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Entwicklung und Innovation in der EUForschung à la „Champions League“

Der Europäische Forschungsrat gibt seit zehn Jahren innovativen Wissenschaftlern eine Chance. Besonders der Nachwuchs soll davon profitieren.

Ohne ERC-Förderung bleibt so mancher Blick durch's Mikroskop trübe Foto: imago/Westend61

Europa? Geht doch! Jedenfalls in der Forschungspolitik. Wenn überall der politische Europa-Blues angestimmt wird, waren in dieser Woche in Berlin andere Töne zu hören. Wissenschaftler und Politiker sangen ein Loblied auf den Euro­päi­schen Forschungsrat (European Re­search Council, ERC), der vor zehn Jahren ins Leben gerufen wurde. Aus Anlass der Vergabe des 1.000. ERC-Förderprojekts nach Deutschland hatte das Bundesforschungsministerium zu einer Bilanzkonferenz eingeladen.

Die Forschungsförderung der EU-Kommission, gebündelt im sechsjährigen Rahmenprogramm „Horizon 2020“ (Budget 2014 bis 2020: rund 80 Milliarden Euro), hat erkennbar dirigistische Züge. Vor allem die anwendungsorientierte Forschung soll gestärkt werden, um über Innovationen mehr Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze zu schaffen. Eine „Insel“ der Grundlagenforschung innerhalb der EU-Forschung sind hingegen die Förderprojekte des ERC, deren Finanzvolumen sich auf 13 Milliarden Euro beläuft und mit 17 Prozent den größten Einzelposten des Horizon-2020-Kuchens ausmacht.

Die Besonderheit: Die Gelder werden nicht von der EU-Bürokratie vergeben, sondern ausschließlich von Wissenschaftlern unter Anlegung von Wettbewerbs- und Prüfkriterien, wie sie in Deutschland etwa bei der Bewilligung von Projektmitteln durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) üblich sind. Tatsächlich wurde der ERC vor zehn Jahren nach dem Vorbild der DFG gegründet, die in Deutschland die meisten Fördergelder für die Grundlagenforschung in den Hochschulen verteilt. Erster Generalsekretär des ERC wurde 2007 konsequenterweise Ernst-Ludwig Winnacker, der vormalige Präsident der DFG.

„Mit dem Europäischen Forschungsrat sollte eine ‚Cham­pions League‘ der europäischen Forschung etabliert werden“, rief Bundesforschungsministerin Johanna Wanka bei der Jubiläumskonferenz in Erinnerung. Dies sei auch gelungen, bestätigte die österreichische So­zial­wissenschaftlerin Helga Nowotny, die später als ERC-Präsidentin amtierte. „Wir wollten mit unseren Stipendien vor allem jungen Forschern eine Chance geben, die sie sonst nirgends bekommen haben“, berichtete Nowotny. Schon im ersten Jahr gingen 9.000 Anträge ein, die das kleine ERC-Büro kaum bewältigen konnte.

Viele Forschungsprojekte, die in den etablierten Förderstrukturen ihrer Heimatländer durch den Rost gefallen wären, erhielten so eine Chance zur Realisierung. So geht die Erforschung des Kohlenstoffs Graphen, der als einer der wichtigsten Zukunftswerkstoffe gilt, auf eine ERC-Förderung zurück. Auch die Entdeckung von erdähnlichen Planeten in anderen Sonnensystemen oder die Entwicklung eines Nano-Impfstoffs gegen Krebs bekamen mit dem Brüsseler Geld den entscheidenden Anstoß.

„So kann ich mich voll auf die Forschung konzentrieren“

Die Chemikerin Annika Jahn­ke vom Helmholtz-Umweltforschungszentrum Leipzig (UFZ) holte die 1.000. ERC-Förderung („Grant“) nach Deutschland: Rund 1,5 Millionen Euro stehen ihr seit diesem Mai für die kommenden fünf Jahre zur Verfügung. Damit will sie ein neues Verfahren zur Risikobewertung von Mischungen von Umweltschadstoffen entwickeln, ein sogenanntes Chemometer. Es soll, so wie ein Thermometer die Temperatur misst, Auskunft über die chemische Aktivität von Stoffmischungen geben. „Mit dieser Ausstattung kann ich mich voll auf die Forschung konzentrieren und auch in unbekannte Bereiche vordringen“, stellte Annika Jahnke ihren Untersuchungsansatz vor. Das ständige Hangeln nach kurz befristeten Projekten, in denen das Ergebnis am besten schon in der Antragstellung enthalten sein soll, hat nun für fünf Jahre Pause.

Insgesamt wurden seit 2007 mehr als 6.000 ERC-Grants an europäische Wissenschaftler vergeben. Es gibt drei Förderklassen: Starting, Consolidator und Advanced Grants mit Fördersummen von 1,5 bis 3,5 Millionen Euro für maximal fünf Jahre. Das Geld geht meistens in die Anstellung von wissenschaftlichen Mitarbeitern zur Bildung von Arbeitsgruppen, teils aber auch in die Anschaffung von Hardware und Materialien. Auf diese Weise sind bisher 1,8 Milliarden Euro nach Deutschland geflossen.

Die meisten ERC-Grants wurden bislang nach Großbritannien (1.530) vergeben. Nach Deutschland (inzwischen sind zu den 1.000 weitere 81 Projekte dazugekommen: 1.081) auf Platz 2 folgen Frankreich (912) und die Niederlande (612). In Deutschland gingen die meisten Projekte an Institute der Max-Planck-Gesellschaft (190), gefolgt von der Uni München (67) und der TU München (46). Natürlich ist auch beim ERC auch noch nicht alles Gold. Die größte Ungewissheit birgt die Auswirkung des britischen EU-Austritts. „Welche Wirkungen der Brexit für uns haben wird, lässt sich noch nicht abschätzen“, gab der amtierende Präsident des ERC, der Franzose Jean-Pierre Bourguignon, bei der Berliner Veranstaltung zu.

Wenig Geld für Geisteswissenschaften und Frauen

„Das ist ein ganz großes Fragezeichen“, sagte der ERC-Chef. Die Hälfte aller ERC-Projektleiter in Großbritannien kommen aus anderen Ländern. Die britische Premierministerin Theresa May äußerte bereits, dass bei Beschränkung der Freizügigkeit für Wissenschaftler Ausnahmen gelten sollen.

Ein weiteres Manko ist der unterdurchschnittliche Anteil der Geistes- und Sozialwissenschaften an den ERC-Projekten. „Hier sind noch Möglichkeiten nach oben“, merkte Forschungsminsterin Wanka kritisch an. „Auch der Frauenanteil könnte besser sein.“ Derzeit werden 21 Prozent der deutschen ERC-Projekte von Forscherinnen geführt.

Wer wissen will, wie gut eine Universität in Schweden oder ein Institut in Frankreich ist, fragt zuerst nach der Zahl der ERC-Projekte, die in den letzten Jahren eingeworben wurden

Ein wichtiger Nebenaspekt, der anfangs gar nicht intendiert war, inzwischen aber zum Markenzeichen des ERC geworden ist, besteht in seiner Vergleichbarkeit. Da alle Bewerbungsprojekte nach dem gleichen „Wertekanon der europäischen Wissenschaft“ gemessen werden – die Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer Videobotschaft mit den Werten „Internationalität, Exzellenz und wissenschaftliche Unabhängigkeit“ definierte –, ist die Einwerbung von ERC-Projekten zum einheitlichen Qualitätsmaßstab für Wissenschaft in Europa geworden. Wer wissen will, wie gut eine Universität in Schweden oder ein Institut in Frankreich ist, fragt zuerst nach der Zahl der ERC-Projekte, die in den letzten Jahren eingeworben wurden.

Wird sich der Europäische Forschungsrat in den nächsten zehn Jahren verändern? Die finanzielle Ausstattung sieht ERC-Präsident Bourguignon auch mit dem nächsten Forschungsrahmenprogramm ab 2020 als gesichert an. Allerdings ist EU-Forschungskommissar Carlos Moe­das eifrig dabei, den ERC um ein „Geschwisterchen“ zu bereichern: den Europäischen Innovationsrat (EIC), den er noch in seiner Amtszeit etablieren will. Im Februar wurde eine „Highlevel Group Innovation“ installiert, die weitere Schritte erarbeiten soll. Ob es unter Umständen auch zur Umleitung von Finanzmitteln vom ERC zum EIC kommen wird, steht noch nicht fest. Ministerin Wanka als deutsche Hüterin des ERC gab einstweilen die Devise aus: „Für uns ist der Innovationsrat keine Konkurrenz.“

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1 Kommentar

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  • Zitat: „Wissenschaftler und Politiker sangen ein Loblied auf den Europäischen Forschungsrat (European Research Council, ERC) [… a]us Anlass der Vergabe des 1.000. ERC-Förderprojekts nach Deutschland“.

     

    Das Phänomen ist so alt, dass der sogenannte Volksmund einen Spruch dazu hat. Der lautet: Wes' Brot ich ess', des' Lied ich sing'.

     

    Mag sein, dass „ohne ERC-Förderung […] so mancher Blick durch's Mikroskop trübe [bleiben]“ würde. Nur: Auch mit ERC-Förderung ist das der Fall. Man sollte also sicherheitshalber eruieren bei Gelegenheit, wessen Mikroskop Licht kriegt, und wessen Mikroskop nicht. Ich wette, es ergibt sich ein Muster.

     

    Politiker fördern gern Menschen. Nicht aus der eigenen Tasche, sondern von fremder Leute Geld. Sie mögen also spendable Menschen. Leider haben Politiker meist mehr Ahnung von Politik als von Wissenschaft. Sie lassen sie deshalb bei ihrer Wahl gerne beraten von „kompetenter“ Seite. Als Berater wiederum fungieren gerne solche Wissenschaftler, die eigene Ziele verfolgen. Wenn also Politiker und Wissenschaftler im Chor ein Loblied auf gewisse Spender singen, ist dringend Vorsicht angeraten.

     

    Wo sehr viel Licht ist für die Einen, ist meistens sehr viel Schatten für die Anderen. Für 80 Milliarden Euro aber kann man schon mal ein Licht leuchten lassen auf Dinge, für die man sich interessiert – und andre in den Schatten stellen. Wie flexibel deutsche „Wettbewerbs- und Prüfkriterien“ im Zweifel sind, erkennt man, wenn man deutsche Filme guckt. Wer von der “'Champions League‘ der europäischen Forschung“ schwärmt, der ist mir jedenfalls suspekt. Ein korrupter Fußball mag ja ein Spaß sein. Eine korrupte Wissenschaft ist keiner. Dass es weit her sein kann mit der „wissenschaftliche[n] Unabhängigkeit“ Geförderter, glaube ich jedenfalls nicht einmal dann, wenn es die Kanzlerin behauptet.