piwik no script img

Generalstreik gegen WirtschaftspolitikStillstand in Argentinien

Der Frust in der Gesellschaft hat sich in den vergangenen Monaten angestaut. Am Donnerstag gipfelte er in einem eintägigen Generalstreik.

Warten auf den Bus in Buenos Aires – vergeblich Foto: dpa

Buenos Aires taz | Am Donnerstag bewegte sich in Argentinien nicht viel. Nahezu alle Gewerkschaften hatten zu einem eintägigen Generalstreik aufgerufen. Der Protest richtete sich gegen die wirtschaftliche Anpassungspolitik des rechten Präsidenten Mauricio Macri. Es war der erste Generalstreik, mit dem sich der Präsident in seiner bisher 15-monatigen Amtszeit konfrontiert sah.

Busse und Bahnen blieben in den Depots, Flugzeuge am Boden, ankommende internationale Flüge wurden nach Uruguay umgeleitet. Wie verloren huschten vereinzelt Taxis durch Buenos Aires, der private PKW-Verkehr war stark reduziert. Auf Veranstaltungen und Protestmärsche hatten die Gewerkschaften verzichtet, die ironische Rede vom Sonntagsstreik machte die Runde.

Dagegen sorgten Blockadeaktionen linker Parteien schon am frühen Morgen für die Sperrung der großen Einfallsstraßen ins Zentrum der Hauptstadt. Wer konnte, blieb zuhause. Bei einer Räumung kam es zu Rangeleien mit der Polizei, Tränengas wurde eingesetzt, es gab Verletzte und Festnahmen.

An dem Protesttag ging es um Lohnforderungen bei den laufenden Tarifverhandlungen in den verschiedenen Bereichen. Während die Regierung die Anhebung mit maximal 17 Prozent deckeln möchte, verlangen die Gewerkschaften mindestens 24 Prozent mehr. 17 Prozent ist die von der Regierung für das laufende Jahr prognostizierte Inflationsrate. Die liege schon jetzt bei 24 Prozent, so die Gewerkschaften. Hinzu komme der Reallohnverlust vom letzten Jahr, als die Inflationsrate 40 Prozent betrug, die Löhne aber nicht über 30 Prozent stiegen.

Macri spottet

„Wie gut, dass wir hier sind und arbeiten.“ Mit Ironie eröffnete Macri das Weltwirtschaftsforum für Lateinamerika, ein zweitägiges Mini-Davos, das eben an diesem Streiktag in Buenos Aires begann. Pech für den gebetsmühlenhaft um ausländische Investoren werbenden Präsidenten, dass sich die weltweit angereisten TeilnehmerInnen selbst ein Bild von der Stärke der Gewerkschaften und den sozialen Organisationen machen konnten.

Mehr sagte er nicht zum Streik, ging aber auf „das grundlegende Thema, das am meisten Schaden bei jenen, die weniger haben, anrichtet und bewirkt, dass die Armut zunimmt, die Wirtschaft aber nicht wächst“ ein: die Inflation. Seine Gegenrezepte formulierte er nicht: Reduzierung des Haushaltsdefizits durch Sozialabbau und Entlassungen im öffentlichen Dienst dazu gemäßigte Lohnsteigerungen. Private Investitionen sollen die Wirtschaft ankurbeln mit den bekannten Trickle-down-effekten. Bereits am Tag zuvor hatte er verkündet, es gebe keinen Plan B und er werde seinen Wirtschaftskurs nicht ändern.

Im vergangenen Jahr hatten die großen Gewerkschaften noch still gehalten, auch weil der Präsident ihnen die Verwaltung einiger millionenschwerer Sozialkassen übertragen hatte. Doch nachdem immer deutlicher wird, dass der von ihm versprochene „Dollarregen“ für Investitionen ausbleibt, begann es zu rumoren. Die Frustration an der Basis, ließ die Gewerkschaftsspitzen den 24-stündigen Generalstreik ausrufen. Statt steigender Investitionen aus dem Ausland, steigt die Inflation und frisst die Kaufkraft der im formellen und im informellen Sektor Beschäftigten weg. Letzterer macht gut 40 Prozent der Wirtschaft aus.

Die Gegenprobe fand letzten Samstag statt. Tausende waren einem Aufruf in den sozialen Netzwerken zu einem „Marsch für die Demokratie“ gefolgt. Ohne zentrale Kundgebungen spazierten vor allem Menschen aus der Mittel- und Oberschicht auf den Straßen in den Zentren der großen Städte. Hatten sich Präsident und Regierung noch zuvor in Schweigen gehüllt, da allgemein mit einer geringen Beteiligung gerechnet wurde, so ließ Macri euphorisch wegen dem Überraschungserfolg seiner Freude per Twitter freien Lauf.

Von der Welle getragen, forderte er am Tag danach sein Kabinett zu einer härteren Gangart gegen die seit Jahrzehnte gleichen Seilschaften von Gewerkschafter, Unternehmer und Politiker, die eine Destabilisierung seiner Präsidentschaft betreiben. „Entweder diese Mafiosi wandern hinter Gitter oder sie werden uns kippen,“ schwor Macri seine Getreuen ein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!