Sexistische Start-ups: Bio-Tampons, aber kein Betriebsrat
Eine Start-up-Chefin belästigte Angestellte. Dabei hatte sich die „SHE-EO“ als Feministin dargestellt. Warum ähnliche Fälle auch in Deutschland drohen.
Die Period Panties gibt es in sechs Varianten, die alle sexy geschnitten sind und in die nicht sichtbar eine Art Binde integriert ist. Die saugt entweder als Ersatz für Tampons und Menstruationstassen das Blut auf. Oder sie ergänzt die herkömmlichen Methoden, um die „Was, wenn was danebengeht“-Paranoia zu beenden.
Die Slips kosten zwischen 24 und 39 Euro. Auch, um das sympathische Start-up zu unterstützen, zahlen viele Frauen diesen doch recht hohen Preis. Thinx ist seit der Gründung 2015 rasant gewachsen; Miki Agrawal selbst gibt sich überrascht. Eine „wahre Achterbahn“ sei die Erfolgsgeschichte gewesen.
Jetzt werfen Angestellte Agrawal sexuelle Belästigung vor. Sie soll regelmäßig vor den Augen ihrer Kolleginnen neue Produkte „anprobiert“ haben. In Videokonferenzen schaltete sie sich mal auf der Toilette sitzend ein, mal nackt im Bett liegend. Sie soll Beschäftigte genötigt haben, über ihre sexuellen Präferenzen zu sprechen. Ihr eigenes Sexleben scheint sie im Büro detailreich geschildert zu haben. Laut einer ehemaligen Mitarbeiterin soll sie dieser mehrmals an die Brust gegriffen haben.
Im Tal der Frauenfeinde
Agrawal feuerte diese Mitarbeiterin, kurz bevor der Jahresbonus ausgezahlt werden sollte. Die Ex-Angestellte sagt, Agrawal habe ihr das Geld trotzdem angeboten, aber nur wenn sie unterschreibe, niemals Rechtsmittel gegen Thinx einzulegen.
Stattdessen hat sie nun Beschwerde bei der New Yorker Menschenrechtskommisssion eingereicht. Andere Thinx-Angestellte aller Ebenen beteiligten sich mit ihren Schilderungen an der Beschwerde. Gegen Agrawal wird wohl ermittelt werden. Der Journalistin Noreen Malone sagte Agrawal, die Vorwürfe seien „gegenstandslos“ und „absolut unbegründet“.
Der Fall Agrawal ist extravagant, aber nicht ungewöhnlich. Der Guardian hat die Vergehen diverser Firmen zusammengetragen und zitiert eine Studie, laut der 60 Prozent der Frauen in der amerikanischen Technologie-Branche schon „ungewollte sexuelle Annäherung“ am Arbeitsplatz erlebt haben. Das Silicon Valley gilt als Tal der Frauenfeinde. Doch auch in Start-ups anderer Branchen werden Angestellte überproportional häufig belästigt.
Elon Musk bietet Joghurt-Maschinen an
Momentan ist Uber in den Schlagzeilen, weil Ex-Mitarbeiterin Susan Fowler detailliert über die sexuelle Belästigung im Konzern geschrieben hat. Diese Woche zeigte laut Buzzfeed ein Mitarbeiter das Unternehmen Tesla an, weil er bei der Arbeit sexuell belästigt worden sei.
Das Problem vieler Start-ups ist, dass sie sich keine Abteilung für „Human Resources“ leisten, bei der Angestellte sich über schlechte Behandlung beschweren könnten. Betriebsräte sind selbst in großen US-Unternehmen nicht so üblich wie bei uns, weil in den USA ein anderes Verständnis von Arbeitnehmervertretung herrscht.
Tesla-Gründer Elon Musk soll eine Rundmail an seine Angestellten geschrieben haben, dass sie bitte aufhören sollen, einen Betriebsrat zu planen. Dafür werde er Frozen-Yoghurt-Maschinen in der Fabrik aufstellen. Miki Agrawal war als CEO zurückgetreten, bevor die Vorwürfe gegen sie aufkamen. Grund war schlechte Personalpolitik, mangelnde Krankenversicherung für die Beschäftigten und die Abwesenheit einer Human-Resources-Abteilung.
SHE-E-Oje
Agrawal versuchte zunächst, ihren Rücktritt herunterzuspielen. „Es passiert nichts Dramatisches, ich bin immer noch SHE-EO und Mitgründerin von Thinx“, erklärte sie, und wie in jedem Unternehmen gebe es anfangs den einen oder anderen personellen Wechsel.
Einige Wochen nach dem Rücktritt schrieb SHE-EO Agrawal eine Art Erfahrungs-Rechtfertigungs-Bericht, in dem sie sich als überfordert vom schnellen Wachstum des Unternehmens darstellt. „Aus heiterem Himmel kamen Fragen nach Krankenversicherung, Urlaubstage, Prämien und Mutterschutz“, schreibt sie. SHE-E-Oje. Mit ähnlichen Fällen ist in Deutschland zu rechnen. Denn die chaotische Unternehmensführung schwappt mit der New-Economy-Kultur zu uns herüber.
Gründer*innen berufen sich gern auf Gedankenlosigkeit oder Ressourcenknappheit. Das Beispiel eines Hamburger Spieleentwicklers stellt sich anders dar. Ihm wurde 2015 vorgeworfen, Beschäftigte gefeuert zu haben, weil sie einen Betriebsrat bilden wollten.
Was tun, wenn Angestellte schlecht behandelt werden?
Die Berliner Redaktion des Online-Magazins Vice hat bei ihrem letzten Monatsfrühstück über einen Betriebsrat gesprochen. Die 150 Mitarbeiter*innen beschlossen, eine Vertretung zu forcieren, sobald eine „Schwellengröße“ überschritten sei. Aber bislang verstehe man sich ja ausgezeichnet. Chefredakteurin Laura Himmelreich stellt jeden Monat neue Mitarbeiter*innen ein, die ihr Gehalt selbst verhandeln müssen, weil es keinen Tariflohn gibt.
Der Anteil an Betriebsräten sinkt, je kleiner die Firmen sind. Weniger als ein Zehntel der Beschäftigten kleiner Unternehmen in Deutschland ist von einem Betriebsrat vertreten, so das Institut für Arbeitsmarkt- und Betriebsforschung. Bei einer privaten Studie von Wirtschaftsvertretern gab nur jedes vierte Start-up an, einen Betriebsrat zu haben.
Wenn Angestellte schlecht behandelt werden, müssen sie auf Verständnis bei ihren Chef*innen hoffen. Und die wiederum müssen für ihr Image hoffen, dass die Betroffenen, naja, dicht halten.
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