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Sexpositiv Zarah Henschen möchte mit drei anderen einen Sexshop in Hamburg eröffnen, der dem Patriarchat den Stinkefinger zeigt und die Mann-Frau-Dichotomie hinter sich lässt„Wir wollen uns eher am Körper orientieren“

INterview Katharina Schipkowski und Florian Schlittgen

taz: Frau Henschen, wann waren Sie das letzte Mal in einem Sexshop?

Zarah Henschen: Vor ungefähr vier Monaten.

Und was hat Sie dort gestört?

Dass gleich neben den Produkten, die ich mir angeschaut habe, DVDs waren mit Covern, auf denen zum Beispiel Frauen beim Oralsex runtergedrückt wurden. Das zeigt schon, was in diesen Filmen vermittelt wird: eine mysogyne Sexualität, die Frauen zum Objekt macht. Da hatte ich nicht mehr so Lust, für meine Sexualität Sachen zu kaufen. Außerdem waren die meisten Sachen hinter Glas und man musste fragen, um etwas anzufassen.

Was wird in Ihrem Shop anders?

Zum einen wollen wir Kategorien wie männlich und weiblich nicht benutzen. Ein Vibrator ist für Menschen, die eine Vagina haben, auch wenn die sich vielleicht nicht als Frauen definieren. Wir wollen uns eher am Körper orientieren. Einen Cockring, also einen Penisring, soll es nicht für Männer geben, sondern für Schwänze. Es gibt auch Sextoys für Transmenschen.

Wie sieht ein Sextoy für Transmenschen zum Beispiel aus?

Es gibt zum Beispiel den Buck-off von Buck Angel. Das ist ein schwarzes Silikonteil, da ist ’ne Öffnung drin, da kann ein Mikropenis oder eine große Klitoris rein und das Teil saugt dann daran.

Was soll es noch an alternativen Sextoys geben?

Wir haben noch keine fertige Produktpalette. Aber wir wollen gucken, wer die Zielgruppen sind, die in herkömmlichen Shops keinen Raum finden. Und dann die Hersteller anschreiben und fragen, ob es da spezielle Produkte gibt. Zum Beispiel Sextoys für ältere Menschen. Wenn man Rheuma in den Fingern hat, ist es sehr schwer, vibrierende Gegenstände zu halten. Etwas mit größeren Tasten wäre auch besser für Ältere. Aber auch Lecktücher …

… zur Verhütung von Krankheiten bei Vagina-Oralsex …

… sind in herkömmlichen Läden schwer zu bekommen, auch so was wollen wir anbieten.

Wo inspirieren Sie sich?

In den USA gibt es schon viel länger sexpositive Sexshops und sie haben auch ein viel größeres Netzwerk als in Deutschland. Die haben teilweise richtig schöne Sachen. Und sie haben meistens auch einen Blick auf Toys ohne giftige Inhaltsstoffe. Das ist uns auch wichtig. In Berlin gibt es schon den feministischen Sexshop „Other Nature“, in Hannover gibt es „Liebhabereien“.

Welche giftigen Stoffe sind in Sextoys und welche Alternativen gibt es?

Es gibt auf dem herkömmlichen Markt noch keinen Blick dafür. Wichtig ist, dass in den Produkten medizinisches Silikon ist und keine billigen Sachen, die schon nach Chemie riechen, wenn man sie auspackt. Aber das Problem ist nicht nur, dass da Giftstoffe drin sind, sondern auch, dass günstiges Plastik grobstrukturig ist. Das ist unhygienisch, wenn es an die Schleimhäute kommt oder wenn man wechselnde Partnerinnen hat. Man sollte lieber was nehmen, was gut sauber zu machen ist.

Sind Ihre Produkte entsprechend teurer?

Jein. Der Fokus liegt darauf, dass wir beides anbieten. Ich finde es schade, wenn Teile 180 Euro kosten, besonders weil man ja vorher nicht weiß, ob das Produkt wirklich was für einen ist. Zum Beispiel ein V-Vibe – ein Teil, das in die Vagina eingeführt wird, zugleich oben drauf liegt und das überall vibriert – das kostet über 100 Euro. Aber es ist einfach unklar, ob man das mag, bevor man das ausprobiert hat.

Was sind Beispiele für günstige Produkte?

Es gibt Silikontoys ohne Motor, die sind dann nicht so teuer, so im 30-Euro-Bereich. Für Penisse gibt es Tenga Eggs. Das ist eine Masturbationshilfe. Sieht aus wie ein kleines Ei, drinnen ist Silikon, das stülpt man über den Penis und es erzeugt eine Sogwirkung. Fünf bis sechs Euro kostet das. Es ist uns wichtig, auch was im Niedrigpreissegment anzubieten. Wir wollen keine Luxus-Boutique werden, wir kommen ja alle aus der Do-it-yourself-Szene.

Wer ist das Team hinter dem Sexshop?

Wir sind zu viert. Wir sind über das Thema zusammengekommen und wollten das Projekt aus verschiedenen Motivationen heraus machen. Eine von uns arbeitet gerade in einem Normalo-Sexshop. Wir anderen haben auch alle Jobs und wollen auch versuchen, die zu behalten, um finanziell abgesichert zu sein.

Wie kam es zur Idee?

Ich hatte die Idee vor drei, vier Jahren ganz klassisch am WG-Küchentisch. Ich war begeistert vom Konzept von „Other Nature“ und habe mich geärgert, dass es das nicht in Hamburg gibt, weil ich auch gerne solche Sachen kaufen wollte, aber nicht wusste, wo und wie. Da kam halt die Idee, so einen Shop in Hamburg aufzumachen. Dann haben wir rumgesponnen und gezielt im Freundeskreis Leute gesucht, die mitmachen wollen.

Sie nennen sich Sexshop-Kollektiv – was bedeutet das für den Laden?

Es gibt keine Chefin, alle entscheiden auf gleicher Ebene im Konsens für den Laden und wir sind gegebenenfalls auch bereit, dass das Kollektiv noch wächst. Sodass man Leute aus der Community auch mit daran beteiligt.

An wen richtet sich der Shop?

An alle, die Lust haben auf eine offene, schambefreite und selbstbestimmte Sexualität, und die das auch ausleben wollen. Und es geht auch nicht nur um Sex. Es gibt nicht nur das Sextoy-Angebot, sondern auch Themen wie Menstruation oder Body-Expression, also für Menschen, die sich mit ihrem definierten oder von der Gesellschaft definierten Geschlecht nicht wohlfühlen. Es geht nicht nur um Sexualität, sondern im weiteren Sinne um Körper und Lust.

Wie spiegelt sich das im Angebot wieder?

Beim Thema Menstruation zum Beispiel mit Menstruations­tassen, als Alternativen zu Tampons und Binden. Oder Men­struations-Pads …

Was ist das?

„Wir finden unter gewissen Voraussetzungen Sexarbeit auch empowernd. Wir wollen nicht, dass Sexarbeiterinnen geshamed werden und dass es kein Recht gibt, mit dem Körper zu arbeiten. Daher kommt der Begriff sexpositiv“

Ich habe die bisher aus Bambusfasern gesehen, die funktionieren wie eine Binde, können aber ausgewaschen werden – um Müll zu vermeiden. Sie sollen aber auch ein besseres Klima schaffen, als wenn da so Plastik in der Hose ist. Beim Thema Gender-Expression gibt es zum Beispiel Binder, damit bindet man die Brüste ab. Dann wird man nicht sofort als Frau gelesen, nur weil man Brüste hat. Oder Packer: Das sind Penis-Attrappen aus Silikon, die gibt’s auch in verschiedenen Hauttönen. Die kann man in speziellen Unterhosen tragen. Sie sollen das Tragegefühl eines Penis imitieren und machen, das da eine Beule zu sehen ist. Vieles wollen wir aber auch über Workshops, Vorträge und Filme machen.

Wollen Sie mit dem Sexshop auch aufklären?

Genau. Es geht um Aufklärung, Selbstermächtigung, Bildung und Vernetzung.

Verfolgen Sie einen politischen Auftrag?

Ja, dahinter steht ein politisches Verständnis von Körper, Sexualität und Gesellschaft. Allein, dass man der Gesellschaft unterstellt, dass sie patriarchal ist, ist ja schon eine politische Analyse. Dem wollen wir etwas entgegensetzen – indem wir sagen, wir wollen keine Darstellung von Frauen als Objekten, und wir wollen die Kategorie Frau generell infrage stellen.

Ist Sex politisch?

Ja. Alle gesellschaftlichen Felder sind politisch. So auch Sexualität.

Worin besteht der Bildungsanspruch des Sexshops?

Darin, dass man sich mehr mit dem Körper befasst und so auch zu einem anderen Körperverständnis kommt. Es gibt zum Beispiel den Film „Vulva 3.0“. Ich muss gestehen, obwohl ich mich seit Jahren mit Feminismus und Körper beschäftige, waren für mich Sachen zu sehen, die ich nicht wusste. Wie groß die Klitoris ist, zum Beispiel. Über so was mehr aufzuklären, über Körper und Funktionen, das finde ich wichtig.

Über die weibliche Anatomie gibt es offenbar große gesellschaftliche Wissenslücken.

Was kein Wunder ist. Wenn man sich die Medizingeschichte ansieht, war immer der männlich konnotierte Körper der Maßstab. So auch bei Studien über Herzinfarkte. Die Indikatoren für Herzinfarkte sind immer männlich. Weibliche Körper haben ganz andere Vorzeichen, so weiß man aber als Frau gar nicht, dass man vielleicht einen Herzinfarkt hat.

Gibt es Sachen, die es explizit nicht in Ihrem Shop geben darf?

Einerseits Produkte mit schädlichen Inhaltsstoffen. Andererseits auch so Verpackungen, die nicht gehen – ich weiß zum Beispiel nicht, wieso auf einer Packung für einen Anal-Plug eine Meerjungfrau drauf sein muss mit nackten Brüsten und ’nem Mund, der aussieht, als hätte sie gerade Oralsex. Es gibt auch so Frauenköpfe, mit denen man Oralsex haben kann. Da hätte ich Bauchschmerzen mit. Aber es ist immer ein schmaler Grad zwischen „was ist kinky und cool“ und gleichzeitig bestimmte Sachen aus guten Gründen abzulehnen. Denn wir wollen ja auch Produkte abseits des Mainstream anbieten.

Wo ist die Grenze?

Es darf auf jeden Fall nicht Menschen verachten oder objektivierend sein. Ansonsten gibt’s ja bei Sextoys nicht sooo die Probleme, die meisten Sextoys sind ja eher neutral. Meistens sind sie länglich und man kann sie wo reinstecken und dann machen sie irgendwas.

Aber zum Beispiel bei Sadomaso geht es doch explizit um Erniedrigung – es funktioniert darüber, dass jemand zum Objekt gemacht wird.

Aber wenn das in einem konsensualen Rahmen stattfindet, ist es in Ordnung. Das ist ja auch die Grundlage von SM. Wir bieten auch Handschellen und so was mit gutem Gefühl an.

Ist das auch eine Frage der Präsentation – raus aus der dunklen Folterkeller-Ecke?

Ich habe das in Nordamerika gesehen, da hingen nette Schilder in den Sexshops, zum Beispiel mit ’nem Mops im Comic-Style, der drei Sachen sagt: „Respect yourself, respect others and don’t yiek my yum.“ – „Sag’also nicht iiiih zu dem, was ich heiß finde.“ Es soll explizit nicht so sein, das ganz hinten die dunkle BDSM-Ecke ist, wo alles mit Ketten dekoriert ist und eine Folterkeller-Atmosphäre herrscht. Sondern dass die Sachen nicht hierarchisiert werden und auch vorne angeleuchtet und präsentiert werden. Das man nicht sagt: Das ist jetzt was ganz Spezielles.

Sie wollen also eine Normalität herstellen für Sachen, die von der gesellschaftlichen Norm eher abweichen.

Genau. Und wir wollen alles schön hell und freundlich präsentieren.

Zarah Henschen

32, ist Mitgründerin des feministischen Sexshopkollektivs Fuckyeah. Sie befasst sich seit acht Jahren mit Queerfeminismus.

Ist es das, was mit sexpositiv gemeint ist?

Der Begriff kommt aus den 80ern, wo es viel um Sexarbeit ging. Da wurde in der Community gesagt, dass Sexarbeit frauenverachtend ist, deshalb wurde sie von Feministinnen geächtet. Da fanden sich aber auch feministische Gruppen, die sagten, dass Sexarbeit auch em­powernd ist. Wir finden unter gewissen Voraussetzungen Sexarbeit auch empowernd. Wir wollen nicht, dass Sexarbeiterinnen ge­shamed werden und dass es kein Recht gibt, mit dem Körper zu arbeiten. Daher kommt der Begriff sexpositiv.

Wie gehen Sie mit feministischen Positionen um, die Prostitution ablehnen?

So wie Alice Schwarzer? Das sehen wir ein bisschen anders. Es gibt schon Formen von Sexarbeit, die selbstbestimmend sind. Dann muss es auch gut und okay sein, dass Leute das machen. Dass es bei Sexarbeit eine Differenz gibt zwischen den Leuten, die es selbstbestimmt machen und denen, die es nicht selbstbestimmt machen, bleibt zu kritisieren. Ich würde auch sagen, dass die Entkriminalisierung von Sexarbeit eher zur Verbesserung der Situation beiträgt als die weitere Kriminalisierung oder das Wegdrücken und Behaupten, dass es das nicht geben darf.

Und was ist mit Pornos? Da gibt es ja eine ähnliche Position unter Oldschool-Feministinnen.

Ja, da ist die Argumentation ähnlich. Aber die Auseinandersetzung mit dem Medium Film über Lust und Sexualität kann ja von allen Leuten, die Sexualität betrifft, mitgestaltet werden. Dass sie bisher nur von einer Personengruppe gestaltet wird, ist nicht das Problem des Pornos. Queere und feministische Pornos sind eben auch lustvoll, und es muss sie auch geben.

Was bedeutet der Name Fuck­yeah?

Zum einen ist es ein positiver Ausdruck: Ja, wir machen das mit erhobener Faust. Es ist ein positiver Bezug zum Körper und zum Feminismus. Aber das Fuck ist auch ein kleiner, dezenter Mittelfinger gegen Sachen, die wir nicht gut finden, also gegen das Patriarchat.

Ist das nicht ein zum Scheitern verurteiltes Projekt: Im Jahr 2017 einen Einzelhandel für eine bestimmte, nicht besonders große Szene zu eröffnen?

Ja, das ist schwierig, das ist uns bewusst. Aber wir werden auch einen Onlineshop einrichten. Und wir behalten ja unsere Jobs. Dann hoffen wir, dass der Laden sich selbst trägt. Und wir versuchen ja auch, Geld über Lesungen und Vorträge reinzukriegen.

Wie sichern Sie die Anfangsfinanzierung?

Über Crowdfunding. Das läuft seit Donnerstag auf startnext.de/fuck-yeah-sexshop. Man kriegt auch ganz viele schöne Sachen als Dankeschön, wenn man uns finanziell unterstützt. Erst wenn wir das Geld zusammenhaben, mieten wir auch einen Laden.

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