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Die WahrheitSachsen und seine Oasen

Viel herumgeschubst auf der Weltkarte: Das endgültige Porträt eines noch weitgehend unbekannten Landes tief im Osten der deutschen Republik.

Illustration: Stephan Rürup

Sachsen, das kleine Königreich am Rande der Karpaten, ist kürzlich ins Gerede gekommen: Die rückwirkende Bewerbung um die Ausrichtung der olympischen Segelwettbewerbe 1936 hat die Aufmerksamkeit der Welt wieder auf das selbstbewusste Bergvölkchen mit der offenen Schublade im Unterkiefer und der bewegten Geschichte gelenkt.

Sachsen wurde viel herumgeschubst auf der Weltkarte. Im Erdmittelalter, dem Gleitial, drohte das Gebiet ins Meer abzurutschen; die Nieder- und die Angelsachsen waren bereits weit vorangekommen. Schließlich warf das Technische Hilfswerk eine Landmasse mit dem sprechenden Namen „Anhalt“ dazwischen. Obwohl anfänglich dankbar, sind heute viele Sachsen der Meinung, sie seien vom THW „belogen und betrogen“ worden. Inwiefern, weiß niemand genau.

Außerdem wurde Sachsen damals durch eine Mauer gegen das Abrutschen nach Westen gesichert, in der es nur eine Öffnung gab; für das Land hinter diesem Durchgang bürgerte sich nach und nach die Bezeichnung „Thüringen“ ein.

Ursprünglich lag der ganze Länderkomplex am Rhein, wurde aber nach dem Badischen Erbfolgekrieg 1776 in den Osten strafversetzt. Kurz danach sollte Sachsen sogar den amerikanischen Kolonien zugeordnet werden, aber der Erzsachse Karl May hatte die Amis bereits so liebgewonnen, dass er diese Maßnahme durch die berühmte Kurdistan-Indrige verhinderte.

Die allgemeine geografische Verwirrung endete damit jedoch keineswegs, wie schon die Ausdrücke „Elbflorenz“ und „Sächsische Schweiz“ zeigen. Ein tiefer Stachel im Fleisch der heimatverbundenen Sachsen war und ist die nächtliche Entführung des Matterhorns aus dem Elbsandsteingebirge anno 1355. Zum Trost erhielt der Freistaat den Status als Erholungslandschaft („Kursachsen“).

Wirtschaftsgeschichtlich von Bedeutung: der unterirdische Abfluss riesiger Erdölvorkommen im Arabicum, also zur Zeit der Französischen Revolution; die Bezeichnung „Naher Osten“ für die Erdölländer ist seither nur noch ein liebenswerter Anachronismus. In der Folge starb in Sachsen der größte einheimische Landsäuger, das Gohmehl aus, so dass auch die Karawanen und der Islam aus der Mode kamen; die Einheimischen blieben jetzt lieber daheim.

Erstklassige Zahlungsmoral

A propos Wirtschaft: Wegen des Mangels in der DDR erfand der Sachse Samuel Hahnemann 1957 die extrem verdünnte Nahrung in Kügelchenform; der Verdünnungsgrad wurde national ausgedrückt: DDR3, DDR10, DDR 100 etc. Heute sind die Sachsen aber eher berühmt für ihre erstklassige Zahlungsmoral („Tal der Mahnungslosen“).

2011 wurde Sachsen von einem politischen und militärischen Erdbeben erschüttert: Mit dem aus Jena stammenden Abenteurer Michael Braun betrat erstmals seit über hundert Jahren ein Ausländer sächsisches Gebiet. Allerdings endete der irrtümliche Grenzübertritt glimpflich: Wenige Meter hinter der Grenze konnte die vier Millionen Mann starke „Heimatwehr gegen Überfremdung“ den dreisten Migranten ergreifen und zur Strecke bringen.

Bekannt ist Sachsen vor allem für seine Kultur. Hier muss allerdings historisch ganz genau hingeschaut werden. Der Dresdener Swinger und die Frauenkirche, die man heute als harmlose Baudenkmäler präsentiert, verweisen auf die extrem lockeren Sitten im Rokoko unter August dem Scharfen; fast überflüssig zu erwähnen, dass der Architekt dieser Sauereien den Namen Pöppelmann trug. Das fromme Christentum des Westens drang allenfalls bis Leipzig vor, wo es traditionell viele Messen gab – in Dresden hingegen herrschte hemmungsloses Highlife. Im 17. Jahrhundert soll es dort sogar erlaubt gewesen sein, mit offenen Schnürsenkeln herumzulaufen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in Leipzig Pläne des Goebbels-Ministeriums für einen regionalen deutschen Fernsehsender entdeckt, der Gute-Laune-Filme abspielen sollte. Anhänger der EWNAS-Bewegung („Es war nicht alles schlecht“) griffen diese Idee zunächst in der DDR und nach der Wende auch in Sachsen auf. Beide Nachfolger zeigten zusätzlich zu den UFA-Klamotten auch selbstproduzierte Durchhaltefilme wie „Der Kreisdelegiertenkongress tanzt“ (DEFA, 1954) und das Bauarbeiter-Lustspiel „Wir zieh’n, wir zieh’n, wir zieh’n den Schutzwall wieder hoch!“ (MDR, 1997).

Die Sprache zählt im Falle Sachsens nicht zur Kultur – doch sind die sympathischen Bemmenfressen der einzige deutsche Volksstamm, dessen Idiom man im Ausland ebenso gut versteht wie in Deutschland. Ein unklares, sprachwissenschaftlich als „Der Kinnhaken“ bezeichnetes Ereignis im Phonetikum, sorgte dafür, dass die Parole seither lautet: „Untere Zahnreihe voran!“ Diese morphologische Besonderheit wurde von Nicht-Sachsen oft als „Alles mein’s!“-Geste missverstanden; daher die verbreitete germanistische Bezeichnung „Possessivgnom“ für den Sachsen mit seinem Genitiv. Die kommunistische Vergangenheit wirkt sich in Form der „Lenisierung“ (Wikipedia) der stimmlosen Konsonanten aus: Der Sachse sagt „Gestapo“, wenn er „Kestapo“ meint.

Eher rührend ist die aus einem Märchen dreier Brüder stammende Erklärung: Alle Einwohner von Grimma hätten 1756 aus Jux eine Grimasse gezogen, als plötzlich die defekte Kirchturmuhr geschlagen habe; seither redeten die so.

Sächselnde Bibel

Kuriose Missverständnisse sind entstanden, weil Martin Luther für seine Bibelübersetzung das am Sachsenhof gesprochene Idiom gewählt haben soll (die Weiterübersetzung ins Deutsche erfolgte erst viele hundert Jahre später, durch den Schriftsteller Mosebach). So ließ Luther das – damals ja noch in Sachsen heimische – Kamel selbstverständlich durch eine Oase gehen. Weil aber kein Sachse das Wort „Oase“ korrekt aussprechen kann, wurde bei Luther und dann auch bei Mosebach eine Öse, also ein Nadelöhr daraus.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts erregte die These Aufsehen, Teile der sächsischen Bevölkerung stammten unmittelbar von den Primaten ab, die dort erst im neunten Jahrhundert von den Mongolen vertrieben worden seien. Nachdem der Urheber, der frühere Hofcoiffeur Dr. Bernhard Kämmnitz, eingestanden hatte, seine Behauptung komplett an den Haaren herbeigezogen zu haben und über keinen anderen Beleg zu verfügen als den Namen der Provinz Lausitz, wurde die nach ihm benannte Stadt zur Strafe umgetauft; sie trägt seither den Namen des damals populären Sehers Klausi Marx.

Angesichts von Ortsnamen wie Grimma, Radebeul und Stauchitz könnte man die Einheimischen für grobschlächtige Gesellen halten, aber der Sachse hat die Behutsamkeit im Blut. Das zeigt sich nicht nur in der Mutter aller Porzellankisten, in Meißen, sondern auch in Bautzen: Der hiesige Senf ist maximal mittelscharf, und in der traditionsreichen Besserungsanstalt der Stadt wird die dort 1951 erfundene Lügenpresse bei Verhören sehr human und höchstens mit halbem Druck eingesetzt.

Zur Zeitgeschichte nur so viel: In der DDR waren die Sachsen unterdrückt und wurden zum Dienst bei der Polizei und der Stasi gezwungen. Einzelne Opfer sollen sogar für Tätigkeiten im sogenannten „Politbüro“ missbraucht worden sein. Unter dieser Schmoch leiden die Sachsen bis heute.

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5 Kommentare

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  • Ein wenig Böswilligkeit muss man dem Autor hier schon bescheinigen. Wenn es sich auch bei der letzten Wahl gezeigt hat, dass es in Sachsen übermäßig viel Nazis gibt, und der Dialekt für Außenstehende nicht nur wohlklingend ist - in Sachsen gibt es auch viele verdammt nette und vernünftige Leute! Ich selbst als der Schreiberling dieses Artikels, habe eigentlich nichts direkt mit den Sachsen zu tun, habe diese aber als Wessi schon zu DDR-Zeiten schätzen gelernt.

    • @fvaderno:

      Böswilligkeit? Aber wo wird er denn?

       

      Das ist keine Böswilligkeit, was der Autor hier abliefert. Eine eventuelle Böswilligkeit hätte die ebenso mächtige wie allwissende und fehlerlose taz-Redaktionskonferenz schließlich erbarmungslos aussortiert. Das ist eine als Humor verkleidete psychische Störung.

       

      Für so was kann ein Autor nichts. Das hat mit seiner Frühkindheit zu tun, vermutlich auch mit der Mama. So was wird leider heute nicht mehr therapiert auf Kosten der Versichertengemeinschaft, weil ja der Kranke selbst nicht drunter leidet.

       

      Die taz fungiert hier nur im Sinne eines Solidargemeinschafts-Ersatzes, schätze ich. Das ehrt sie zwar, hilft allerdings "den Sachsen" auch nicht weiter. Nur gut, dass der sächsische taz-Umsatz ohnehin keinen nennenswerten Beitrag zum Berliner Neubau des Blattes leisten braucht. Gibt schließlich schon genug Invest-Ruinen in unser aller (Welt-)Hauptstadt.

  • 4G
    4932 (Profil gelöscht)

    Ich finde auch, wie Herr Domzalski, daß die Sachsen für die Kultur, Architektur, Kunst, Musik und Literatur sehr Großes geleistet haben, und verstehe deshalb so schwer, weshalb sie ihr breites Spektrum nun auf Fremdenfeindlichkeit verengen.

  • ich emphele jedem das buch von fernausprechen wir über preussen die sächsischen mädchen waren für ihr liebevoles wesen bekannt und überall gern gesehen

    • @Georg Schmidt:

      Und ich empfehle den aktuellen Duden. Gerne auch digital.