„Ein Haus kann geräumt werden, eine Idee nicht“
Debatte Die einen schrieben Förderanträge, die anderen verfolgten die Besetzung: die Freie Szene und die Volksbühne
„Die Tanzszene trifft sich um 19 Uhr im Sternfoyer.“ So wurde es im Nachmittagspanel des Volksbühnen-Besetzerkollektivs „Staub zu Glitzer“ am vergangenen Montag angekündigt. So war es natürlich nicht. Was die Frage aufwirft: Wie wird eigentlich unter Akteur*innen der freien Tanz-, Performance- und Theaterlandschaft auf die Aktion von „Staub zu Glitzer“? reagiert. Immerhin betreffen die Gentrifizierungsängste des Kollektivs die freien Szenen unmittelbar in ihrem täglichen Schaffen. Wohn- und Proberäume werden knapper und teurer. Immer mehr Künstler*innen kommen in die Stadt, während die Fördermittel nicht proportional wachsen.
Eigentlich Grund genug, um in die 90er Nostalgie prominenter Besetzersympathisanten einzustimmen. Rührung? Wenn überhaupt, dann finden sich auf Facebook ein: zwei Gerührte.
Sympathie? Verständnis? Durchaus. Stefan Pelzer, Chief Escalation Officer beim Zentrum für Politische Schönheit, das verschiedentlich als mögliches Vorbild für die Aktion von „Staub zu Glitzer“ angeführt wurde, unterstreicht die grundsätzliche Sympathie für „jede Art rebellischen Handelns“.
Alexander Karschnia von andcompany&Co findet: „Es gibt kaum etwas Demokratischeres, als einen öffentlichen Raum des Streits, der Auseinandersetzung, des Dissens zu schaffen. Und kaum etwas Undemokratischeres als die Art und Weise, wie Dercon an seine Position gekommen ist. Das verlief zwar nach Recht und Gesetz, aber das heißt nicht zwingend, dass es besonders demokratisch ist. Ich bin davon überzeugt, dass wir die Demokratie nur retten können, wenn wir sie ‚demokratisieren‘ .“ Zweifel äußert Pelzer jedoch im Bezug „auf den linken Reflex, sich auf Haus und Immobilie zu konzentrieren“. Ob das noch zeitgemäß sei? Er hält Aktionskunst ohne ein Haus am Bein, sprich „Glühbirnen und Kartoffelschäler“, für aussichtsreicher: „Ein Haus kann geräumt werden, eine Idee nicht.“
Auch Kat Válastur, griechisch-berlinerische Choreografin, unterstreicht die Wichtigkeit der raumpolitischen Fragen, die „Staub zu Glitzer“ aufwirft, betont aber, dass es ihr darum geht, den Dialog aufrechtzuerhalten und nicht um die konkrete Aktion. Das Unbehagen, mit der konkreten Aktion umzugehen, vor allem mit dem Medienspektakels drumherum, wird von vielen eher off record formuliert, auch als eine verständliche Vorsicht, vorschnell Position zu ergreifen.
Dass ein nicht unbedeutender Teil der etablierten freien Szene die Besetzung nicht detailliert mitverfolgt hat, hat einen Grund: Gestern war Antragsfrist beim Hauptstadtkulturfonds (HKF), da geht es um Anträge auf Förderung.
Rührung ist Luxus, Position zu beziehen auch. Wagner Carvalho, Leiter des „postmigrantischen“ Theaters Ballhaus Naunynstraße, möchte sich nicht äußern. Franziska Werner, Leiterin der Sophiensæle, Großanlaufstelle Performancewilliger, schreibt ebenfalls HKF-Anträge. Barbara Friedrich, Geschäftsführerin der Uferstudios und dafür verantwortlich, dass ein Teil der Uferhallen von dem aktuellen Investmentverkauf nicht betroffen ist, steht nach den aktuellen Wahlergebnissen unter Schock und kümmert sich um Schadensbegrenzung. Anna Mülter, unter anderem Tanzkuratorin der Sophiensæle, wäre es auch lieb gewesen, wenn „Staub zu Glitzer“ die Bundesgeschäftsstelle der AfD besetzt hätte.
Kunst kostet Geld. Kunst aufräumen auch. Aber war die Besetzung, wie behauptet, überhaupt Kunst? Und – angesichts des Schaffens alternativer Fakten (Wir sind die Intendanz), Atombomben-Maskottchen und dem Banner „Make Berlin Geil Again“ – mit welcher Ästhetik? Künstler*innen, die darauf antworten wollen, finden sich nicht leicht. „Ich will nicht die Theaterkritik spielen“, sagt Stefan Pelzer. Peter Stamer, freier Theatermacher, wagt sich etwas weiter: „Interessanterweise wurde die Bühne, das Herzstück des Theaters, ja gar nicht berührt. Die Besetzung fand in den Foyers, den sozialen Räumen, statt. Das könnte symptomatisch sein.“
Astrid Kaminski