: Beispiellose Ehrung
GEDENKEN EU-Kommissionspräsident Juncker will Kohl mit einem „europäischen Staatsakt“ würdigen
Die Bild-Zeitung berichtet gar von Plänen, wonach Kohls Leichnam nach dem Staatsakt in Straßburg per Schiff über den Rhein zur Totenmesse nach Speyer in Rheinland-Pfalz gebracht werden soll. Die Totenmesse im dortigen Dom soll demnach öffentlich sein, anschließend der engste Familien- und Freundeskreis im nahen Adenauerpark Abschied vom Altkanzler nehmen.
Die Ehrung mit einem Staatsakt in Straßburg wäre beispiellos. Juncker begründet den Plan damit, dass Kohl einer von nur drei europäischen Ehrenbürgern war – neben dem EU-Gründervater Jean Monnet und dem früheren Kommissionspräsidenten Jacques Delors. Zudem sei dies Kohls Wunsch gewesen.
Doch erst einmal gibt es die Möglichkeit des Gedenkens. Seit Sonntag können sich BürgerInnen im Berliner Kanzleramt in ein ausgelegtes Kondolenzbuch eintragen. Auch im Konrad-Adenauer-Haus, der CDU-Bundeszentrale in Berlin, und auf der Website der CDU können Menschen kondolieren. Von einem „großen Europäer“ ist in den teils sehr persönlichen Beileidsbekundungen zu lesen, von Dankbarkeit für den „Kanzler der Einheit“. Und von Anteilnahme für seine Witwe und die beiden Söhne.
Man spürt: Am Ende dieses 87 Jahre langen Lebens ist es unerheblich, was man weiß über die Fehden innerhalb Kohls Familie. Über Brüche und Schweigen und Abweisungen. Über Feindschaften und Vorbehalte. In einem solchen Moment ist es erst einmal zweitrangig, welche Fehler er als Politiker gemacht hat. Ein Mensch ist gegangen.
Auch Angela Merkel hat sich geäußert. In Rom hat die CDU-Vorsitzende noch am Freitagabend Anteil nehmende Wort gefunden. Sie denke „mit großem Respekt und mit großer Dankbarkeit“ an Helmut Kohl, sagte sie mit leicht stockender Stimme. Das Leben dieses „in jeder Hinsicht großen Mannes“ stehe für die deutsche Wiedervereinigung und die Einheit Europas. Helmut Kohl habe verstanden, dass das eine und das andere untrennbar verbunden gewesen seien.
Nur kurz ging Merkel auf Helmut Kohl als Parteivorsitzenden ein. Er habe die CDU binnen eines Vierteljahrhunderts modernisiert – „sie wird es ihm nicht vergessen“. Nach der Parteispendenaffäre 1998, wegen der Kohl der Ehrenvorsitz aberkannt wurde, blieb das Verhältnis zwischen ihm und der Vorsitzenden Merkel angespannt. Noch vor drei Jahren, zum 25. Jahrestag des Mauerfalls, hat Helmut Kohl gemeinsam mit seiner zweiten Ehefrau Maike Kohl-Richter die Schrift „Aus Sorge um Europa“ veröffentlicht. Der von Merkel geführten Regierungspartei CDU bescheinigte er darin mangelndes Fingerspitzengefühl für das europäische Projekt.
Wohl auch deshalb würdigte Angela Merkel in ihrer Beileidsnote weitaus ausführlicher den Europapolitiker Helmut Kohl. Er habe ein unglaublich gutes Gespür gehabt für „Geschichte und Freundschaften“. Die Deutschen sollten dankbar sein für das Vertrauen, das man ihm „von Washington bis Moskau, von Paris bis Warschau entgegenbrachte“. Letztlich habe er die historische Chance der deutschen Wiedervereinigung erkannt und genutzt. „Das war höchste Staatskunst im Dienste der Menschen und des Friedens“, sagt Angela Merkel. Sie spricht von einem „Glücksfall für uns Deutsche“. Ohne Kohl hätte sich auch ihr Leben nicht so entscheidend verändert, wie es das in den Jahren seit der friedlichen Revolution 1989 getan habe.
Wann in Deutschland der Staatsakt für den einstigen Bundeskanzler stattfindet, wird der Bundespräsident entscheiden. Vor Kohls Wohnhaus im rheinland-pfälzischen Oggersheim legten am Wochenende BürgerInnen Blumen nieder. Die Junge Union gedachte dort am Samstagabend mit etwa 200 Mitgliedern des CDU-Politikers. Kohls Witwe Maike Kohl-Richter empfing im Haus mehrere Besucher, unter ihnen Politiker und religiöse Vertreter. Kohls Sohn Walter wurde erst nach längerer Diskussion mit der Polizei zu seinem Elternhaus vorgelassen.
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