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Nichts als die Wahrheit

Fake NewsInnensenator Geisel will gegen politische Lügen härter vorgehen. Wie nötig das ist, zeigt die jüngste Behauptung der AfD, Berlin habe 645.000 Arbeitslose

In echt: Senator Geisel Foto: dpa

von Uwe Rada

Andreas Geisel (SPD) will mit ungewöhnlichen Maßnahmen neue Akzente gegen Rechtspopulismus setzen. „Wir müssen die offene Gesellschaft gegen die wachsende Flut von Falschmeldungen und dreisten Lügen schützen“, sagte der Berliner Innensenator am Freitag früh bei einer Matinee im taz Café. Nach der Sommerpause wolle er eine neue Strategie vorlegen. Geisel nannte sie „Wahrheit 4.0“.

Der Senator greift damit eine Idee des SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz auf. Der so­zial­demokratische Hoffnungsträger hatte unter dem Motto „Der Wahrheit verpflichtet“ eine Offensive gegen Fake News in sozialen Netzwerken und gegen Politiker populistischer Parteien gestartet, die mit Falschmeldungen Verwirrung stiften.

Wie nötig das ist, zeigte sich erneut bei der Berliner AfD: Am Freitagvormittag hatte die Partei gemeldet, dass die Zahl der Berliner Erwerbslosen bei 645.000 liege und nicht, wie offiziell angegeben, bei 174.000. Später zog AfD-Sprecher An­dreas Heinzgen die Meldung zurück. Ob das eine Reaktion auf Geisels Vorstoß war, bliebt am Freitag offen. Bereits im Wahlkampf im vergangenen Sommer hatte der damalige AfD-Spitzenkandidat Georg Pazderski jedoch erklärt, es gehe „nicht nur um die reine Statistik, sondern darum, was der Bürger empfindet“. Um 11.44 Uhr ruderte AfD-Sprecher Heinzgen schließlich zurück und sagte, es seien „tatsächlich mehr als 251.000 Berliner ohne Arbeit“.

Wie Schulz hält auch Geisel die Debatten über Fakten und Nebelkerzen für entscheidend für das politische Klima. „Früher hat man einem vor allem am 1. April ein A für ein O vorgemacht“, sagte der Innensenator auf der taz-Veranstaltung. „Heute scheint für manche das ganze Jahr über der 1. April zu sein.“

Scherze rechtlich prüfen

Als ersten Schritt kündigte der Senator an, in diesem Jahr Aprilscherze presserechtlich prüfen zu lassen. „Es kann nicht sein, dass Medien und Rechtspopulisten Hand in Hand arbeiten“, zeigte sich Geisel nachdenklich. „Gerade Medien müssen der Wahrheit verpflichtet sein, und zwar das ganze Jahr über.“ Man wolle in Berlin keinen Informationskrieg. „Aber wenn er kommt, müssen wir ihn gewinnen“, so der SPD-Politiker.

Überlegungen in diese Richtung gibt es offenbar auch bei den Koalitionspartnern im rot-rot-grünen Senat. So verkündete die Lichtenberger Linken-Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch in ihrem Newsletter, die Namensrechte der ehemaligen Tageszeitung der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins (SEW) gekauft zu haben. „Wir werden die Wahrheit wiederbeleben“, so Lötzsch. Die Tageszeitung Die Wahrheit erschien im Westteil Berlins bis 1989 und galt als Pendant der SED-Parteizeitung Neues Deutschland. Allerdings hat die Wahrheit-Redaktion der taz bereits rechtliche Schritte gegen Lötzschs Vorstoß angekündigt.

Weniger plakativ fällt der Beitrag der Grünen zur politischen Hygiene aus. „Wahrheit ist immer subjektiv“, sagt der grüne Justizsenator Dirk Behrendt. Er hält deshalb auch nichts von Verboten oder besserwisserischen Zeitungstiteln. „Am besten ist es, wenn viele Menschen einen Lügner auch Lügner nennen“, so Behrendt. Auf Nachfrage gab er zu, es selbst auch schon mal mit der Wahrheit nicht ganz ernst genommen zu haben. „Ich hab im Wahlkampf 2011 behauptet, Renate Künast sei eine tolle Kandidatin“, verriet der Justizsenator. „Das war natürlich ein Aprilscherz.“

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