Sven Giegold über die Grünen und Protest: „Das ist politische Feigheit“
Der Grünen-Europaabgeordnete und Attac-Mitgründer Sven Giegold übt scharfe Kritik an seiner eigenen Partei: Es fehle Widerstand gegen Camp-Verbote.
taz: Herr Giegold, ausgerechnet im rot-grün regierten Hamburg gibt es eine riesige Demo-Verbotszone, Schikane gegen politische Camps und Wasserwerfer-Einsätze gegen Straßenpartys. Wie kann das sein?
Sven Giegold: Ich habe dafür kein Verständnis. Eine demokratiefreie Zone von 38 Quadratkilometern ist eines demokratischen Staates unwürdig. Friedlicher Protest muss erlaubt sein. Eine wehrhafte Demokratie muss gegen Gewalt vorgehen, aber genauso konsequent die Bürgerrechte achten und zivilgesellschaftliches Engagement fördern. Weniger vermögende Demonstranten, die auf Camps angewiesen sind, gehören genauso zum Gipfel wie die Staatschefs, die in den Luxushotels residieren.
Von prominenten Grünen ist bisher aber kaum Kritik zu vernehmen.
Das stimmt leider. Von den Grünen auf Bundesebene und in Hamburg kommt hier viel zu wenig. Aber auch die sonst so laute Spitze der Linkspartei ist erstaunlich still. Während sonst zu allem und jedem getwittert wird und Pressemitteilungen verschickt werden, fehlt bisher wirklich laute Kritik an den Camp-Verboten und der Demonstrationsverbotszone. Die Parteien versagen kollektiv bei diesem Stresstest für unsere Demokratie. Ich vermisse demokratische Haltung. Gerichte müssen im Eiltempo Entscheidungen treffen, während sich die Politik ihrer Verantwortung entzieht. Es ist die Aufgabe von Parteien für eine lebendige Demokratie zu sorgen, nicht sich hinter Gerichten zu verstecken.
Was hätten die Hamburger Grünen denn Ihrer Meinung nach tun sollen? Die Koalition verlassen?
gehörte im Jahr 2000 zu den Attac-Mitbegründern. 2008 trat er den Grünen bei und sitzt seit 2009 für seine Partei im Europaparlament. Der Ökonom gilt als Wirtschafts- und Finanzexperte der Grünen-Fraktion im EU-Parlament.
Natürlich nicht, damit würden ja die vielen grünen Erfolge in Hamburg gefährdet. Aber sie könnten Druck auf die SPD ausüben und einen Kompromiss im Streit um die Protestcamps aushandeln. Die Entscheidung der Hamburger Grünen die Messehallen als Tagungszentrum abzulehnen ist richtig, aber kommt leider viel zu spät. Das hat nun nur noch symbolischen Wert.
Woran liegt die Zurückhaltung?
Die Stille der Parteispitzen ist politische Feigheit. Offenbar fürchten alle, für mögliche Gewalttaten mitverantwortlich gemacht zu werden. Demokratie lebt aber nicht von Feigheit, sondern von Mut. Man kann nicht wegen möglicher illegaler Handlungen, alle friedlichen Aktionen gleich mit verbieten. Es ist zum Beispiel nicht hinnehmbar, dass alle drei von Attac angemeldeten Aktionen nicht genehmigt werden. Attac steht für eine kritische, aber friedliche Auseinandersetzung mit der Politik der G20. Zum Glück gibt es aber auch hoffnungsvolle Zeichen.
Welche meinen Sie?
Am 7. und 8. Juli treffen sich in Hamburg die Staatschefs der größten Industrie- und Schwellenstaaten zum G20-Gipfel. Die taz berichtet dazu in einem laufend aktualisierten Schwerpunkt und ab dem 1. Juli mit täglich 8 Sonderseiten.
Hamburger Kirchengemeinden, Theater und Vereine retten gerade den weltoffenen Charakter der Stadt, indem sie die Demonstranten auf ihrem Gelände übernachten lassen. Während die Sperrzone für Demonstranten ein demokratisches Armutszeugnis ist, zeigen die Kirchen und Theater, wie lebendige Demokratie geht.
Lohnt sich der ganze Aufwand denn wenigstens? Bringt der Gipfel etwas?
Ich finde gut, dass die Staatschefs der G20 überhaupt miteinander reden. In diesen unsicheren Zeiten ist das dringend nötig. Aber die Politik der G-20 macht wenig Hoffnung auf die notwendige demokratische Kontrolle der Globalisierung. Der EU-Japan-Handelsvertrag ist ein Fehlstart für den G20-Gipfel, denn er wiederholt die gleichen sozialen und ökologischen Fehler, die den Freihandel als Ganzes in Bedrängnis gebracht haben. Das darf nicht die Handelspolitik sein, für die Europa beim G20-Gipfel eintritt. Auch beim Klimaschutz müssen die übrigen Staaten Härte gegenüber Trump beweisen. Innerhalb der G20 sollte gelten: Ohne Klimaabkommen kein Handelsabkommen.
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