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Kommentar NordkoreaMehr Verständnis gesucht

Fabian Kretschmer
Kommentar von Fabian Kretschmer

Wer die Atomkrise lösen will, muss sich mit den Motiven der Aufrüstung befassen: die Bombe als Überlebensgarantie für das Regime.

Ein Raketenmodell bei einem Blumenfest in Pyöngyang Foto: dpa

D ie Nordkoreakrise ist auch eine von Medien gemachte Krise: Als Katalysator um die allgemeine Kriegshysterie diente die Behauptung von NBC News, Washington würde einen Erstschlag gegen Pjöngjang vorbereiten.

Bei kaum einen anderen Thema hätte ein Bericht eines amerikanischen TV-Senders, der sich ausschließlich auf anonyme Quellen beruft, von offizieller Seite umgehend dementiert und von Experten als „Angstmacherei“ bezeichnet wird, derart hohe Wellen geschlagen: Fast alle Nachrichtenagenturen, Tageszeitungen und Online-Medien haben die aufmerksamkeitsversprechende Überschrift trotz der dünnen Quellenlage angenommen.

Längst deutet jedoch vieles darauf hin, dass sich Donald Trumps Nordkorea-Strategie gar nicht so fundamental von seinem Vorgänger unterscheiden wird. Klar, die aggressive Rhetorik wurde um ein paar Stufen aufgedreht, doch einen Krieg in der Region mit möglicherweise mehreren Millionen Opfern scheint auch der US-Präsident nicht leichtfertig in Kauf nehmen zu wollen.

Vielleicht haben es die Südkoreaner richtig gemacht – und auf die Angst um einen Krieg vor der eigenen Haustür mit demonstrativer Gelassenheit reagiert. Jedes Jahr erleben sie schließlich dasselbe Theater von Neuem: Im Frühling beginnen die gemeinsamen Militärmanöver mit den US-Streitkräften, Nordkoreas empört sich und startet einen Raketentest, der wiederum von der internationalen Gemeinschaft verurteilt wird. Im letzten Akt flauen die Spannungen schließlich wieder ab – bis zur nächsten Krise, denn das gut einchoreografiertes Stück läuft seit Jahrzehnten in Dauerschleife.

Was natürlich nicht heißt, dass es dabei zu verheerenden Fehleinschätzungen kommen kann. Zumal, wenn ein neuer Spieler wie Trump das Parkett betritt, der nicht nur mit traditionellen Regeln bricht und aus dem Bauchgefühl zu handeln scheint, sondern auch seine Ahnungslosigkeit ganz offen zur Schau stellt.

Libyen als abschreckendes Beispiel

Legendär ist Donald Trumps Ausspruch über das gemeinsame Treffen mit Xi Jinping im Feriendomizil in Florida, bei dem er seinem Kollegen dazu drängen wollte, sich doch endlich des Nordkorea-Problems anzunehmen. Xi hielt Trump darauf hin eine Standpauke über die komplexe und durchaus schwierige Beziehung zwischen China und Nordkorea. „Nach zehn Minuten Zuhören realisierte ich, dass es doch nicht so einfach ist“, erinnert sich Trump später in einem Interview.

Es ist geradezu paradox: Die Amerikaner nehmen Nordkorea zwar als dringlichstes außenpolitisches Problem wahr, doch scheinen keinerlei Anstrengungen zu unternehmen, die Sichtweise ihres Gegners zumindest im Ansatz nachvollziehen zu wollen. Das gegenseitige Misstrauen ist nämlich durchaus für beide Seiten gerechtfertigt.

Seit den 50er Jahren, als hunderte Nuklearbomben in Südkorea stationiert waren, hat Nordkorea die Atommacht Amerikas im Nacken. Nach der Jahrtausendwende beobachtete das Regime am Beispiel des Diktators Muammar al-Gaddafi in Libyen, was ihm drohen könnte, wenn es das Waffenprogramm aufgibt. Dass also für den Despoten Kim Jong Un eine nukleare Lebensversicherung als durchaus erstrebenswert erscheint, ist keinesfalls abwegig, sondern aus seiner Sicht sinnvoll und logisch.

Erst wenn man den Zweck der nordkoreanischen Atombombe wirklich begriffen hat, kann man erfolgreiche Verhandlungen über eine Abrüstung führen. Entgegen der öffentlichen Meinung ist es dafür nicht zu spät. Zumindest ein Stillstand des Programms oder UN-Kontrollen sind mittelfristig in Reichweite. Wer jedoch schon die Verhandlungen an die Vorbedingung einer vollständigen Abrüstung knüpft, hat daran kein ernsthaftes Interesse.

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Fabian Kretschmer
Korrespondent in Südkorea
Seit 2024 Korrespondent für die koreanische Halbinsel und China mit Sitz in Seoul. Berichtete zuvor fünf Jahre lang von Peking aus. Seit 2014 als freier Journalist in Ostasien tätig. 2015 folgte die erste Buchveröffentlichung "So etwas wie Glück" (erschienen im Rowohlt Verlag), das die Fluchtgeschichte der Nordkoreanerin Choi Yeong Ok nacherzählt. Betreibt nebenbei den Podcast "Beijing Briefing". Geboren in Berlin, Studium in Wien, Shanghai und Seoul.
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6 Kommentare

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  • Ich möchte nicht dass das Regime in Nordkorea überlebt.

    Ich möchte, dass die 200.000 Insassen der Todeslager freikommen und überleben.

  • „Zumal, wenn ein neuer Spieler wie Trump das Parkett betritt, der nicht nur mit traditionellen Regeln bricht und aus dem Bauchgefühl zu handeln scheint, sondern auch seine Ahnungslosigkeit ganz offen zur Schau stellt“

     

    In der Tat! Trump hat es versäumt, sich mit den „traditionellen Regeln“ bekannt zu machen, mit denen seine Vorgänger die aggressive Kriegspropaganda ins Leere laufen ließen. Die Ursache ist nicht direkte Kriegslust seitens der Machthaber Nordkoreas, sondern deren Einsehen, dass die Ernährung des Volkes ohne äußere Hilfe nicht mehr zu sichern ist; sei es wegen Missernte oder einfach nur wegen Misswirtschaft. Mit ein paar geräuschlosen Hilfslieferungen konnte Babyface Kim Jong Un stets für einige Zeit besänftigt werden (galt auch schon für seinen Papa Kim Jong Il und seinen Opa Kim Il Sung).

     

    Leider unvermeidliche Nebenwirkung ist die daraus folgende Arbeitsteilung: Für die Entwicklung neuer Waffen stehen unbegrenzte Mittel bereit, während sozusagen das Ausland die Ernährung des Volkes sichert. Daher kann Machthaber Kim der Welt nun nicht nur drohen, sondern sogar mit Atomwaffen drohen!

  • Für Kim kommt Trump doch wie gerufen. Er braucht das Feindbild ja auch um die Bevölkerung weiter auf Kurs zu halten und sich selber als großen Vaterlandsbeschützer zu feiern. Auch China und Russland sind im Prinzip doch daran interessiert, dass alles so bleibt wie es ist und werden mit aller Macht dafür sorgen, dass US Truppen nicht irgendwann an der nordkoreanischen Grenze stehen.

    Für die USA ist Korea ein willkommener Grund die militaristische Präsens vor Ort auszubauen, wobei das eigentliche Ziel dann wohl eher China ist.

    Natürlich bleibt die Gefahr, dass Trump oder Kim sich verzocken und die ganze Region in einen Krieg ziehen.

  • Warum sollte man Sichtweise eines größenwahnsinnigen Despoten verstehen?

  • www facebook com. kim yong un.

    Ab einer Million likes verspricht uns der grosse Führer die Usa zu nuckeln (..?)

    • @Pele :

      hmm, schlecht .. Ironie ist nicht angekommen. Deshalb an dieser Stelle Klartext Kim Jong Un ist relativ harmlos. Wer etwas auf Menschenrechte und Menschlichkeit hält, der sei daran erinnert, das aktuell 20 Millionen Menschen in Afrika vom Hunger bedroht sind, also dort wo die Zäune und Grenzschutzanlagen gebaut werden sollen. Die Trump Regierung schafft einen neuen Krisenherd für was auch immer. Wenn die USA ihr derzeitiges Militärbudget von 600 Milliarden Euro auf ein Drittel herunterfahren würde, dann könnten sich endlich mal die Japaner bei den Chinesen für ihre Verbechen aus dem 2. Weltkrieg entschuldigen und die USA hätten eine reale Chance auf einen Schuldenabbau, anstatt wie jetzt auf die Abschaffung des Staates hinzusteuern. Give Peace a Chance! System Change not Climate Change!