Polizeischikanen beim Nordderby: Werder kritisiert die Polizei
Wegen stundenlanger Kontrollen verpassten Bremen-Ultras mal wieder das Nordderby beim HSV. Der Werder-Präsident kritisiert die Polizei deutlich.
Die Geschäftsführung von Werder Bremen nannte das Vorgehen der Polizei am Dienstag „überzogen und nicht nachvollziehbar“. Das Bremer Fanprojekt hatte die Aktion zuvor als „Schikane der Hamburger Polizei“ bezeichnet. Bereits das dritte Jahr in Folge verpassten Teile der Bremer Gästefans nach Polizeieinsätzen das Nordderby.
Die Polizei rechtfertigt den Einsatz mit der „konspirativen Anreise“ der Werder-Ultras, die es „zwecks Gefahrenabwehr“ notwendig gemacht hätte, die Personen für Kontrollen festzuhalten. Durch Anreisen in Privatautos hätten „die Bremer Problemfans“ versucht, „polizeiliche Maßnahmen zu umgehen“ – „sie wollten in der Masse der Supermarkteinkäufer nicht als Gruppe in Erscheinung treten, um von dort aus konzertiert vorzugehen“. Hamburgs Polizeisprecher Timo Zill glaubt, die Werder-Fans hätten Auseinandersetzungen mit HSV-Fans gesucht. Und nach den Kontrollen sei es ja auch ruhig geblieben, so Zill.
„Bei der Argumentation können wir gleich die Gästebereiche aller Bundesligastadien schließen“, sagte Werder-Präsident Hubertus Hess-Grunewald dazu. Die vorigen Nordderbys in Bremen seien ruhig geblieben, obwohl „beide Fanszenen im Stadion waren“. Er nannte das „pauschale Misstrauen“ gegenüber den Werder-Fans „unverständlich“. Die individuelle Anreise sei nicht verboten. Nach Gesprächen mit „Beteiligten, Augenzeugen, Fanvertretern und Polizeibeamten“ sei Werder davon überzeugt, dass die Polizeimaßnahme „mehr Schaden angerichtet, als zu einem friedlichen Nordderby beigetragen hat“.
„Fast schon Wettbewerbsverzerrung“
Ein Werder-Ultra sagte der taz: „Das sind Machtspielchen. Die wollten deutlich machen: Wir haben das Sagen.“ Die Polizei versuche aus der heterogenen Fanszene einen „gewaltbereiten Haufen zu konstruieren“.
Bei den sechstündigen Kontrollen von Fahrzeugen und Personen fand die Polizei acht Schlauchschals, fünf Mundschutze, zwei Handschuhe, ein Pfefferspray sowie ein Einhandmesser. Zudem habe „ein Problemfan hat die Fahrzeugtür eines szenekundigen Polizeibeamten in Zivil aufgerissen und ihn bedroht“, so Polizeisprecher Zill.
Anonymer Werder-Ultra
Susanne Franzmeyer vom Bremer Fanprojekt ist im Laufe der Kontrollen hinzu gekommen. Die Soziologin sagt über den Polizeieinsatz: „Ich bin vollkommen fassungslos, dass solche Maßnahmen möglich sind.“ Derjenige, der für den Angriff auf das Auto verantwortlich war, sei kein Ultra gewesen und alle anderen hätten sich friedlich und kooperativ verhalten. Es sein ein leichtes Gewesen, die friedlichen Fans mit Shuttle-Bussen zum Stadion zu bringen.
„Der lebt in einer völlig anderen Welt oder macht Politik“
Franzmayer glaubt, die Maßnahmen hätten „absichtlich lang“ gedauert, um sicher zu stellen, dass die BremerInnen das Spiel verpassten. „Das war ja fast schon Wettbewerbsverzerrung“, sagte Franzmayer. Es seien viele junge Ultras dabei gewesen, die überhaupt noch nie aufgefallen sind. „Die wollten einfach nur ins Stadion“, sagt Franzmayer. Später seien die Fans „einfach nur gefrustet“ gewesen: „Die haben sich abgefunden und Pizza bestellt. Sie mussten streng bewacht in ihren Autos warten und mit behelmten Polizisten zur Toilette gehen.“
„Dass es zum dritten Jahr in Folge die Bremer Fanszene trifft, ist auffällig“, sagte der Bremer Ultra. Die Vorstellungen der Hamburger Polizei seien fragwürdig. „Bei 500 bis 700 Werder-Ultras gibt es einen gewaltbereiten Anteil, aber der ist total gering.“ Wenn sich Leute wirklich prügeln wollten, „dann verabreden sie sich irgendwo weit außerhalb, aber nicht in der Nähe des Stadions.“ Das liege dem Großteil der Bremer Ultra-Szene allerdings fern. Sie habe vielmehr einen „antidiskriminatorischen Anspruch, nimmt Geflüchtete mit ins Stadion und macht politische Arbeit.“
Die Maßnahmen der Hamburger Polizei und die Aussagen des Polizeisprechers Zill haben nicht nur in Bremens Vereinsführung, sondern auch bei dem Ultra für Unverständnis gesorgt: „Entweder lebt der in einer völlig anderen Welt. Oder er weiß es besser und macht Politik.“
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wirtschaft aber für junge Menschen
Das Problem mit den Boomer-Ökonomen
Wahlverhalten junger Menschen
Früher wählte die Jugend links
Ex-Chefinnen der Grünen Jugend
„Wir dachten, wir könnten zu gesellschaftlichem Druck beitragen“
Waffenlieferungen an Israel
Es geht nicht ohne und nicht mit
Krieg im Nahen Osten
Das Personal wächst nach
Wagenknechts Koalitionsspiele
Tritt Brandenburg jetzt aus der Nato aus?