Schweizer Widersprüche: Uneins über Rechte von Papierlosen
Der Kanton Genf erleichtert es Menschen ohne Aufenthaltspapiere, einen legalen Status zu erlangen. Auf Bundesebene drohen Verschärfungen.
Doch solche Initiativen sehen sich mit zusehends gegensätzlicher überregionaler Politik konfrontiert: Am Mittwoch dieser Woche will der Nationalrat, das Berner Bundesparlament, landesweit gültige Verschärfungen für die „illegalen“ AusländerInnen beschließen.
In der Schweiz leben je nach Schätzung zwischen 70.000 und 200.000 Menschen ohne gültige Aufenthaltspapiere. Zu den „Sans-Papiers“ gehören im Wesentlichen drei Gruppen: Einmal sind es einst von der Schweiz rekrutierte SaisonarbeiterInnen aus dem früheren Jugoslawien, deren Arbeits- und Aufenthaltsstatut aber Mitte der 90er Jahre abgeschafft wurde.
Eine zweite Gruppe machen ArbeitsmigrantInnen aus, mehrheitlich Frauen, vor allem aus Lateinamerika, den Philippinen und Osteuropa. Die dritte Gruppe besteht aus Flüchtlingen und Asylsuchenden, deren Antrag abgelehnt oder gar nicht behandelt wurde.
Nur ein Viertel von Genfs Papierlosen profitiert
Allerdings: „Operation Papyrus“ gilt nur für die ersten beiden Gruppen und damit nur für etwa ein Viertel der rund 13.000 Sans-Papiers in Genf. Rund 1.100 dieser MigrantInnen haben nach einer Zwischenbilanz der Regierung von Ende Februar bislang einen sogenannten B-Ausländerausweis beantragt und erhalten.
Damit sind sie zunächst zu einem einjährigen Aufenthalt und einem legalen Arbeitsverhältnis berechtigt. Dafür müssen die Sans-Papiers eine Reihe von Voraussetzungen erfüllen – finanziell unabhängig sein etwa.
Bis Ende 2018 könnten noch weitere 2.000 Personen davon Gebrauch machen. Der Genfer Wirtschafts- und Sicherheitsminister Pierre Maudet von der freisinnigen FDP feiert die „Operation Papyrus“ auch als „erfolgreiche Maßnahme zur Bekämpfung der Schwarzarbeit“.
„Nicht für Schwarze und Araber“
Doch für die rund 10.000 abgelehnten Flüchtlinge und Asylbewerber in Genf bringt das nichts. „Papyrus ist für die Latinos, aber nicht für die Schwarzen und die Araber“, zitiert die Schweizer WOZ deshalb die Kritik eines Genfer Aktivisten.
Genf ist unter den 26 Kantonen einer, der am meisten abgewiesene Asylsuchende in ihre Herkunftsländer abschieben lässt – beziehungsweise im Rahmen des Dublin-Abkommens in jene Länder, in denen sie zuerst registriert wurden.
Dennoch: im Vergleich etwa zum Kanton Zürich, wo 2017 gerade einmal zwei Sans-Papiers einen legalen Aufenthaltsstatus erhielten, ist das Genfer Projekt zumindest ein relativer Fortschritt. Basel, Bern und andere Kantone erwägen, das Modell zu übernehmen.
Geplante Verschärfungen
Doch alle relativen Verbesserungen auf kantonaler Ebene könnten bald zunichte gemacht werden. Am Mittwoch will der Nationalrat mit der Mehrheit aus rechtspopulistischer SVP, freisinniger FDP und christlicher CVP eine Gesetzesvorlage mit erheblichen Verschärfungen für Sans-Papiers beschließen: Ihr bisheriger Rechtsanspruch auf Sozialversicherungsleistungen soll wegfallen, sie können sich nicht mehr bei einer Krankenkasse versichern, ihre Vermieterinnen und Arbeitgeber sollen künftig härter bestraft werden und Schulen verpflichtet werden, papierlose SchülerInnen den Behörden zu melden.
„Schäbig und pervers“ nennt der Genfer Minister Maudet diesen Vorschlag. Wenn die Schulen die Kinder von Sans-Papiers bei den Behörden meldeten, habe das „den schlimmstmöglichen Effekt: dass nämlich Kinder nicht mehr zur Schule gehen“.
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