Kolumne Liebeserklärung: Regen, mein Lehrmeister
Auch wenn 150 Liter pro Quadratmeter auf einmal runterkommen – Wasser ist die Essenz des Lebens! Zumindest bis nächste Woche.
O Regen, ich will kein Weichei sein! Denn zeigst du mir nicht, dass es eine Macht gibt, die stärker ist als Gore-Tex und Gullys? Beweist du mir nicht, dass es Momente gibt, wo wir loslassen und losradeln müssen, auch wenn wir es versäumt haben, am Morgen einen Blick auf die Wetter-App zu werfen und weder Regenjacke noch Regenhülle für die Arbeitstasche, geschweige denn Regenhose und Regenschirm eingepackt haben?
Trocken erreichte ich die Pressekonferenz, und dann kamst du, o Regen, und es gab keine Wahl. Ich muss zurück zur Arbeit, das Fahrrad muss mit. Später wird der Kollege berichten, dass Fahrradfahrer in den Berliner U-Bahnhöfen gebettelt haben, mit ihrem Gefährt mitgenommen zu werden in den überfüllten Zügen. Es gab hässliche Szenen.
Aber ich stelle mich. Denn manchmal liebe ich dich, o Regen. Hast du mir nicht beigestanden, wenn die Melancholie sich in die Seele schlich und du dann anfingst, von oben herab Tropfen fallen zu lassen aus dunklen Wolken, wie ein Flüstern, das mir sagte: ‚Du bist nicht allein.‘ Meine blinde Freundin F. liebt den Regen, er tastet für sie prasselnd die Dächer, die Alleen, die Regenschirme ab, er macht die Welt zur Symphonie.
Schluss mit den Sentimentalitäten. Der Rucksack lässt sich noch einwickeln mit einer Rossmann-Plastiktüte, ansonsten gibt es keinen Schutz, rauf auf das Fahrrad, los. Wo kommt bloß das ganze Wasser her? Im Himmel muss ein Staudamm gebrochen sein. Aber kein Gejammer jetzt. In Indien gibt es eine extra Monsunmode mit bunten Schirmen, Krempelhosen und Plastiklatschen. Und würden Bewohner der trockenen Saharastaaten den Regen überhaupt als „Unwetter“ bezeichnen? Think global.
150 Liter pro Quadratmeter, wird der Kollege in der Redaktion später sagen. Danke, KiK, für die schnell gekauften billigen Ersatzklamotten, ja, ich geb’s zu: KiK von nebenan. Meine Bluejeans trocknen noch. Never wear denim in monsoon. Regen, du bist mein Lehrmeister. Aber wenn du dich bis zum Ostseesegelurlaub nächste Woche nicht verpisst, wird dir der Hahn abgedreht!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!