum nicht gleichzusetzen. Das Judentum gibt es weltweit und hat , sofern es nicht den nationalistischen und kolonialistischen Zionismus unterstützt , mit der Politik Israels gar nichts am Hut sondern ist in Opposition.

    Gibt es Quellen die belegen , daß die protestierenden jüdischen Gruppen die nationalistische israelische Politik regelmäßig auch mal kritisieren ? Oder zumindest Teilaspekte wie die Asylpolitik ?

    Wer die national-kolonialistische Politik Israels anprangert wird , egal ob Holocaust-Überlebender , deren Nachkomme , jüdischer Intellektueller ,Künstler ,Soldat oder Historiker , wird durch die Lobby ausnahmslos als antisemitisch diffamiert. Bei allen anderen, incl.Cobyrn genauso.Ausnahmslos.

    Daher Kampagnen-Lobbyismus. https://theintercept.com/2017/10/09/an-al-jazeera-reporter-went-undercover-with-the-pro-israel-lobby-in-washington/

    mit Link nach London .

    //freespeechonisrael.org.uk/ofcom-al-jazeera/#sthash.swa95dt6.dpbs http://www.middleeasteye.net/news/Al-Jazeera-cleared-of-anti-Semitism-in-exposure-of-Israeli-lobbying-78620960

  • 9G
    98589 (Profil gelöscht)

    Mich würde interessieren ob es antisemitische Kritik war oder Kritik an der Politik Israels.

    Darüber kann ich nur sehr wenig lesen und doch wäre dies ein entscheidender Punkt.

    • @98589 (Profil gelöscht):

      Der Punkt ist nicht so entscheidend. Was unter dem Label "Israel-Kritik" firmiert, besteht in aller Regel aus einer Mischung aus Unkenntnis, moralischer Überheblichkeit, Ressentiment und natürlich Antisemitismus. Die einzelnen Komponenten im je konkreten Fall zu identifizieren, ist schwierig, aber wozu auch? Legitim ist solche Kritik jedenfalls nicht.

       

      Ich weiß auch gar nicht, wie eine legitime "Israel-Kritik" aussehen sollte. Wie kann man sich zum Beispiel als Deutscher anmaßen, darüber zu urteilen, wie Israel mit afrikanischen Flüchtlingen umgeht? Wenn jemandem das Schicksal von Flüchtlingen am Herzen liegt, hat er wohl im eigenen Land genug Betätigungsmöglichkeiten. Ich glaube auch nicht, dass umgekehrt in Israel jemand auf die Idee käme, Deuschland-Kritik zu üben wegen der deutschen Abschiebepolitik.

       

      Also, kurz gesagt, wer nicht moralisch überheblich, dumm oder Antisemit ist, lässt es einfach mit der Israel-Kritik.

    • @98589 (Profil gelöscht):

      Der Beitrag deutet zumindest die Richtung an: "Antizionismus sei nur eine Ausrede für Rassismus."

  • "Er forderte, dass alle Antisemiten aus der Partei ausgeschlossen werden sollten"

     

    Und wer stellt das fest? Antisemitismus ist mittlerweie die dicke Keule, das Totschlagargument wenn einem sonst nichts mehr einfällt. Gleichzeitig scheint es im Augenblick problemlos möglich einem Antirussismus zu frönen, ohne das das irgenwie negativ ausffällt. Also bitte um Zusammenleben als gute Nachbarn.

     

    Im übrigen habe ich mir das kritisierte Bild "The Enemy of Humanity" angesehen, und bis auf die Vorliebe des Künstlers für dicke Nasen (bei allen Personen) nichts verwerfliches finden können. Da muss man erst mal drauf kommen, dass das Antisemitisch sein könnte.

     

    Hier wird m.E. in einer Schmutzkampagne versucht Herrn Corbyn zu diskreditieren. Das sollten Labour Abgeordnete nicht unterstützen.

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @Martin_25:

      Im taz-Forum steht bei vielen Postings "Totschlagargument". Kein Ressentiment wird so oft angezweifelt wie der Antisemitismus.

       

      Rassismusvorwürfe stimmen immer, Sexismusvorwürfen schenken zumindest die Frauen Glauben.

       

      Aber Antisemitismus? Das ist doch, wenn man ein KZ leitet, oder?

      Und welchen makabren Beigeschmack die Verwendung des Begriffes "Totschlagargument" im Zusammenhang mit Antisemitismus hat, darauf ist auch noch keiner gekommen.

       

      Und: Antisemitismusvorwürfe meinen immer immer immer etwas anderes.

      Sind immer ein Instrument.

       

      Im Fall dieses Artikels ein Instrument jüdischer Verbände um was auch immer zu bezwecken.