piwik no script img

Kommentar Terror in LondonDas Internet ist schuld

Ralf Sotscheck
Kommentar von Ralf Sotscheck

Theresa May fordert, dass Google & Co. extremistisches Gedankengut im Netz löschen. Dabei geht es nicht um Sicherheit, sondern um Wählerstimmen.

Mays Glaubwürdigkeit hat in den vergangenen Monaten stark gelitten Foto: reuters

D as Internet trage eine Mitschuld an den Terroranschlägen, findet Theresa May. Deshalb will die britische Premierministerin Unternehmen wie Google dazu zwingen, die Webseiten von extremistischem Gedankengut zu säubern. Man sei dem Extremismus mit viel zu viel Toleranz begegnet, meint sie: Das Maß sei voll.

War es das nicht schon 2001 nach den Anschlägen in New York oder spätestens nach den Attentaten in Paris, Brüssel oder Manchester? Was May will, ist eine Überwachung der Köpfe. Sie will nicht nur gegen terroristische Taten vorgehen, sondern auch gegen extremistische Gedanken, selbst wenn sie gewaltfrei sind. Der Guardian warnt zu Recht davor, dass solche Gesetze auch gegen Tierschützer, Umweltaktivisten oder Gegner des Waffenhandels angewendet werden könnten, falls sie sich im Internet zu weit aus dem Fenster lehnen.

May tendierte schon als Innenministerin in diese Richtung. Sie stellte eine schwarze Liste von Individuen und Organisationen auf, die zwar nicht als gewaltbereit, aber extremistisch eingestuft wurden, und verhängte ein Kontaktverbot für Regierungsbeamte und Behörden. Das Spiel sei aus für diejenigen, die britische Werte ablehnten, sagte sie 2015. Und was sind britische Werte? Gehört die Fuchsjagd dazu, die May wieder erlauben will, sollte sie die Wahlen am Donnerstag gewinnen? Gelten Jagdgegner dann auch als Extremisten und Jagd­saboteure als Terroristen?

Mays Reaktion auf den neuerlichen Anschlag ist vom Wahlkampf geleitet. Normalerweise profitiert eine Regierungspartei von einem Attentat kurz vor den Wahlen, weil die Wähler verunsichert sind und vor dem Ungewissen zurückschrecken. Das ist diesmal nicht der Fall. Mays Glaubwürdigkeit hat in den vergangenen Monaten stark gelitten, nicht zuletzt deshalb, weil sie das Budget der Polizei um 18 Prozent gekürzt hat, als sie Innenministerin war. Die Folge ist, dass nun schwer bewaffnete Soldaten in britischen Städten eingesetzt werden.

Und die Tory-Politik, die Menschen trotz Job in die Armut treibt und das Bildungs- und Gesundheitswesen in die Krise stürzt, wird von den Wählern bestraft, wie Umfragen belegen: Der Vorsprung vor Labour ist auf fünf Prozent geschrumpft. Daran ändern die Anschläge und Mays schrille Rhetorik bisher nichts.

Es ist beruhigend, dass die große Mehrheit der Bevölkerung besonnen auf die Attentate reagiert. Das werden May und vor allem die Rechtspopulisten der United Kingdom Independence Party (Ukip) am Donnerstag zu spüren bekommen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Ralf Sotscheck
Korrespondent Irland/GB
Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Die Art wie das Internet genutzt wird ist Mitschuld, allerdings ist es nur ein Symptom und nicht die Ursache. Die Hauptursache für den radikalen Islam sind gescheiterte Staaten überall auf dem Globus. Und die Kolonialzeit und alles danach spielen hierbei eine entscheidende Rolle!

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @insLot:

      Saudi-Arabien war nie Kolonialgebiet, die Machthaber aber auch viele gewöhnliche Menschen haben sich entschieden einer faschistischen Ideologie (Wahhabismus) zu folgen und sie zu verbreiten und heutzutage in ihrem Namen zu töten.

      Dioe Menschen in der islamischen Welt haben auch ihren BEitrag geleistet zur heutigen Misere.

  • Mit der Titelzeile auf S. 1 "Alles neu macht die May" schrieb die Taz am 19.April:

    "Jede Oppositionskraft wird in einer anderen Ecke ihren Wahlkampf führen. Und darüber thront eine unterschütterliche Theresa May - als einzige Politikerin mit Weitblick, die das Land zusammenhält."

     

    Das schrieb die Taz über jene eiskalte Innenministerin, die sich nicht davor schämte, Polizeiwagen mit Riesenpostern in Armenviertel wie Barking zu schicken, um "illegale" Migranten zur Ausreise aufzufordern. Eine Frau, die in der Frage der Verteilung von Kriegsflüchtlingen die EU-Solidarität verweigerte und Leistungskürzungen für Schwerbehinderte unterstützt hat.

     

    Aber der Wind hat sich gedreht! So sehr, dass sich selbst der Wendehals von Ms. May arg verknoten würde. Sie hat im Gegensatz zum aufrechten J.C. (Jeremy Corbyn) ihre Haltung immer dann geändert, wenn diese ihrer Karriere entgegenstand. Vorher betonte sie z.B. ständig, keine Wahlen ausrufen zu wollen.

    Tote Fische schwimmen gerne mit dem Strom. Weitblick mit Glasauge.