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Kommentar Doppelpass-DebatteKnallrechte Bestrafungsfantasien

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Dass nach dem Türkei-Referendum jetzt wieder eine sinnlose Doppelpass-Debatte tobt, zeigt vor allem eines: Gekränktheit.

Hätten mehr Wähler einen Doppelpass, wäre das Ergebnis womöglich anders ausgefallen Foto: dpa

N ur rund eine halbe Million Menschen in Deutschland besitzen neben dem türkischen auch den deutschen Pass. Doch wegen jener, die nun für Präsident Erdoğan stimmten, drehen manche in Politik und Medien jetzt frei und stellen einen Zusammenhang zur doppelten Staatsbürgerschaft her, wo es gar keinen gibt.

In den ARD-„Tagesthemen“ klingt Sonia Mikich ganz wie der knallrechte Claus Strunz im Sat1-Frühstücksfernsehen, wenn sie fordert, Deutschtürken, die Erdoğan wählten, sollten ihren deutschen Pass abgeben.

Nach den Demonstrationen von Erdoğan-Anhängern hatten sich auch schon Jakob Augstein und Micha Brumlik gegen die doppelte Staatsbürgerschaft starkgemacht. Wer solche Linksliberalen hat, der braucht keine AfD mehr. Die schließt sich solchen Forderungen natürlich gern an, die CSU sowieso.

Da ist auch narzisstische Kränkung im Spiel. Hatten Politik und Medien den Deutschtürken denn nicht klargemacht, wie sie abzustimmen hätten? Hatte man nicht, von Cem Özdemir bis zur Bild-Zeitung, für ein „Nein“ geworben? Hatte man nicht Auftritte türkischer Minister verhindert und Erdoğan als Sodomisten verlacht? Weil das offenbar zur Demokratieerziehung nicht gereicht hat, soll nun das ohnehin ungeliebte Recht auf doppelte Staatsbürgerschaft dran glauben.

Dabei ist das Gegenteil richtig. Hätten jene Hunderttausende, die sich hierzulande in den vergangenen Jahrzehnten einbürgern ließen, ihren türkischen Pass behalten dürfen, dann wären sie beim Referendum in der Türkei wahlberechtigt gewesen. Vermutlich wäre das Ergebnis dann anders ausgefallen.

Es gibt übrigens weniger Doppelstaatler mit türkischem als mit russischem oder polnischem Zweitpass. Nach deren Wahlverhalten fragt komischerweise keiner. Und rund 1,8 Millio­nen Deutsche haben bei den vergangenen Wahlen der AfD ihre Stimme gegeben. Da verbieten sich aber solche Bestrafungsfantasien – denn die will man ja zurückgewinnen.

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Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er schreibt über Politik und Popkultur – inbesondere über die deutsche Innen- und Außenpolitik, die Migrations- und Kulturpolitik sowie über Nahost-Debatten und andere Kulturkämpfe, Muslime und andere Minderheiten sowie über die Linkspartei und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW). 2015 erschien sein Buch “Angst ums Abendland” über antimuslimischen Rassismus. 2018 folgte das Buch “Die Volksverführer. Warum Rechtspopulisten so erfolgreich sind.”
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13 Kommentare

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  • 4G
    4845 (Profil gelöscht)

    "In den ARD-„Tagesthemen“ klingt Sonia Mikich ganz wie der knallrechte Claus Strunz im Sat1-Frühstücksfernsehen, wenn sie fordert, Deutschtürken, die Erdoğan wählten, sollten ihren deutschen Pass abgeben."

     

    Das ist ja eine wunderbare Lektion in Sachen Demokratie: --Wer nicht wählt wie es "uns" passt, der wird bestraft. -- So werde den türkischen Mitbürgern ganz sicher sehr nachdrücklich demokratische Werte vermittelt...

  • Der Witz ist doch, dass gerade die, die sich über das Wahlverhalten der deutschen Türken beschweren, andererseits klammheimlich froh über das Ergebnis sind, vor allem wenn damit der für sie unerträgliche Gedanke einer Türkei in der EU "endlich vom Tisch" ist.

     

    Und eigentlich fänden sie selber ja jemanden wie Erdogan auch in Deutschland ganz toll. Die sind nur neidisch, weil die Türkei so einen tollen Führer hat und sie nicht!

    • @Mustardman:

      Möglicherweise ist es auch genau umgekehrt.

      Die Opposition gegen den Türkei Beitritt speiste sich immer zu einem Gutteil aus der Erwartung, daß so was wie jetzt immer mal passieren könnte. Schließlich kommen die Türken aus einer hochkonservativen Gesellschaft, deren Einfluß auch rechtskonservativen Europäern zu reaktionär ist.

       

      Und genau wie in Griechenland speiste sich der Wirtschaftsaufschwung der Türkei großteils durch Investitionen von außen. Wenn da mal was ins stottern kommt (was aktuell ja auch der Fall ist) wäre dagegen Griechenland Kleinkram.

       

      Niemand in Europa ist neidisch auf einen islamistischen Führer.

    • @Mustardman:

      Also die AFD sucht sicher aktuell einen echten Erdolf und keinen getürkten,

  • Wenn nur eine halbe Million der Deutsch-Türken den Doppelpass haben - würde das im Umkehrschluss heissen, das wir etwa 1 Million Türken im Land haben die mehrheitlich Faschisten wählen.

     

    Schei... Situation!

  • Volle Zustimmung!

     

    Auch wenn dei Nazi-Keule der Erdogans deiser Welt schon nervig war. Wenn wir da nicht cool blieben können, dann zeigt das eher gegen uns selbt.

    Übrigens: das ganze Geschrei um die Deutschtürken ist maßlos, weil: 1,8 Mio Wahlberechtigte, 46 % Wahlbeteiligung und dann 63 % ja = 520.000.

    Davon sicher Trotzwähler, gerade wegen unserer Uncoolness.

    Also, ruhig bleiben, überzeugen, Radikale auf beiden SEiten bloßstellen und keine Verallgemeinerung. Danke

    • @Tom Farmer:

      Natürlich nicht die Radikalen, die gegen Bänker, Reiche und Unternehmer hetzen ;)

  • Das Problem bei der Demokratie in letzter Zeit ist, dass die Leute immer öfter die Falschen oder das Falsche wählen, Brexit, Trump, Erdogan zB.

    Die Antwort kann kann aber nicht sein, die "Falschwähler" zu bestrafen, sondern aktiv für die eigenen Positionen zu werden und mit den Trumps, Erdogans und Petries dieser Welt zu streiten und die besseren Lösungen, die man hoffentlich hat, klarzumachen.

    Die Sehnsucht nach dem starken Mann oder der starken Frau kann man damit bekämpfen, dass man aufzeigt, dass der weder die Lösung ist noch die Lösungen hat.

     

    Trotzdem ist die doppelte Staatsbürgerschaft nicht unkritisch zu sehen. Ich halte den schnellen Zugang zur deutschen Staatsbürgerschaft (ähnlich wie in Kanada) für anerkannte Migranten für den besseren Weg zur Integration. "Ihr gehört dazu, wir wollen Euch hier, Ihr seid ein Teil von uns." sagt man damit eher als mit dem Doppelpass. Natürlich kann das nicht alles sein, setzt aber ein Zeichen.

    • @BamBus:

      Das bedeutet aber im Umkehrschluss, dass wir auch bereit sein müssen jemanden zu sagen, dass wir in NICHT hier wollen.

  • Der Artikel ist m.E. sehr einseitig und unausgewogen - nach dem Motte "Besserwisser". Das Problem ist kein einfaches und wie immer gibt es mehrere Sichten - Einseitigkeit hilft hier nicht weiter. Erstmal ist es ein gewichtiges Thema, dass Deutsch-Türken, die für die Verfassungsreform gestimmt haben, für die in der Türkei lebenden Türken eine Autokratie einrichten wollen - während sie selbst hier in Deutschland im gewärmten Sessel sitzen und wohl nie die Folgen Ihrer Entscheidung tragen müssen - das Prinzip erinnert mich ein bisschen an die Drohnenkrieger, die neben einer Tasse Kaffee Menschen töten. Dass man das nicht einfach so lassen will, halte ich nicht nur für verständlich, sondern auch für notwendig - diesem Umstand wird der Artikel nicht gerecht.

  • Tja und was machen wir mit den rund 20% Reindeutschen, die ein geschlossen rechtes Weltbild haben? Wieviele Otto-Normalverbraucher und ...Innen würden für einen deutschen Erdoghan votieren und die Demokratie Demkoratie sein lassen? Eine aktuelle Befragung in Österreich zeigt, dass fast die Hälfte der Ösis dafür stimmen würden - sollten die nicht auch ihre deutsche Zweitbürgerschaft verlieren - von Polen und Ungarn ganz zu schweigen. Ach ja und immer mehr Briten wollen jetzt so richtig Deutsch werden - erst mal abwarten, wen die ins Unterhaus wählen. Ach ja und wenn ich als Deutsch-Franzose am Sonntag mein Kreuzchen etwa bei dieser braunen Madame machen würde, setzt sich Frau Mikich dann auch dafür ein, dass ich meine Doitsche Staatsbürgerschaft abgeben muss? Seid ihr eigentlich noch ganz bei trost, den Antitürken so auf den Leim zu gehen? Da fällt mir nur Dieter Hildebrandt ein, der einst über die SPD sagte: 'Die scheißen sich in jede Hose, die man ihnen hinhält'...

    • @Philippe Ressing:

      Hier gibt es einen wesentlichen Unterschied zu dem in dem Artikel beschriebenen Umstand - die "Reindeutschen" würden und müssten in ihrem Staat und in ihrer Staatsordnung leben - sie müssten die Folgen ihrer Entscheidungen mittragen - das tun Deutsch-Türken in Deutschland, die der Verfassungsreform in der Türkei zugestimmt haben, nicht!

      • @Georg Marder:

        + + + - ) So ist es!

         

        "Deutsch-Türken", die in der Bundesrepublik in relativ sozial gesicherten Verhältnissen leben, sie müssen die Folgen für eine falsche Wahlentscheidung in der Türkei nicht mittragen. --

         

        Aber die Menschen in der Türkei müssen deren Entscheidung für die Erdogan- und islamische AKP-Diktatur und für deren Zustimmung zur Todesstrafe und Beseitigung der (bürgerlichen) Medien- und Pressefreiheit ertragen!

         

        Deren falsche Entscheidung ist eine (auswärtige) Schlinge um den Hals der türkischen und kurdischen Demokraten vor Ort: in der Türkei.