Ramona Pop über Berlins Wirtschaft: „Richtung Innovation“
Ökologische Modernisierung ist gut für die wirtschaftliche Zukunftssicherung. Jobabbau bei großen Konzernen ist jedoch nicht zu vermeiden.
taz: Frau Pop, geht es bei rot-rot-grüner Wirtschaftspolitik darum, möglichst viele oder möglichst nachhaltige Unternehmen in die Stadt zu holen?
Ramona Pop: Wir konzentrieren uns: Berlin legt einen Schwerpunkt auf vier sogenannte Cluster: Optik, Gesundheit, Informations- und Kommunikationstechnologie und Mobilität. Dazu kommt die Energietechnik. Wenn man sich die Zahlen anschaut, entstehen die meisten neuen Arbeitsplätze in diesen Clustern.
Die Antwort wäre also: nachhaltig ja, gern aber auch viele?
Durch Wirtschaftspolitik sollen doch Arbeitsplätze in der Stadt entstehen. Gerade in den nachhaltigen Feldern werden Berliner Unternehmen immer stärker. Die ökologische Modernisierung ist die Zukunftssicherung unserer Wirtschaft.
Gaskraftwerke, für die Siemens bislang in Berlin Turbinen baut, stehen nicht gerade für Nachhaltigkeit. Wollen Sie dennoch daran festhalten?
Gaskraftwerke sind eine Übergangstechnologie, die wir brauchen werden, wenn wir den Kohleausstieg möglichst schnell hinbekommen wollen.
Es macht also Sinn, auch die von Siemens nicht mehr gewollten Jobs in der Gasturbinenproduktion zu erhalten?
Natürlich sollen die Arbeitsplätze erhalten werden. Aber es soll eben auch Neues entstehen. Ich fand es sehr bemerkenswert, dass auf der Demonstration zum Erhalt der Siemens-Arbeitsplätze IG-Metall-Vertreter sagten: „Wir haben hier qualifizierte Leute vor Ort, lasst uns doch gemeinsam die neuen Produkte für die neue Energiewelt hier in Berlin entwickeln.“ Auch die Gewerkschaft beharrt nicht auf Altem, sondern drängt darauf, den Zug Richtung Innovation nicht zu verpassen.
Ramona Pop
geb. 1977 in Rumänien, seit Dezember 2016 Wirtschaftssenatorin. Davor war die Politologin Fraktionsvorsitzende der Grünen im Abgeordnetenhaus.
Der entscheidende Punkt ist ja genau das, was Sie gerade von den IG-Metallern zitiert haben: Sehr gute Rahmenbedingungen, sicheres Umfeld, Fachkräfte, attraktive Stadt – und doch kündigt Siemens hier seinen Leuten, statt mit denen den Umbau anzugehen.
Ich glaube, dass wir mit Siemens noch nicht am Ende der Diskussion angekommen sind. Es findet ja unternehmensintern der Abstimmungsprozess statt, in welcher Form und in welcher Größenordnung dieser Arbeitsplatzabbau tatsächlich stattfindet. Da wollen wir uns als Politik nicht einmischen.
Wieso denn nicht?
Das sind unternehmensinterne Diskussionen zwischen den Sozialpartnern. Ansonsten tun wir das natürlich, indem wir mit Siemens über Innovationen sprechen.
Wirtschaftspolitik bewegt sich auf einem schmalen Grat. Natürlich gibt es Tarifautonomie und interne Prozesse. Aber der Staat kann sich mit finanziellen Anreizen auch eine gewisse Mitbestimmung sichern.
Wir haben in der Vergangenheit erlebt, dass Unternehmen nur genau so lange ihre Arbeitsplätze erhalten haben, wie sie dazu vertraglich verpflichtet waren.
Samsung zum Beispiel, das direkt nach Ablauf der Frist ihr Fernsehwerk mit 500 Mitarbeitern in Oberschöneweide geschlossen hat.
Deshalb bin ich vorsichtig bei dem Weg, Unternehmen allein mit Fördermitteln zu ködern. Siemens ist ein anderer Fall: Das Unternehmen ist nicht nur in Berlin gegründet, es hat hier immer noch seinen weltweit größten Produktionsstandort. Deshalb ist nicht nur Siemens wichtig für Berlin – Siemens ist sich auch bewusst, dass Berlin für das Unternehmen wichtig ist. Insofern gibt es da auch eine andere Gesprächsgrundlage.
Es wäre auch schwierig zu vermitteln, dass ein hochverschuldetes Land wie Berlin ein Unternehmen fördert, das Milliardengewinne macht.
Da gibt es klare Regeln: Großunternehmen können nicht gefördert werden, dafür sind diese Mittel nicht da. Fördern können wir beispielsweise Investitionen und Erweiterungen in neue Betriebsstätten. Das tun wir auch. Ich erinnere mich an Zeiten vor Jahren, da wurden diese Mittel nur zu 60, 70 Prozent ausgeschöpft – heute müssen wir sogar Mittel aus anderen Bundesländern anfordern, um in Berlin die Nachfrage zu befriedigen. Wir überlegen, ob wir nicht wieder strategisch Gewerbeflächen ankaufen müssen. Die vorhergehenden Regierungen haben da viel verscherbelt. Man denke nur an die früher landeseigenen Gewerbehöfe.
Sie sagten, Siemens sei sich der Bedeutung von Berlin für das Unternehmen bewusst. Woher wissen Sie das? Siemens ist ein Global Player mit 400.000 Mitarbeitern.
Siemens findet hier gute Bedingungen vor.
Sagt Siemens das oder sagen Sie das?
Das sagt auch Siemens, sonst würden sie ja nicht das Kompetenzzentrum für Gasturbinen aus den USA in Berlin konzentrieren. Hier gibt es Kompetenzen gerade an der Schnittstelle von klassischer Industrie zu neuen Technologien, zu Dienstleistungen rund um die Industrie, zu Digitalisierung – all das ist für Siemens wichtig, und das findet man nicht überall auf der Welt. Wir müssen aufhören, Berlin schlechtzureden in Sachen Industrie.
Trotzdem hat Siemens Massenentlassungen angekündigt, statt zu sagen, man wolle mit den guten Mitarbeitern etwas Neues machen!
Ich kann die Siemens-Unternehmensstrategie nicht begründen – ich finde sie an vielen Stellen nicht durchdacht. Die Politik muss auch mit einem global agierenden Unternehmen deswegen die Debatte führen: „Wo wollt ihr eigentlich hin?“ Im Fall Siemens geht es dabei gerade um den Bereich Energie. Man muss das Unternehmen fragen, ob es mit diesem auch in Zeiten der Energiewende Geld verdienen oder ihn abwickeln will.
Das ist also die Art von Einmischung, die sich die Politik erlauben darf: Ziele definieren von Konzernen, damit die ihre Strukturen anpassen können?
Ja. Und natürlich in aller Härte die Debatte führen, wie es zusammenpasst in einer sozialen Marktwirtschaft, wenn man Milliardengewinne einfährt und trotzdem Massenentlassungen ankündigt. Ich habe den Eindruck, dass das bei Siemens durchaus zu einem Nachdenken geführt hat.
Bis wann hoffen Sie auf eine Klärung der Lage?
Wir – also jene, die mit dem Bundeswirtschaftsministerium die Gespräche geführt haben – sind rund um Ostern herum mit Siemens verabredet.
Gibt es aus Ihrer grünen Partei Druck, die Nachhaltigkeit in der Wirtschaftspolitik stärker zu betonen, sogar auf Kosten von Arbeitsplätzen?
Der letzte Landesparteitag der Grünen hat einstimmig eine Resolution zum Erhalt der Arbeitsplätze bei Siemens in Berlin verabschiedet. Das ist ein Stück weit die Antwort auf Ihre Frage. Natürlich gibt es bei den Grünen, aber auch bei vielen Unternehmen, wie wir das Thema Nachhaltigkeit stärker durch deklinieren könnten – das betrifft nahezu alle Unternehmen, auch die landeseigenen. Die Unternehmen sind oft weiter, als viele denken.
Nicht nur Siemens hat angekündigt, Mitarbeiter zu entlassen, sondern auch der US-Konzern General Electric (GE), wo 500 Jobs in Berlin wegfallen sollen. Und mit der Pleite von Air Berlin gingen hier mehr als 3.000 Arbeitsplätze verloren. Wo handeln Sie bei so vielen Baustellen zuerst? Haben Sie bei GE, der ja keinen direkten Bezug zu Berlin haben, weniger Hoffnungen?
Auch da gab es einen Dialog; der Stellenabbau kam nicht überraschend. Und GE wird trotz Abbau in Berlin bleiben.
In diesem Fall klingen Sie nicht so kämpferisch wie bei Siemens, dass Sie die Arbeitsplätze erhalten können.
Hier fürchte ich, dass wir wenig ausrichten können.
Auch bei Siemens und Air Berlin waren die Einschnitte schon lange absehbar. Fühlten Sie sich als Wirtschaftssenatorin nicht vor den Kopf gestoßen, weil Sie letztlich die erkennbaren Fehler der Unternehmen korrigieren sollen?
(überlegt lange) Das ist Marktwirtschaft. Wenn ein Unternehmen sich nicht mehr behaupten kann, wenn das Geschäftsmodell, aus welchen Gründen auch immer, nicht mehr funktioniert, dann habe ich da keinen Einfluss drauf.
Natürlich nicht. Aber das war auch nicht die Frage.
Es war nicht im Detail erkennbar, wie sich Air Berlin nach der Pleite entwickeln würde. Ob es zu einer Unternehmensübernahme kommen würde zum Beispiel. Oder von wem Air Berlin aufgekauft wird.
Bei dem Wunsch nach Gewerbeflächen konkurrieren Sie direkt und massiv mit Bausenatorin Lompscher, die die dringend benötigten Wohnungen fertigstellen soll.
Das stimmen wir miteinander ab. In der Koalition gibt es das klare Ziel, die Liegenschaftspolitik anders aufzustellen und auch wieder Flächen zu kaufen – für Wohnungen, Schulen, Kultur und eben auch für die Wirtschaft. Für Letzteres stimmen wir gerade die Verfahren ab.
Viele Menschen wollen lieber in der Innenstadt leben. Ist es da überhaupt sinnvoll, auf dem Noch-Flughafengelände in Tegel Industrie anzusiedeln – die könnte ja auch weiter draußen unterkommen?
Tegel hätte den großen Vorteil, dass mit dem dort ebenfalls geplanten Wohnungsbau Wohnen und Arbeiten zusammenkommen – das ist eine Berliner Stärke, die unsere Stadt attraktiv macht.
Wie in der Siemensstadt.
Nicht nur, sondern auch aus der Mischung in Altbau-Kiezen. Heute geht es nicht mehr um die rauchenden Schlote, sondern um kleine Gewerbeeinheiten und natürlich um neue, moderne Industrie. Das verträgt sich mit der Stadt und mit Wohnungen und nicht nur in Tegel, sondern auch in anderen Teilen der Innenstadt.
Finden die noch Fachkräfte?
Es wird langsam knapp. Das muss man ganz klar sagen. Den Bedarf decken wir durch den Zuzug; in einigen Branchen reicht das gerade noch so. Auch im öffentlichen Dienst spüren wir es.
Da kommt doch eine Spirale in Gang: Die Firmen wachsen, die Leute ziehen her, Wohnungen werden noch knapper und teurer. Hier wird eine Entwicklung forciert, die man doch verhindern möchte.
Ich gehöre nicht zu denen, die sagen, die Stadt darf nicht mehr wachsen und wir stülpen eine Käseglocke darüber. Wir müssen die Veränderungen politisch gestalten. Wir müssen für genügend bezahlbare Wohnungen sorgen für jene, die hierher ziehen und die schon hier wohnen. Das setzt die Spirale vielleicht nicht außer Kraft, dämpft aber die Beschleunigung der Entwicklung.
Glauben Sie noch daran, dass die Koalition das schafft?
Das müssen wir schaffen. Es ist die Anforderung, die die Stadt an uns stellt. Die Stadt soll ja weiter wachsen, und Berlin soll eine Stadt bleiben, in der wir gut und gerne leben. Die wirtschaftliche Entwicklung unterstützt das – das ist ja das Gute. Eine schrumpfende Stadt wünscht sich niemand – da gab es vor noch gar nicht so vielen Jahren genug Horrorszenarien. Gut, dass diese nicht Realität geworden sind.
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