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Der Übervatergeht

Nach sieben Jahren tritt Olaf Scholz als Hamburger Bürgermeister ab, um seine politische Karriere in Berlin fortzusetzen. Sein Nachfolger ist eine faustdicke ÜberraschungSchwerpunkt 43–45

Der Schatten des Regenten: Olaf Scholz, hier bei einem Festakt 2011 im Hamburger Rathaus Foto: Christian Charisius/dpa

Von Marco Carini und Kaija Kutter

Ein wenig Erleichterung ist schon dabei. Wer dieser Tage mit führenden Hamburger Sozialdemokrat*innen über die Zeit nach Olaf Scholz spricht, spürt dieses Durchatmen. „Olaf hat uns mit harter Hand wieder auf Kurs gebracht, handlungs- und regierungsfähig gemacht“, lobt einer aus der SPD-Fraktion „die unschätzbaren Verdienste“ des scheidenden Hamburger Bürgermeisters. Doch es sei „gut, dass jetzt jemand anderes kommt“. Im Klartext heißt das ganz einfach: Das autoritäre Politiker-Modell „König Olaf“ hat sich für die Hamburger SPD überholt. Die Partei ist nun erwachsen geworden, sie braucht keinen Übervater mehr, der ihr ständig sagt, wo es langgeht.

Hamburgs neuer Bürgermeister wird nun nicht der moderate Andreas Dressel, der so gut mit den Grünen kann und immer so freundlich mit Volksinitiativen verhandelt hat, sondern des bisherige Finanzsenator und treue Scholz-Gefolgsmann Peter Tschentscher. Das ist die große Überraschung. Denn lange galt, auch in der taz-Redaktion, Dressel als klarer Favorit für das Amt. Seine Führungsqualitäten bestehen in „dem genauen Gegenteil von Scholz“, wie es in der SPD-Fraktion heißt. Er gilt seinen Sozialdemokraten als „Kommunikationsweltmeister“, der für jeden ein offenes Ohr hat. Da könnte das Finanzressort, das er nun an Tschentschers statt übernimmt, eine Strafe sein. Er hatte aber offenbar Bedenken, sich als Bürgermeister nicht mehr um seine drei Kinder – fünf, neun, und zwölf Jahre alt – kümmern zu können. Der neue Bürgermeister Tschentscher hingegen ist bisher eher nicht als Weltmeister der Kommunikation aufgefallen.

Das Argument, Kind und Bürgermeister seien schlecht zu vereinbaren, musste sich der kinderlose Scholz nicht zum ersten Mal anhören. Sozialsenatorin Melanie Leonhard hatte auch wegen ihres dreijährigen Sohnes beim Bürgermeisterinnenjob abgewunken. „Personenschützer und Kindersitz, das passt nicht so gut zusammen“, so ihre Begründung. Die 40-jährige Leonhard soll, und das ist gleich die nächste Überraschung, Olaf Scholz als Landesparteichefin beerben. Denn er gibt nach neun Jahren alle Ämter in Hamburg auf, um sich ganz auf Berlin konzentrieren zu können.

Leonhard ist Historikerin und stammt aus Harburg, kam 2011 in die Bürgerschaft und machte als familienpolitische Sprecherin eine eher blasse Figur. Doch Scholz holte sie 2015 als Sozialsenatorin in den Senat, weil die über die nötige „Klarheit und Härte“ verfüge, wie er sagte. Andere Bewerberinnen, so hört man,seien „zu links“ für diesen Job gewesen. Leonhard wird inzwischen von mehreren Seiten ein angenehmer Politikstil nachgesagt.

Scholz, in Hamburg bisher der absolute Wähler-Magnet, war nach den ­Chaostagen des G20-Gipfels im vergangenen Sommer vom Heilsbringer zum Ballast geworden. Gerade hat die Wochenzeitung Die Zeit die „Sonntagsfrage“ gestellt und herausgefunden, dass die SPD auch in Hamburg derzeit nur noch bei 28 Prozent läge, nur sechs Prozent vor der Union. Bei der Bürgerschaftswahl 2015 hatte der Abstand zwischen den beiden alten Volksparteien noch satte 30 Prozent betragen, die SPD hatte bei 45,6 Prozent gelegen.

Bislang durften SenatorInnen und Abgeordnete in Hamburg ausführen, was Scholz verordnete. Nun freuen sie sich darauf, Politik ohne die Weisungen des Übervaters gestalten zu können. Ein Bürgermeister Dressel hätte mehr Debatte, mehr innerparteiliche Demokratie bedeutet. Und wohl auch eine selbstkritischere Aufarbeitung der Vorfälle rund um den G20-Gipfel, die Scholz mit übergroßem Schuldabwehrreflex bislang verhinderte. Was Tschentscher bedeutet, muss sich erst noch zeigen.

Mit der Entscheidung für Leonhard als neue Parteichefin schließt die SPD jedenfalls eine offene Flanke: Die Partei hat in Hamburg ein latentes Frauenproblem und bisher war der Plan, einen der vermutlich drei Hamburger Staatssekretäre, die Scholz in seinen Berliner Hofstaat überführen wird, durch eine Frau zu ersetzen. Eine Favoritin ist die 39-jährige Medizinerin Ksenija Bekeris, eines der größten politischen Talente der SPD-Fraktion. Aber nun wird ja Leonhard nach Traute Müller die zweite Frau in der Geschichte der Hamburger SPD werden, die die Partei führt.

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