piwik no script img

Kommentar Präsidentenwahl TschechienSchafft den Unsinn ab!

Kommentar von Alexandra Mostyn

Die Direktwahl macht den Präsidenten zu einem mächtigen Volkstribun. Miloš Zeman hat gerade wieder gezeigt, wie falsch das Verfahren ist.

Unten sitzt das „Prager Kaffeehaus“ – und dort oben im Hradschin ein Volkstribun, der spaltet Foto: dpa

A ls Tschechien im Jahr 2012 die Direktwahl des Präsidenten einführte, sah man diesen Schritt landesweit als Bereicherung für die Demokratie. Zwei Präsidentschaftswahlen später möchte man nur laut rufen: Schafft diesen Unsinn wieder ab! Was man schon nach den letzten Wahlen 2013 geahnt hat, hat sich gerade wieder bestätigt: Die Direktwahl spaltet das Land und sagt nichts aus über den Zustand der Demokratie. Was wir in Tschechien in den vergangenen Tagen und Wochen beobachten durften, war eine Mischung aus „Einer wird gewinnen“ und „Tschechien sucht den Superstar“.

Tschechien ist eine parlamentarische Republik, in der ein Präsident relativ wenig Vollmachten hat. Die Idee dahinter: der Präsident soll den Staat nicht lenken, sondern ihn nach außen repräsentieren. Die Direktwahl aber macht den Präsidenten zum Volkstribun, in dem der Wähler seine eigenen Wünsche und Hoffnungen reflektiert. Das nimmt dem Amt genauso an Würde wie das Buhlen der Kandidaten um die Gunst des Volkes im Wahlkampf.

Die Erfahrungen in Tschechien haben zudem gezeigt, dass der Präsident seine Wahl per Volksabstimmung als Argument nutzt, viel politischer zu sein, als es die Verfassung vorsieht. Immerhin, so das Argument, genieße man ja die Legitimität des Volkes.

Die Praxis hat allerdings gezeigt, dass die Direktwahl das Volk eher spaltet. Wer glaubte, dass sich die Tschechen nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse im Sinne der Staatlichkeit in die Arme fallen, irrt. Das mag aber vor allem an Miloš Zeman liegen. Der ließ noch am Wahlabend verlauten, jetzt sei es Zeit, dass seine Gegner, für die er sogar eigens den Kampfbegriff „Prager Kaffeehaus“ gemünzt hat, endlich die Klappe hielten.

Damit hat er für seine zweite Amtszeit schon jetzt die Weichen gestellt. Dem alten Mann, das hat die erste Amtszeit bewiesen, bereitet es offensichtlich Freude, die Spaltung der Gesellschaft weiter zu vertiefen. Die direkte Form seiner Wahl verschafft ihm dafür nur noch mehr Munition.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Auslandskorrespondentin Tschechische Republik
Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
  • Schafft solche Ämter ab! Auch in Deutschland, samt dem/der Kanzleri/in.

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Ich habe ein deutlich anderes Demokratieverständnis als die meisten anderen Kommentator*innen.

    Es gibt keine wahre oder authentische Demokratie. Ich würde noch nicht einmal sagen, dass Demokratie i s t, sondern dass sie w i r d und mich damit Jacques Derrida anschließen, der vorgeschlagen hat, doch besser über Demokratisierung zu sprechen. Demokratisierung ist - oder sie ist eben nicht.

    Aus der historischen Pfadabhängigkeit demokratisch genannter Entscheidungsprozesse ergibt sich eine totalitäre Tendenz, die jeder so genannten Demokratie innewohnt und die die Entscheidungsspielräume beeinflusst. Wenn Parteispenden erlaubt sind, dann können sich nicht nur Parteien wie die FDP geringere Mitgliederbeiträge leisten als die Linke, der Effekt dieser Prozeduralität ist auch in den Entscheidungen der Politiker wiederzufinden.

    Wenn Parteien allein regieren, dann wird den Menschen in der Schule gelehrt, dass es Demokratie ist, dass Parteien allein regieren. Dieses Mantra wird in den meisten Medien widerholt und beeinflusst die Entscheidungen vieler Menschen dann so, dass sie Parteien wählen, die daran nichts ändern wollen. Demokratisierungsbestrebungen müssen gegen die Faktizität der Macht durchgesetzt werden. Würde die Rolle der Parteien eingeschränkt und sie müßten gemeinsam mit gesellschaftlichen Räten und NGOs regieren, wäre dies der Status Quo der Herrschaft und dessen Faktizität der Macht würde die politischen Entscheidungen beeinflussen.

    Dabei bleibt Demokratie immer Experiment und ein Ausbleiben von Demokratisierung bedeutet die Gerinnung und Solidifizierung der Macht- und Herrschaftsverhältnisse, also den Regress in Richtung der Verstärkung der totalitären Tendenz.

     

    Aus dieser Analyse heraus ergibt sich ein radikaler Interventionismus gegen jede Identität und jede Vorstellung von Athentizität. Identität, die im Zusammenhang der Herrschaft nur verstanden werden kann als platonischer Original-Abbild-Dualismus und damit Blaupause ist für einen Totalitarismus.

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @85198 (Profil gelöscht):

      *Authentizität

       

      Insofern sehe ich es nicht als Demokratisierung an, wenn es eine Polarisierung über eine direkte Prasidentenwahl gibt. Das ist eine populistische Geste, bei der es nur um Identität und um Authentizität geht und damit eine Bewegung in Richtung des totalitären Regresses. Zumal sich die Gestenhaftigkeit des Populismus noch verstärkt, wenn der Präsident gar keine Machtbefugnisse hat und sich eine Ausstattung der Einzelperson des Präsidenten mit mehr politischer Macht eine Regress in Richtung der totalitären Tendenz darstellt, eine Entdemokratisierung.

      Wenn man den gesellschaftlichen Kräften, die dies wünschen, in die Hände spielen will, dann ist eine Direktwahl des Präsidenten angebracht, die diesen entdemokratisierenden Kräften auch noch die populistischen Mittel in die Hände gibt, um einen Autoritarismus voranzutreiben.

      Wenn es darum geht, die Herrschaft zu demokratisieren, dann ist so eine populistische Geste fehl am Platze. Demokratisierung ist immer gegen den Status Quo der Identitäten und Authentizitäten gerichtet.

      Man sollte als konkrete Demokratisierung lieber z.B. das Kinderwahlrecht einführen, ohne jede Altersbeschränkung. Damit würde für die Familien das getan, was mit dem Frauenwahlrecht für die Frauen getan wurde.

  • M.E. ein tendenziell antidemokratisch gesinnter Kommentar.

  • Das Volk, der große Lümmel

     

    Zitat: „Die Praxis hat allerdings gezeigt, dass die Direktwahl das Volk eher spaltet.“

     

    Dies dürfte aller Erfahrung nach wohl für jede plebiszitäre Direktwahl in jedem anderen Land auch gelten. Hier stellt sich allerdings die Frage, ob man bei einem anderen Wahlausgang in gleicher Weise an der Direktwahl rummäkeln würde. Diese Debatte erinnert an die Argumente der Konservativen in Preußen an die Adresse der Gegner des dort bis zur Revolution von 1918 geltenden Zensuswahlrechts.

  • Eine Direktwahl bei der jeder Wahlbürger nur eine Stimme hat und dann der Kandidat mit den meisten Stimmen gewinnt, ist wirklich undemokratisch. Ein System aus Wahlmännern, die mittels unterschiedlicher Wahlmodi, aus diversen Gebieteskörperschaften unterschiedlicher Grösse immer am Dienstag nach dem ersten Montag im November gewählt werden, wäre um vieles fairer und würde nur den besten Kandiaten bestehen lassen.

  • Nach der Wahl in Frankreich hat man so etwas in der taz nicht gelesen.

  • Ich stelle fest, dass in der taz immer öfter Artikel erscheinen, in denen gegen demokratische Beteiligung gewettert wird. Offenbar liegt das daran, dass man der Meinung ist, dass man linke Themen jetzt besser auf anderem Weg durchbringen kann. Direkte Demokratie war für Linke nur so lange interessant, wie man sie für die eigenen politischen Themen nutzen konnte.

    Aber gerade das ist nicht die Definition von 'demokratisch'. Demokratie bedeutet, dass die Herrschaft vom Volke ausgeht - auch dann, wenn das Ergebnis von Abstimmungen den Linken nicht passt.

  • Was für eine ungeheure Arroganz aus dem Artikel spricht, die demokratische Wahl eines Präsidenten in einem befreundeten Nachbarland abzuurteilen, nur weil ein missliebiger Kandidat gewonnen hat.

  • Demokratische Direktwahl ist nur gut, wenn einem das Resultat auch in den Kram passt oder wie? Das erbärmliche Posten-Geschacher à la BRD mit so einer farblosen Witzfigur wie Steinmeier als Ergebnis ist ja wohl keinen Deut besser!

  • Toll ist dagegen, wenn der Präsident per Kungelei der Funktionseliten der Bevölkerung vor die Nase gesetzt wird.

  • Ja, die Direktwahl ist doof, wenn nicht der "richtige" Kandidat gewinnt.

  • 9G
    97796 (Profil gelöscht)

    Ich wette diesen Artikel gäbe es nicht, wenn Zeman verloren hätte. Wenn die falschen Siegen, sind die Wahlsysteme immer doof.