: Senat schaut in die Röhren
Energie Es ist eine juristische Niederlage für den Senat: Das Land hat keinen Anspruch auf die Herausgabe des von Vattenfall betriebenen Fernwärmenetzes, hat das Verwaltungsgericht entschieden. Klingt kompliziert. Wir bemühen uns um Aufklärung
von Claudius Prößer
1. Fernwärme, ist das nicht eine Uralt-Technologie in Plattenbauquartieren?
Weit gefehlt. Die Versorgung von Gebäuden mit Wärme aus dem Kraftwerk ist in Berlin eine ganz große Nummer. Jeder dritte Haushalt heizt, duscht oder spült mit heißem Wasser, das aus einem der großen Vattenfall-Kraftwerke, aber auch aus kleineren Blockheizkraftwerken ins Leitungsnetz eingespeist wird. Genau genommen bleibt dieses Wasser die ganze Zeit im Netz – mit bis zu 130 Grad ist es für die Verbraucher auch viel zu heiß. Stattdessen greifen Wärmetauscher in den Kellern der angeschlossenen Häuser die Hitze ab und bringen damit das eigene Wasser auf Temperatur, das dann durch Heizkörper oder in die Badewanne fließt.
2. Und worum geht es bei dem Rechtsstreit?
Um das Netz, das zu 90 Prozent Vattenfall gehört. Es ist rund 1.800 Kilometer lang, das drittgrößte Fernwärmenetz Europas nach Moskau und Warschau. Die ganzen Rohre, Pump- und Verteilerstationen liegen unter Berlins öffentlichem Straßenland, wofür Sondernutzungsentgelte von Vattenfall fällig werden. Immerhin muss der schwedische Konzern sich nicht regelmäßig von Neuem um die Konzession zum Netzbetrieb bewerben, wie es beim Strom- oder Gasnetz üblich ist.
3. Wirklich nicht?
Sagt Vattenfall! Und das Gericht hat es darin bestätigt.
4. Der Senat sieht das anders?
Absolut. In der Landesregierung, namentlich der Finanzverwaltung, ist man davon überzeugt, auch die Konzession für das Wärmenetz alle 20 Jahre neu ausschreiben zu dürfen. Konzessionen sind ein wichtiges Steuerungsinstrument: Die öffentliche Hand kann den Betreiber auswählen, der am günstigsten arbeitet, und Auflagen damit verbinden, etwa für einen verbesserten Klimaschutz.
5. Und warum glaubt Vattenfall, dass es aus der Kozessionsnummer raus ist?
Jetzt wird es kompliziert. Vereinfacht könnte man sagen: Berlin hat’s vergeigt.
6. Bitte etwas genauer.
Im Jahr 1994 schloss das Land einen Konzessionsvertrag über den Netzbetrieb ab – für Strom und Wärme. Aber nicht mit Vattenfall, sondern mit dessen Vorgängerin, der landeseigenen Bewag. 20 Jahre später, 2014, lief dieser Vertrag aus. Allerdings war zwischenzeitlich einiges passiert: Nicht nur war die private Vattenfall an die Stelle der Bewag getreten, auch hatte der Bund den Energiemarkt neu geregelt. Produktion und Netzverteilung von Strom mussten entflochten werden – „Unbundling“ sagen die Experten dazu. Das geschah auch in Berlin: Das Stromnetz wird heute von der Stromnetz Berlin GmbH betrieben (allerdings einer Vattenfall-Tochter), das Hochspannungsnetz von der 50Hertz Transmission GmbH.
7. Sollte es hier nicht um Wärme gehen?
Richtig. Der Punkt ist: Die Verwaltung hatte sich mit dem Konzessionsvertrag von 1994 erstaunlich wenig Mühe gemacht. Warum auch, die Bewag war ja ein Landesbetrieb. Und die sogenannte Endschaftsklausel, die vorsieht, dass das Land nach Ablauf des Vertrags das Netz dem Betreiber abkaufen darf, galt klar für Strom – für Wärme nicht so richtig. Später beim „Unbundling“ schloss man Ergänzungsverträge mit Vattenfall ab, in denen wieder klare Aussagen über das Wärmenetz fehlten. Deshalb sagt Vattenfall jetzt: Es gibt keine „Endschaft“ mehr für die Fernwärme! Wir dürfen unser Netz betreiben, so lange wir wollen! Ewig quasi! Juristen nennen so etwas eine „untergegangene Klausel“. Der Senat wollte und will das nicht glauben und hat deshalb 2015 vor dem Verwaltungsgericht geklagt.
8. Nur zur Sicherheit: Der Senat meint nicht etwa, dass das Netz eigentlich ihm gehört?
Nein, das Netz gehört derzeit definitiv Vattenfall. Es geht darum, dass das Land einen neuen Betreiber bestimmen darf und dass Vattenfall in diesem Fall das Netz an das Land oder einen neuen privaten Konzessionsnehmer verkaufen müsste.
9. Aber das Gericht hat Vattenfall recht gegeben.
Genau. Der Vorsitzende Richter Stephan Groscurth erläuterte, es sei „nicht erwiesen“, dass die „Energieversorgungsanlagen“, von denen in der Endschaftsbestimmung von 1994 die Rede war, außer dem Strom auch die Fernwärme meinten. Pech für das Land. Das will jetzt alle Instanzen durchschreiten. Stimmen aus dem Haus von Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) sagen: Wir werden es uns nicht bieten lassen, dass ein Privatkonzern aufgrund eines Formfehlers unbegrenzt über ein Energienetz im Wert von geschätzt 1,3 Milliarden Euro verfügen darf.
10. Und Vattenfall hat sich bei den Richtern bedankt?
Der Konzern hat das Urteil begrüßt und mitgeteilt: „Es bestärkt uns in unseren Ambitionen, weiter mit Hochdruck an der Wärmewende in Berlin zu arbeiten.“ Das Unternehmen werde seine Investitionen in die Berliner Energiewende umsetzen und bis 2030 vollständig aus der Kohlenutzung in Berlin aussteigen. So sieht es ja auch das Berliner Energiewendegesetz vor.
11. Ist das ernst zu nehmen?
Das bleibt abzuwarten. Immerhin gibt es eine gültige Klimaschutzvereinbarung zwischen dem Land und Vattenfall, und das Unternehmen hat erst im Mai tatsächlich die Braunkohleverbrennung in Berlin beendet. Gerade investiert es rund 100 Millionen Euro in eine Art Riesen-Tauchsieder in Spandau: eine „Power-to-Heat“-Anlage, die sehr effizient Wärme aus Strom erzeugt. Sie soll ab 2020 einen Block des Steinkohle-Heizkraftwerks Reuter ersetzen.
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