: Miteinander – mit Gefühl
Wahlkampf GroenLinks in den Niederlanden hat vorgemacht, wie grüne Politik wieder ankommen kann: mit einer neuen, positiven Sprache
ist Mitglied des Europäischen Parlaments und dort Sprecher der Abgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen.
von Sven Giegold
Es fühlte sich an wie ein Moment europäischer Innenpolitik, als am Mittwochabend die ersten Prognosen von der Wahl in den Niederlanden über die sozialen Netzwerke liefen. Kollektive Erleichterung war weit über die niederländischen Grenzen hinaus zu spüren, weil sich die proeuropäischen, nicht die nationalistischen Kräfte durchgesetzt haben. Europa 1, Rechtspopulisten 0 – das ist der Zwischenstand nach dem ersten Akt des europäischen Superwahljahrs. Freude bei Christdemokraten, Sozialdemokraten, Liberalen, Grünen: Egal, wie die jeweilige Schwesterpartei in den Niederlande tatsächlich abschnitten hatte – Hauptsache, Wilders hatte nicht gewonnen.
Zweifelsohne ist dieses Wahlergebnis eine gute Nachricht für Europa. Wie auch die neue Bewegung „Pulse of Europe“ zeigt es, dass die Europäische Union keinesfalls ein Auslaufmodell ist. Doch im holländischen Wahlergebnis steckt, abseits der groben Pro-und-contra-Europa-Binarität, noch viel mehr. Es ging eben auch um die Wahl zwischen Populismus und großkoalitionärem Status quo.
Schlicht und glaubwürdig
In den Niederlanden ist eine moderne Linke geboren, eine linke Alternative, die anders auftritt und insbesondere besser kommuniziert. Die Partei, die dafür steht, heißt GroenLinks, also Grün-links, ihr Shootingstar ist Jesse Klaver. Ihr Ergebnis von 2012 vervierfachten die niederländischen Grünen, ihr Wahlkampf wurde zu einer breiten Graswurzelbewegung vor allem junger Leute. GroenLinks wurde zweitstärkste Partei bei jungen Wählern und stärkste Partei in Amsterdam. Der grüne Frontmann Klaver hat im Wahlkampf etwas getan, womit man in den letzten Jahren in Deutschland – außerhalb eines engen Milieus – scheinbar keinen Blumentopf gewinnen konnte. Er hat klar und deutlich gesagt: Ich bin links.
Dabei hat Klaver das „Links sein“ nicht neu definiert, aber anders und besser vermittelt. Im Mittelpunkt seiner Kampagne stand ein zentraler Wert: Mitgefühl. Mit diesem Begriff kann jeder Mensch etwas anfangen. Mitgefühl empfinden wir alle, allen wurde es schon zuteil, jeder wünscht es sich. Diesen Begriff zeichnen eine starke emotionale Nachvollziehbarkeit und eine äußerst positive Konnotation aus. Und er beschreibt eben auch genau das, worauf linke Politik beruht: dass in einer Gesellschaft nicht das Recht des Stärkeren gilt, sondern die Stärke des Miteinanders. Dabei geht es nicht um Gleichmacherei, sondern um den Abbau großer Ungleichheit. Und zwar deshalb, weil Menschen in Gesellschaften mit weniger Ungleichheit schlicht glücklicher sind. Programmatisch setzt Grün-links dort an, wo sich auch andere linke Parteien in Europa positionieren: Steuererleichterungen für niedrige und mittlere Einkommen, stärkere Besteuerung der Spitzeneinkommen, die Eindämmung von Gehaltsexzessen in den Toppositionen großer Unternehmen, das Ende von Steuersparmodellen für internationale Großunternehmen.
Dieses Thema hat in den Niederlanden besondere Brisanz, weil das Land zu den größten Steueroasen Europas gehört, Briefkastenfirmen zahlreicher internationaler Unternehmen angelockt und davon unterm Strich auch noch profitiert hat. Jesse Klaver wendet sich dagegen, weil diese staatlich organisierten Steuertricks eben das Gerechtigkeitsempfinden vieler Menschen gehörig stört. Anders als die Sozialdemokraten in anderen Steueroasen wie Luxemburg, Malta oder Belgien tauchte GroenLinks bei dem Thema nicht ab. Vielmehr erzwang Klaver eine breite öffentliche Diskussion in den Niederlanden, bei der vor allem der sozialdemokratische Finanzminister Jeroen Dijsselbloem als Verteidiger des niederländischen Steuersumpfs unglaubwürdig aussah.
Bei dieser sozialen Offensive verspricht Klaver – anders als linke Parteien in Spanien oder Griechenland, die bei Wahlen gewonnen haben – keinen Bruch und auch nicht das Blaue vom Himmel, sondern schlicht und glaubwürdig „Veränderung“. Sein Wahlerfolg zeigt, dass das linke Wertefundament und linke Programmatik breite Unterstützung erfahren. Man muss sie nur richtig kommunizieren. Begriffe wie Umverteilung, Vermögensteuer, Millionärssteuer beschreiben einen staatlich organisierten Vorgang des „Wegnehmens“. Mitgefühl bezeichnet eine persönliche Gefühlslage, aus der Menschen heraus ohne Zähneknirschen etwas abgeben.
Kritik an der Steuervermeidung kann man über die „bösen Konzerne“ drehen oder, wie Klaver, über den Wert von Zusammengehörigkeit und Fairness, der unter allen Bürgern und Firmen gelten sollte, die mittels Steuern unser Gemeinwesen finanzieren. Jeder, der über das Streichen von Managerboni redet, läuft Gefahr, eine Neiddebatte zu führen. Die holländischen Grünen dagegen sagen, dass eine andere Vergütungskultur in Führungsetagen zu unternehmerischen Entscheidungen führe, die sich an langfristigen, gesellschaftlichen statt persönlichen, kurzfristigen Interessen orientieren.
Mehr als kühles Rechnen
All das ist nicht die Rhetorik des Klassenkampfs, sondern die Sprache des fairen Miteinanders. Der Erfolg von Grün-links in den Niederlanden zeigt uns: Es gibt einen Bedarf nach linker Politik. Wer damit Erfolge haben will, muss seine Politik mit den positiven Werten linker Programmatik kommunizieren. Vor der Bundestagswahl 2013 führte ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, Sozialverbänden, Attac und linken Gruppen eine Kampagne: „Umverteilung“. Wir Grünen schrieben zahlreiche Steuererhöhungen für diejenigen mit stärkeren Schultern in unser Programm und rechneten kühl vor, wie viele Investitionen man damit finanzieren könnte. Die Kampagne lockte nur wenige hinter dem Ofen hervor. Das Programm der Grünen entfaltete bekanntermaßen keine Begeisterung.
Jesse Klaver hat gezeigt, wie Mitgefühl eine neue Generation für mehr Gleichheit begeistern kann. Denn die Wahlkampagne war getragen von sehr vielen jungen Menschen aus ganz verschiedenen Jugendkulturen. Klaver hat für mehr soziale Gleichheit begeistert, wobei wir in Deutschland bisher gescheitert sind. Das ist die Lehre für alle, die auch bei der Bundestagswahl eine Alternative links des schwarz-roten Knäuels anbieten wollen.
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