: „Hamburg hat Angst, die Investoren zu verschrecken“
Der Nabu will Hamburgs Grünflächen vor dem Wohnungsbau retten, der Verein „Mieter helfen Mietern“ schließt das Bauen auf der grünen Wiese nicht aus: ein Gespräch über die Grenzen der Verdichtung
Interview Sven-Michael Veit
taz: Frau Sonnemann, Sie haben keine einzige Zimmerpflanze in Ihrem Büro. Was haben Sie eigentlich gegen Grün in der Stadt?
Sylvia Sonnemann: In diesem Raum gedeihen die nicht gut. Aber Grün in der Stadt finde ich ganz wunderbar und erhaltenswert.
Aber Sie wollen auch Wohnraum auf Grünflächen schaffen?
Sonnemann: In Ausnahmefällen ja. Zur Zeit wird überwiegend nachverdichtet in den Quartieren, das ist der richtige Ansatz. Wenn nun aber auch auf der grünen Wiese gebaut werden soll, muss man sich jeden Einzelfall genau ansehen.
Herr Porschke, Ihnen ist Flächenfraß zuwider. Sind Hecken für Zaunkönige Ihnen wichtiger als bezahlbare Wohnungen für Menschen?
Alexander Porschke: Ich bin natürlich auch für ausreichend bezahlbaren Wohnraum. Und es gibt in der Stadt noch jede Menge Möglichkeiten, diesen zu bauen. Der Senat spricht selbst von 70.000 Wohnungen, die hier noch entstehen können. Aber es ist auch im Interesse von Mietern, die hohe Lebensqualität in Hamburg durch die vielen Grünflächen zu erhalten.
Kann denn allein durch Nachverdichtung der Wohnungsmangel in Hamburg gelöst werden?
Sonnemann: Nur mit ein bisschen Dachgeschossausbau sicher nicht. Aber es gibt auch interessante Projekte an Hauptverkehrsstraßen, wo durch Aufstockung und Bebauung der Innenhöfe viel Wohnraum geschaffen werden kann. Da gibt es inzwischen viele gute Ideen.
Aber gleich neue Probleme: Verkehr, Lärm, Luftbelastung.
Sonnemann: Ja, stimmt. Aber das ist zugleich eine Ansage an die Zukunft. Wer an Hauptstraßen baut, muss sich auch Lösungen für den Verkehr einfallen lassen. Es gibt schon jetzt sehr gute und intelligente technische Lösungen für Lärmschutz, die auch bereits umgesetzt werden. Es bleibt natürlich das Problem der Luftbelastung, aber da muss die Stadt sowieso ran: Autoverkehr reduzieren, Radverkehr und E-Mobilität fördern, Busse und Bahnen ausbauen – das alles muss ohnehin gemacht werden.
Porschke: Man kann zum Beispiel zur Straße hin vor den Eingängen eine Balustrade bauen und davor noch einmal eine Glasfassade. Dadurch hat man doppelten Schallschutz im Haus. Dazu eine intelligente Zimmereinteilung: Wohn- und Schlafräume auf die ruhige Seite, Bäder und Küchen zur Straße. Da lässt sich viel machen, und da muss auch viel gemacht werden.
Aber führt das nicht zur Massenhaltung? Wo schon viele wohnen, kommen noch mehr dazu?
Porschke: Sicher muss darauf geachtet werden, dass in hochverdichteten Stadtteilen die Lebensqualität nicht sinkt. Sie muss steigen oder mindestens gleich bleiben, das muss die politische Maxime sein. Aber die Nachfrage nach Wohnungen in begehrten, innenstadtnahen Stadtteilen wie Ottensen, Schanzenviertel oder St. Georg war schon immer ein Problem, das auch die Mietpreise in die Höhe trieb und treibt.
Sonnemann: Die Nachverdichtung muss Maß halten. Man darf nicht jeden Innenhof flächendeckend bebauen, wenn vorn eine stark befahrene Straße verläuft und die Anwohner dann nirgends mehr zur Ruhe kommen. Das ist notwendiger Mieterschutz – für die Menschen, die da bereits wohnen und die Grünflächen im Innenhof schätzen und erhalten wollen.
52, ist Juristin und Geschäftsführerin des Hamburger Mietervereins „Mieter helfen Mietern“.
Also dicht, aber nicht zu dicht. Lässt sich der Zuzug nach Hamburg und die Zunahme der Einwohnerzahlen nur mit Nachverdichtung bewältigen?
Sonnemann: Nein. Nur mit Erhöhung der Geschosszahlen und dem Auffüllen von Baulücken wird es nicht gehen. Und auch die Konversionsflächen wie Hafencity und Neue Mitte Altona sind endlich. Deshalb gibt es auch große Projekte wie die neue Siedlung Oberbillwerder. Da soll auf 120 Hektar ein neuer Stadtteil auf der grünen Wiese entstehen, direkt an der S-Bahn-Strecke nach Bergedorf im Hamburger Osten. Da sagen wir als Mieterverein, das ist sinnvolle Stadtentwicklung.
Porschke: Das sehen wir beim Nabu anders. Das ist ein großer Raum, der naturnah entwickelt werden sollte. Oberbillwerder soll das zweitgrößte Bauprojekt Hamburgs werden mit bis zu 8.000 Wohnungen auf einer Fläche, fast so groß wie die Außenalster. Das sind bislang Grünflächen, direkt daneben ist ein Naturschutzgebiet. Da muss man zumindest sehr sensibel mit umgehen und über den Umfang des Vorhabens diskutieren dürfen.
Sonnemann: Mein Eindruck ist, dass die Planung für Oberbillwerder recht gut ist. Es werden für dieses Projekt auch Ausgleichsflächen geschaffen.
Der Nabu hat eine Volksinitiative gestartet zur Rettung von Grünflächen vor Wohnungsbau. Regt Sie als Mieteranwältin sowas auf?
Sonnemann: Nein. Ich verstehe, dass die Wohnungswirtschaft sich davon provoziert fühlt, soll sie. Aber es geht dem Nabu, wenn ich das richtig verstanden habe, um den Schutz von Milieus. Ich finde es richtig, darauf hinzuweisen, dass wir nachhaltig bauen müssen.
Porschke: Das Kernanliegen unserer Volksinitiative ist es, den Umfang der Grünflächen in Hamburg zu erhalten. Sonst droht ein ungeheurer Flächenfraß unter dem Druck von Politik und Wohnungswirtschaft. Hier ein Grundstück, dort eines – das ist eine Salamitaktik. Die Wurst verschwindet scheibchenweise, aber sie verschwindet.
Sonnemann: Grün möglichst zu erhalten, finde ich vom Grundsatz her nicht verkehrt. Die Frage ist aber, ob wir uns das überall leisten können. Ich glaube schon, dass wir aktuell nicht überstürzt bauen müssen, wo immer es geht. Bauen darf zudem nicht die einzige Antwort auf die Wohnungsnot sein. Wichtig ist auch, wer Grundstücke erhält. Aus Mietersicht sollten das die ehemals gemeinnützigen Wohnungsunternehmen sein, die langfristig günstige Wohnungen bauen – dann sind Ausnahmen vom Naturschutz auch für die Bevölkerung eher nachvollziehbar begründbar als der gewinnorientierte Bau luxuriöser Eigentumswohnungen.
Es wurden aber sogar Landschaftsschutzgebiete bebaut.
Porschke: Da gibt es mehrere Beispiele, in denen die Not der Flüchtlinge ausgenutzt wurde, um Unterkünfte auf grüne Wiesen zu stellen. Ähnlich ist es bei dieser Hafenautobahn in Wilhelmsburg. Die soll nun überdeckelt und unter die Erde verlegt werden, dafür wird ein benachbartes Landschaftsschutzgebiet bebaut, die Grundstückserlöse finanzieren den Autobahndeckel: Zahlen muss die Natur – in diesem Fall für Straßen und Häuser.
Kann Hamburg in absehbarer Zukunft auf Wohnungsbau auf unbesiedelten und unversiegelten Flächen verzichten?
63, ist Vorsitzender des Naturschutzbundes (Nabu) in Hamburg. 1997 bis 2001 war er grüner Umweltsenator in Hamburg.
Sonnemann: Kaum. Aber man wird die Stadtentwicklung in den nächsten Jahren sehr vorsichtig und behutsam gestalten müssen. Verzichtet werden sollte auf Einfamilienhaus-Gebiete: Wenn schon, dann viele Wohnungen auf wenig Grundfläche.
Porschke: Nach den Ansagen des Senats wird auf die Vernichtung von Grünflächen nicht verzichtet werden. Denn es gibt ja auch wirtschaftliche Interessen: Investitionen in Immobilien sind derzeit fast die einzigen, die sich noch lohnen. Deshalb drängen Investoren so stark auf Neubauten. Weil die Kapazitäten der Baufirmen und Handwerksbetriebe aber ausgelastet sind, steigen dadurch auch die Baupreise, statt zu sinken.
Wohnungsbau treibt also die Mieten in die Höhe?
Sonnemann: Langfristig wird die Nachfrage vielleicht besser gedeckt werden. Kurzfristig bedeutet mehr freifinanzierter Wohnungsbau aber keine Entspannung: Es gibt mehr Angebote für Besserverdienende, nicht für die, die es am nötigsten hätten. Und es fehlt am Willen, Bestandsmieter und Wohnungssuchende zum Beispiel mit einer effektiven Mietpreisbremse besser zu schützen. Aber Hamburg hat schlicht Angst, die Investoren zu verschrecken.
Herr Porschke, Hamburg ist das Bundesland mit dem höchsten Anteil an Naturschutzgebieten, fast zehn Prozent der Fläche. Reicht Ihnen das nicht?
Porschke: Hamburg ist in der Tat eine verhältnismäßig grüne Stadt und sollte das auch bleiben, denn das macht Lebensqualität auch für Mieter aus. Wenn ich aber den Bürgermeister höre mit der Ansage, mit dem Bauen nie wieder aufzuhören, dann scheint mir, dass er sich der Grenzen einer Stadt nicht bewusst ist.
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