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DebatteSollen Islamisten Kinder erziehen dürfen?

Niedersachsen will gegen die Indoktrinierung von Kindern in gewaltbereit-salafistischen Familien vorgehen. Aber wie weit darf so etwas gehen?

Nicht jede Erziehung ist wirklich gut fürs Kind: Schießunterricht durch den IS Foto: dpa

Hannover taz | Das Land Niedersachsen prüft, wie das Jugendamt Kinder aus gewaltbereit-salafistischen Familien besser schützen kann. „In ihren Predigten betonen vor allem salafistische Prediger regelmäßig, wie wichtig der Stellenwert einer Kindererziehung nach den Grundsätzen des Glaubens ist“, sagt ein Sprecher des Verfassungsschutzes. In Niedersachsen seien der Behörde Fälle bekannt, in denen sich Kinder radikalisiert haben.

Dem Landeskriminalamt Niedersachsen sind aus Präventionsmaßnahmen rund 15 Familien bekannt, in denen womöglich Kinder gefährdet sind. Aber wann ist das Kindeswohl gefährdet? Genügt es, wenn ein Kind in einer extremistischen Familie aufwächst und lernt, Andersgläubige zu hassen? Oder muss es Opfer von Gewalt werden und verwahrlosen?

Gemeinsam mit Bayern leitet Niedersachsen eine Arbeitsgruppe, die sich damit beschäftigt, was Jugendämter in solchen Fällen tun können. Dabei geht es sowohl um Früherkennung als auch um Interventionsmaßnahmen. Den Rahmen gibt das Grundgesetz vor: Dort ist verankert, dass Kinder nur in Obhut genommen werden, „wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen“.

Niedersachsen will Kinder vor salafistischen Eltern schützen. Die Frage ist: Wann ist ein Kind gefährdet?

Wolfgang Reinbold, der Beauftragte für christlich-islamischen Dialog in der Landeskirche Hannover, begrüßt es, dass die Landesregierung prüfen will, ob der juristische Rahmen ausreicht, um die betroffenen Kinder zu schützen. „Misshandlung kann auch seelisch sein“, sagt Reinbold. „Es kann nicht sein, dass wir solche Dinge einfach laufen lassen und Familien ihre Kinder unter dem Schutz des Grundgesetzes zu Terroristen erziehen.“ Das gelte für jede Ideologie. „Es ist sinnvoll, Kinder aus den Familien zu nehmen, wenn sich im Einzelfall erweist, dass sie zu Gewalt erzogen werden.“

Der CDU-Abgeordnete Jens Nacke spricht sich dafür aus, „ideologische Indoktrinierung durch Erziehungsberechtigte“ als Kindeswohlgefährdung einzustufen. Die Kinder müssten vor der Manipulation ihrer Eltern geschützt werden. Das ist jedoch ein schwerer Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Eltern und Kinder.

Die taz nord debattiert: Sollten radikale Eltern ihre Kinder selbst erziehen dürfen?

Ja

Beim Vorstoß des niedersächsischen Sozialministeriums ist größte Skepsis geboten. Im Gespräch ist eine Gesetzesänderung, um die Eingriffsmöglichkeiten der Jugendhilfe bei islamistisch-radikalisierten Familien auszuweiten. Letztendlich geht es darum, Kinder, die islamistisch indoktriniert werden, aus den Familien nehmen zu können. Das sollte man dem Staat nicht erlauben.

Auch nicht in einer Zeit, in der radikale islamische Fanatiker auf ihrem Weg in die Barbarei eine der größten Gefahren sind. Und obwohl die Islam-Faschisten die politischen Feinde eines jedes aufgeklärten Menschen sein sollten. Aber: Im Abwehrkampf immer härter und radikaler zu werden, birgt seinerseits große Gefahren für eine Gesellschaft.

Ein Kind aus seiner Kernfamilie herauszunehmen, ist ein radikaler Eingriff in die Grundrechte einer Familie, der bislang richterlich gegen die Grundrechte des Kindes abgewogen wird. Ein Abteilungsleiter des Sozialministeriums wird im NDR nun mit den Worten zitiert: „Wir halten das für ein Problem, wenn Kinder nicht so aufwachsen, wie wir uns das in einer pluralisierten Gesellschaft vorstellen.“

Das klingt alarmierend lapidar: Soll der Staat bei jemandem im Wohnzimmer stehen dürfen, weil Kinder nicht so aufwachsen, wie man sich das auf den Behördenfluren vorstellt? Nein. Ein Staat, der es sich hier zu einfach macht, wird autoritär. Zumal in der Logik der Extremismus-Doktrin Maßnahmen des Staates ja eben nie nur „die Richtigen“ treffen, also die rechten und islamistischen Menschenfeinde. Staatlich verfolgt werden Kommunisten genauso wie Mitglieder der PKK, die in Syrien ihren Beitrag zur Abwehr der IS- Terrormiliz leisteten. Auch ihre Kinder wären von erweiterten Eingriffsmöglichkeiten der Jugendhilfe potentiell betroffen.

Ein Kind aus seiner Kernfamilie herauszunehmen, ist ein Eingriff in die Grundrechte.

Auch wenn es noch so schwierig erscheint, müssen wir stattdessen zur Eindämmung der islamistischen Ideologie weiterhin auf Vernunft und Aufklärung setzen. Jean-Philipp Baeck

Nein

Es ist durchaus vorstellbar, dass Islamisten ab einem gewissen Grad der Radikalität besser keine Kinder erziehen sollten. Aus Sicht des Staates ohnehin: Wenn seine Feinde unter seinem Schutz neue Feinde heranziehen, kann das nicht in seinem Interesse liegen.

Deshalb wäre es natürlich verführerisch für die Behörden, das Instrument der Kindesentziehung in der Hand zu haben – auch gegen jene, die noch nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten sind und die auch mit der ohnehin schwammigen Kategorisierung als abzuschiebender „Gefährder“ nicht zu fassen sind.

Doch wer entscheidet nach welchen Kriterien, ob Kinder bei ihren islamistischen Eltern leben dürfen? Die Entscheidung müsste bei den Jugendämtern und Familiengerichten liegen. Und die dürften keinerlei Druck aus den Innenministerien ausgesetzt sein. Grund dafür, ein Kind aus seiner Familie zu nehmen, kann allein das Kindeswohl sein und nicht das Schutzbedürfnis oder gar ein Rachewunsch des Staates.

Für die Beurteilung des Kindeswohls ist nicht das Verhältnis der Eltern zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung ausschlaggebend, sondern ausschließlich die Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes. Wenn Eltern, aus religiösen Gründen oder anderen, ihrem Kind die Teilhabe an Bildung, Ausbildung, Kultur und gesellschaftlichem Leben unmöglich machen, kann dies das Kindeswohl gefährden. Wer seine Kinder im Sinne eines brutalen Steinzeit-Islams erzieht, macht ihnen das Leben in Deutschland zur Hölle und darf sich nicht wundern, wenn die Behörden einschreiten. Das gilt für Islamisten ähnlich wie für Angehörige anderer Sekten, und wäre auch für manche abgeschottete Nazi-Milieus zu prüfen.

Die Entscheidung muss bei Jugendämtern und Familiengerichten liegen.

Wenn die Länder ernst machten und sich das in der islamischen Welt herumspräche, könnte daraus ein politischer Kollateralnutzen entstehen: Mancher Islamist würde sich überlegen, ob er seine Kinder nicht doch lieber selbst erziehen möchte – dann eben nicht in Deutschland. Jan Kahlcke

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7 Kommentare

 / 
  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    Und was ist mit den Kindern, die in Nazi-Familien aufwachsen müssen?

     

    Die Ideologie, die sie dort praktisch mit der Muttermilch aufsaugen, ist ja auch brandgefährlich und deformiert Menschen.

  • Nein, nicht jede Erziehung ist wirklich gut für's Kind. Aber wenn alle Eltern, der Erziehung auf einem Glauben beruht, der schlecht für's Kind und/oder die Gesellschaft ist, ihr Kind weggenommen bekämen, würde die Gesellschaft komplett kollabieren. Zum Einen, weil der Staat nicht in der Lage wäre, alle Kinder, auf die dieses Kriterium zutrifft, selber zu erziehen. Zum anderen, weil jene Eltern, denen man ihre Kinder weggenommen hat, umgehend Amok laufen würden gegen den Staat. Und zwar völlig zu Recht.

     

    Meiner Ansicht nach sollte die Gesellschaft besser parallel erziehen – und darauf vertrauen, dass auch und gerade Kinder sehr genau spüren, welche Erziehung ihnen gut tut und welche nicht. Das Problem an dieser Lösung ist jedoch, dass sich der Staat nicht unbedingt begeben wird in solch eine Konkurrenzsituation. Er traut sich – ganz zu Recht – selbst nicht genug. Schließlich lehrt auch der deutsche Staat, Andersgläubige zu hassen, lässt Menschen verwahrlosen und zu Gewaltopfern werden. Nur eines kann er nicht: Fremder Leute Kinder lieben.

     

    Wolfgang Reinbold, der Beauftragte für christlich-islamischen Dialog, hat gut gebrüllt. Er wäre offensichtlich gern ein Löwe. Nur: Was – mal abgesehen vom Gebrüll – ist er bereit selber zu tun? Nichts, schätze ich. Der CDU-Abgeordnete Jens Nacke aber sollte sich nicht so weit aus dem Fenster hängen. Wenn es nämlich rechtlich bindend wird, die „ideologische Indoktrinierung durch Erziehungsberechtigte als Kindeswohlgefährdung einzustufen“, wächst bald jeder zweite Bayer ohne seine biologischen Eltern auf.

     

    Merke: „Wir schaffen das“ war schon einmal ein schwerer Irrtum. Ein absehbarer, denke ich. Weil: Ob er/sie/es was schaffen kann oder auch nicht, muss jede*r*s für sich selbst entscheiden. Für andere zu entscheiden, dass sie etwas (nicht) schaffen können, ist schlicht unmöglich.

  • Meiner Erfahrung nach sind Jugendämter überlastete, zahnlose Tiger. Eingegriffen wird erst wenn das Kind physisch oder psychisch halb tot ist.

     

    "Ideologische Indoktrinierung" zählt da doch eher zu der Kategorie "wurde ohne Frühstück zur Schule geschickt.

  • "Ideologische Indoktrinierung durch Erziehungsberechtigte“ als Kindeswohlgefährdung einstufen. Ist Jens Nacke ein Fan der DDR, dass er hierfür den schwammigen Begriff "Ideologische Indoktrinierung" benutzt? Somit würde jede Familie, die nicht nach den Idealen des Staates lebt, ihre Kinder Indoktrinieren, da sie eine eigene Ideologie haben, was nichts anderes ist als die Lehre λόγος von einer Idee/Meinung ιδέα. Das wäre schlichtweg gegen die Meinungsfreiheit! Warum nicht " Gewalt-Ideologische Indoktrinierung durch Erziehungsberechtigte" ? Da wäre ich wieder mit im Boot.

  • Also sehe ich das richtig, das hier diskutiert wird ob man Menschen deren politische Meinung nicht den Wünschen des Staates entspricht die Kinder wegnehmen soll?

    Was für eine üble Vorstellung, hergeholt aus den dreckisten faschistischen Löchern des 20 Jahrhunderts.

    Euch ist hoffentlich klar das diese Maßnahme hauptsächlich nicht Nazis oder Islamisten treffen wird sondern als Repressions und Drohungsmaßnahme gegen Linke eingesetzt werden wird.

    Ich frage mich so wie so wie man als Linker glauben kann es wäre irgendwas gut daran wenn die herrschende Klasse neue Instrumente in die Hand bekommt um gegen Leute vorzugehen

    Bei sowas kann man nur noch Angst bekommen

    • @Oskar:

      Hier geht es um Kindeswohlgefährdung. Bis das Jugendamt da was macht, muss man es schon arg treiben. Klar, das könnte im Einzelfall auch Linke betreffen, wenn sie denn ihre Kinder misshandeln oder mit Mollies losschicken - aber wohl eher nicht, oder? Insofern halte ich es sinnvoll, betroffene Kinder vor islamistischen und nazistischen Eltern zu schützen.

      Gäbe es hier eine Diktatur, dann würden wohl eher die Eltern interniert.

      • @Chris Mahns:

        Ja und wer definiert das? Der Staat.

        Es geht eben nicht um Misshandlung sondern um die falsche Meinung der Eltern die es dem Staat erlaubt ihnen die Kinder weg zu nehmen

        Es geht um die "Indoktrinierung" also darum wenn ich meinen Kindern ein anderes Weltbild vermittle als die Regierung es gern haben möchte.