Energieversorgung für Arme: Die im Dunkeln sieht man nicht
Die Zahl der Stromsperren wegen offener Rechnungen bleibt hoch. In der Opposition fand die SPD das schlimm, heute sieht sie kaum Handlungsbedarf.
Als Regierungspartei, die das für Energiefragen zuständige Bundeswirtschaftsministerium leitet, wollen die Sozialdemokraten von Energiearmut hingegen nichts mehr wissen. „Für den Begriff ‚Energiearmut‘ gibt es keine allgemein gültige Definition. Die Bundesregierung verwendet den Begriff daher nicht“, schreibt SPD-Staatssekretär Florian Pronold in der Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion, die der taz vorliegt.
Und auch beim Abstellen der Strom- oder Gasversorgung bei KundInnen, die ihre Rechnungen nicht bezahlt haben, sieht das Wirtschaftsministerium keinen Handlungsbedarf. Das Energie- und Sozialrecht biete „bereits heute einen ausreichenden Rahmen, um soziale Härten bei Stromsperren zu vermeiden“, schreibt Pronold.
Die Zahl der Sperrungen ist allerdings weiterhin hoch: Beim Strom wurde das Abstellen im Jahr 2015 in 6,3 Millionen Fällen angedroht und in 331.000 Fällen umgesetzt. Das ist etwas weniger als im Vorjahr – aber immer noch deutlich mehr als etwa 2012, als die SPD dringenden Handlungsbedarf sah.
Kein Interesse an den Mängeln
Der Strom darf vom Versorger abgestellt werden, wenn ein Kunde einen Zahlungsrückstand von mehr als 100 Euro hat und diesen trotz angedrohter Sperre innerhalb von vier Wochen nicht ausgleicht. Um dieses Risiko zu verringern, wird ab Juli auch bei Sozialhilfeempfängern die Möglichkeit bestehen, dass die Behörden ausstehende Zahlungen direkt an den Stromversorger leisten; bei ALG-II-Empfängern ist das unter bestimmten Bedingungen schon heute möglich.
Daneben verweist das Wirtschaftsministerium auf die Möglichkeit von Energieberatung, die für einkommensschwache Haushalte kostenlos angeboten wird. Weitergehende Änderungen – etwa ein Verbot von Strom- und Gassperren im Winter, wie es in Frankreich gilt – lehnt die Regierung ab. Auch für Untersuchungen zu den Auswirkungen von Strom- und Gassperren auf die Gesundheit sieht Pronold „keinen Anlass“.
Die energiepolitische Sprecherin der Linksfraktion, Eva Bulling-Schröter, übt an dieser Haltung scharfe Kritik. „Die Große Koalition verschließt die Augen vor dem Kampf von Millionen von Menschen, am Ende des Monats ihre Energierechnung bezahlen zu können“, sagte sie der taz. Deutschland müsse Energiesperren aufgrund von Zahlungsunfähigkeit gesetzlich verbieten, fordert Bulling-Schröter. „Es kann nicht sein, dass der Sozialstaat in Deutschland hinter Ländern wie Großbritannien, Frankreich und Belgien hinterherhinkt und sich statt vor die Bürgerinnen und Bürger vor die Energiekonzerne stellt.“
Ähnlich scharfe Töne gibt es übrigens auch noch aus der SPD zu hören. „Die Zunahme sogenannter Stromsperren in den letzten Jahren sind alarmierende Signale, die für eine sich ausbreitende Energiearmut in Deutschland sprechen“, sagte Angelika Löber im letzten Sommer. „Es ist ein sozialer Skandal, wenn einkommensschwache Haushalte Energierechnungen nicht mehr bezahlen können.“ Löber ist verbraucherschutzpolitische Sprecherin der SPD im Hessischen Landtag. Und dort sitzen die Sozialdemokraten noch immer in der Opposition.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Streit um Neuwahlen
Inhaltsleeres Termingerangel
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will
Überwachtes Einkaufen in Hamburg
Abgescannt
Lehren aus den US-Wahlen
Wo bleibt das linke Gerechtigkeitsversprechen?
Linkspartei nominiert Spitzenduo
Hauptsache vor der „asozialen FDP“
Obergrenze für Imbissbuden in Heilbronn
Kein Döner ist illegal